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Erzählungen
Ein Klassiker der slowenischen Literatur
29.07.2012 | Hamburg
Von Ivan Cankar (1876–1918), dem wichtigsten Autor der modernen slowenischen Literatur, liegt im Klagenfurter Drava Verlag, der seit 1995 regelmäßig Bücher von Cankar publiziert, inzwischen der 14. Band seiner Werke in deutscher Übersetzung vor. Nach etlichen Romanen hat der großartige Übersetzer Erwin Köstler diesmal Erzählungen ausgewählt. Die Texte des Bandes „Milan und Milena“ entstanden 1910 bzw. 1912 und wurden erstmals ins Deutsche übersetzt.
Drei Erzählungen umfasst der Zyklus „Wille und Kraft“: Melitta, Mira und Dana. Obwohl weibliche Vornamen, sind doch Männer die Hauptpersonen. Jakob ist ein talentierter junger Mann, dessen Ehrgeiz ihn aufstachelt, immer der Beste zu sein. Er leidet darunter, dass man ihm immer wieder vorhält, er sehe trotz seiner Jugend aus wie ein Greis. Als er die Zigeunerin Melitta kennenlernt, verliebt er sich und will von ihr das perfekte Porträt erschaffen, indem er danach trachtet, das Bild in sich zu sehen. „Der Mensch ist ein Schöpfer, sonst ist er kein Mensch“, fordert er und arbeitet gleichsam in Trance, „mit blinden Augen, die Hand war sich selbst Herr und Führer“, um dadurch Melittas „Gnade und Liebe zu erlangen“. Jedoch davon überzeugt, kläglich gescheitert zu sein, „nicht dich – mich habe ich erschaffen, mich und meine Ohnmacht“, zerstört er sein Werk und nimmt sich das Leben, während Melitta, „die Freundin ihrer Freunde“, mit einem fröhlichen Burschen nach irgendwohin verschwindet.
Jošt in der Erzählung Mira ist ein passiver Typ, der sich nicht entscheiden kann, ständig zwischen zwei Frauen, Mira und Fanny, hin und her pendelt. „Der Mensch muß manchmal seine Seele reinigen! Und zwar, damit er sich für die Sünde stärkt, die für ihn schon alltäglich und langweilig geworden ist.“ Er malt kommerzielle Dutzendware, die sich gut verkaufen lässt, jedoch keine künstlerische Substanz besitzt. Auch er träumt von einem Bild, das die Schönheit künstlerisch überhöht. „Denn ich wußte, wie schwach und faul ich bin: so schwach und faul, daß ich lieber im nassen Graben döse, anstatt froh auf die Straße zu gehen, und daß ich aus lauter Faulheit und Ohnmacht lieber zu Boden schaue als zum Himmel.“ Die wahre Kunst erscheint als Parallelwelt, wohin er niemals gelangt, sodass sein Idealbild niemals fertiggestellt wird. „Seine Freude war nie ohne Fleck und Makel, gezwungen war sie und erlogen; was ihm als reines Genießen erschien, ekelte ihn in der Erinnerung an wie eine niederträchtige Sünde.“ Das schlechte Gewissen plagt Jošt, ambivalent pendelt er dennoch zwischen der Sucht nach Sex und einer selbstanklägerischer Moral, zwischen Vergötterung und Verachtung.
Die Kluft zwischen Leib und Seele, Verlangen und konservativ katholischer Erziehung, äußert sich gleichfalls in „Milan und Milena“, der umfangreichsten Erzählung des Buches, ein Liebesmärchen, wie der Herausgeber treffend anmerkt, allerdings ohne Happyend, zu brüchig sind die Zeiten, in denen Milan und Milena agieren. „So entstand aus dem Leid Liebe, aus der Liebe Erkenntnis.“ Selbst die Landschaft erscheint erotisch aufgeladen. Schon bei der Erstkommunion ist Milena ein Schelm: „Mit gemessenen Schritten und sehr feierlichem Gesicht kam der Katechet. Milena kam es vor, als wäre Honig um seine Augen und seinen Mund geschmiert. Voller Honig war auch seine Stimme, die ihnen von der Heiligkeit dieses Tags und dieser Stunde sprach.“ Milan seinerseits ist kein Kostverächter, zeigt sich oftmals als schäbiger Geselle, wenn er etwa die Tochter seiner Zimmervermieterin sitzen lässt. „Mir scheint, ich habe jemanden umgebracht“, wird er sich allerdings seines miserablen Verhaltens bewusst, ist dann „niedergeschlagen, fast körperlich krank“. Indes erweist sich der Autor als neutraler Beobachter, der weder urteilt, noch verurteilt, vielmehr als Chronist seiner Figuren und seiner Zeit agiert. Nicht zuletzt darin liegt die Stärke und Aktualität von Ivan Cankar. Man kann Karl-Markus Gauß nur vorbehaltlos zustimmen, wenn er schreibt: „Es gibt keine Ausrede mehr, diesen großen europäischen Dichter nicht zu kennen.“
Originalbeitrag
Ivan Cankar: Milan und Milena. Erzählungen.Aus dem Slowenischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Erwin Köstler,Drava, Klagenfurt/Celovec 2011. 261 Seiten.