Roman
CHRISTOPHER HITCHENS IST TOT „Niemals den Zugriff auf den Zorn verlieren“ – die Lebenserinnerungen des Publizisten und Provokateurs Christopher Hitchens
In der englischsprachigen Welt seit langem ein publizistischer Star, ist Hitchens hierzulande vor allem für seine 2007 erschienene atheistische Streitschrift „Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet“ (Karl Blessing Verlag) bekannt. Vom Eifer, der darin zu Tage tritt, könnte sich so mancher Gottesmann eine Scheibe abschneiden. In seinen Lebenserinnerungen jedoch spielt das Buch, das zugleich Hitchens größter publizistischer Erfolg war, nur eine untergeordnete Rolle. Sein Spiritus rector, der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der mit seinem Buch „The God Delusion“ (deutsch: „Der Gotteswahn“, Ullstein Verlag) 2006 eine regelrechte Glaubensdebatte in der britischen Öffentlichkeit losgetreten hatte (Motto: „There’s probably no God. Now stop worrying and enjoy your life“), wird lediglich an zwei Stellen kurz erwähnt. Doch sollte man sich davon nicht in die Irre führen lassen. Denn Hitchens nutzt einen Kunstgriff, der unter Memoirenschreibern seit jeher beliebt ist: Aus der Retrospektive lenkt er sein gesamtes Leben in eine Bahn, bei der am Ende das explizite Bekenntnis gegen religiösen Irrglauben und für die Macht aufgeklärter menschlicher Vernunft niemanden überrascht, sondern im Gegenteil, eine quasi teleologische Dimension bekommt. So findet sich der atheistische Impuls bereits in der frühen Jugendlektüre, vom späteren (publizistischen) Kampf gegen Unterdrückung und Bevormundung ganz zu schweigen. Vorwerfen kann man Hitchens allenfalls, sich gar nicht ernsthaft darum bemüht zu haben, die offenkundigen Fallen der literarischen Gattung zu umschiffen.
Eine mit Christopher Hitchens vergleichbare Gestalt gibt es in der öffentlichen Debatte in Deutschland nicht, weder was Wirkung noch was internationale Strahlkraft anbelangt. Der Literaturkritiker und Lebemann Hitchens, der sich gerne damit brüstet, wen er zu seinen Freunden zählen darf, erinnert entfernt an Fritz J. Raddatz, dessen Tagebücher der Jahre 1982 bis 2001 im vergangenen Jahr erschienen sind. Der brillante Kolumnist, Weltendeuter, Polemiker, eitle Provokateur und politische Wendehals Hitchens weist Gemeinsamkeiten mit dem 1999 verstorbenen Publizisten Sebastian Haffner auf. Hinzu kommt jedoch noch der Abenteurer Hitchens, der, anders als so mancher Schreibtisch-Bellizist hierzulande, Wert darauf legt, die Winkel der Erde, über die er schreibt, auch aus eigener Anschauung zu kennen. In der Summe reicht das für eine überaus lesenswerte und unterhaltsame Lebensgeschichte.
Christopher Hitchens. The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Karl Blessing Verlag, München 2011, 671 Seiten, 22,95 Euro.