Von Tschwirik und Tschwirka

Gedichte

Autor:
Olga Martynova
Besprechung:
Jan Kuhlbrodt
 

Gedichte

Eine Begegnung. Olga Martynovas Gedichte

08.07.2012  Die Bachmann Preisträgerin 2012 - Olga Martynova

05.07.2012 | Hamburg

Nach dem furiosen Roman „Sogar Papageien überleben uns“ legt Olga Martynova nun im Droschl Verlag den Band „Von Tschwirik und Tschwirka“ vor. Aus dem Russischen übertragen wurde er von Elke Erb und der Autorin selbst. Sie schreibe zwar Essays und auch Prosa auf Deutsch, in der Lyrik jedoch greife sie auf Russisch zurück. Das sei eine Frage der Geschwindigkeit der Sprache und des Gedankens.  Dies machte die Übersetzung notwendig, zumal die Texte des Buches gleichfalls auf Russisch erschienen sind.

Den Band beschließen dann auch kurze Reflexionen über den Reim im Russischen und Deutschen und seine Übersetzung. Wie schon in der neuen Musik zeigt sich hier eine russische Spezifik des Modernebruchs, während  Russland an Reim und klassischer Harmonik festhielt, galt beides in Westeuropa eine Zeitlang als überwunden. Allerdings generierte der Fortschrittsglaube in den westlichen Kulturen eine eigene Dogmatik. Martynova gelingt es jedoch, beide Traditionen jenseits ihrer jeweiligen Engstirnigkeit engzuführen und sie entzieht sich damit jeglichem künstlerischen Totalitarismus.

Das Buch besteht aus drei Poemen, jener russischen Variante des Langgedichtes, die in der Kultur tradiert ist, aber auch eine Form, die sich der Definition verweigert. Schon Puschkins Zeitgenossen sahen in seinen Langgedichten eine Verletzung der tradierten Vorgaben. Eine Freiheit, die letztlich aber die Form selbst bestimmt. Und auch Martynova entwickelt in ihren Texten eine je eigene Souveränität. Jeder Text nimmt in seiner Eigenart Fahrt auf.

Fangen wir in der Mitte an, um das Ganze dann von den Enden her einschlagen zu können und erneut auszurollen, wie einen Teig, als wollten wir Piroggen backen oder Pelmeni machen. Vielleicht ist die Nähe der Kunst zur Speise in Russland auch besonders ausgeprägt, weil dort gefüllt, gestopft, eingelegt und eingeschlagen wird, was das Zeug hält. Im Grunde ist alles Hülle und alles verbirgt einen duftenden Kern.

Aber wir kommen vom Weg ab. Die Mitte nämlich macht ein Poem namens Wwedenski aus, dessen Namensgeber ist jener Dichter ist, der einer der Flanken der Petersburger Oberiuten bildete (die andere war Charms). Diese Gruppe war gleichzeitig Höhepunkt und Ende der postrevolutionären russischen Avantgarde.

Wwedenski war für mich lange Zeit nur ein Gespenst. Nach der zaghaften Öffnung der Sowjetunion nach Innen,  zu ihrer eigenen Geschichte hin, schwappte zunächst nur Charms in mein Leben und der Name Wwedenski war ein Nachhall. Im letzte Jahr hab ich endlich ein Heftchen mit Texten von ihm erstanden und jetzt finde ich zu meinem Glück im Zentrum des Bandes „von Tschwirik und Tschwirka“ der aus Leningrad stammenden und in Frankfurt am Main wohnenden Dichterin dieses Poem, untertitelt mit „Eine Untersuchung in Versen“.

Ein Glück in zweifacher Hinsicht. Einerseits beschert es mir eine Wiederbegegnung mit jenem Gespenst, dessen Umrisse mir langsam sichtbar werden und andererseits ist das Poem selbst von eindringlicher Gestalt. Und was darin passiert kommt einem Wunder gleich. Der Text lässt einen Dichter auferstehen und zeigt auch die Bedingung seiner Dichtung auf eine dichterische Weise weit entfernt von jedem Akademismus. Es ist eher ein Zwiegespräch, die Zeit überwindend.

Wwedenski starb im Klammergriff zwischen vorrückenden Nazitruppen und politischer Verfolgung 1942 auf einem Gefangenentransport. Martynova macht in ihrem Poem zugleich die Lücke deutlich, die er hinterlassen hat, doch dieses Poem ist auch Trost, weil sie die Zeit als das nimmt was sie ist, Vergänglichkeit und somit gleichsam irreal.

Den Band eröffnet der lange und namensgebende Zyklus „Tschwirik und Tschwirka“. Hier ist die Autorin vielleicht am nächsten dran an den Oberiuten, an ihrer Eigenart, die mit absurd zu bezeichnen nicht ganz treffend wäre  und zu kurz griffe, denn während sich die westeuropäische absurde Literatur noch an Logik und Sinn abarbeitete, hatte die Russische sich  bereits befreit und eine Schönheit ganz eigener Art generiert.

Tschwirik und Tschwirka sind zwei Wesen, die von Charakter und Gestalt nicht festzulegen sind, Flatterwesen, vogelhaft, ein Paar, auf jeden Fall aber Sprachwesen, wenn man eine Grammatik jenseits des Sinns annehmen kann. Oder sagen wir lieber jenseits der Logik, weil Grammatik ja Inhalt und Sinn einer Sprache sein kann. Der Zyklus trägt den Untertitel „Gedichte aus dem Roman über Papageien“ und die Autorin merkt an: „ Diese Gedichte sind die unlogischsten und absurdesten, die ich je geschrieben habe, weil alles Rationale und Logische in die Prosa ging.“ Entsprechend schwer ist es auch, sie zu beschreiben. Im Grunde müsste ich diesem Text eine Tondatei mit den Ausrufen meiner Ver- und Entzückung beigeben.

 

„Ich weiß nicht, Tschwirik, ich habe nur Angst,

dass ein Raureif von außerhalb der Zeit

dieses Licht nur nicht einem Staubregen gleich

fallen lässt in ein unerhörtes Tra-ra.“

 

Diese Strophe beschließt das Gedicht „Tschwirka und Tschwirik führen ein Gespräch, während alles andere schläft“ und diese Strophe ist alles andere als repräsentativ und daher vielleicht für dieses Poem bezeichnend, denn nichts ist sich gleich.

Das dritte im Band enthaltene Poem heißt „Verse von Rom“ und ist der 2010 verstorbenen Lyrikerin Jelena Schwarz gewidmet. Die beiden Autorinnen haben sich in Rom getroffen, Schwarz hatte ein Stipendium der Brodsky-Stiftung in der Ewigen Stadt.

Das Vorwort des Textes ist überschrieben mit „Rom liegt irgendwo in Russland“. Und tatsächlich scheint Rom überall zu liegen, außer in Italien. Vielleicht weil Rom ein Ausgangspunkt europäischer Kultur war, entdeckt jeder europäische Künstler dort gewissermaßen retrospektiv in Rom die Auswirkungen seiner jeweiligen Herkunft.

 

„Rom, ich mochte deine Matrjoschka Plätze

wegen eines Treffens, das unverhofft war und wärmte im Winter.“

 

Und natürlich ist diese römische Begegnung zugleich viel mehr als eine Begegnung mit der eigenen Herkunft, sie ist Meditation über Geschichte, Vergänglichkeit und Kultur.

Martynovas Buch sei jedem empfohlen, weil die sich gegenseitig beleuchtenden Kulturen darin und durch die Autorin hindurch etwas geschehen lassen, was man als unbeschreibliches Drittes in der Lektüre selbst erfahren sollte.

 

Exklusivbeitrag

Olga Martynova: Von Tschwirik und Tschwirka, Gedichte, Droschl Verlag Graz – Wien 2012 ISBN 978-3-85420-831-0 - Eur 16,-