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Erzählung
Beyerl hatscht auf Seumes Spuren
03.09.2013 | Hamburg
Vor mehr als 200 Jahren „spazierte“ Johann Gottfried Seume von Wien nach Syrakus und berichtete in einem Buch von diesem „Spaziergang“. Beppo Beyerl folgte seinem Wanderer-Vorfahren entlang der Triester Straße, die es in ihrem Verlauf auf sieben Namen gebracht hat. Längst ist die 17-er Bundesstraße von der Südautobahn in den Schatten gedrängt worden, was sich an Industrieruinen und aufgelassenen Bahnhöfen nachvollziehen lässt, stattdessen sprießen Shopping Center aus den Böden, wohin keine „Einfahrt“, sondern ein „Drive-in“ führt.
Beppo Beyerl schaut genau hin und formuliert seine Beobachtungen sarkastisch, anders wären sie wohl kaum zu ertragen. Wie eine von den Nazis errichtete Wohnsiedlung die Vergangenheit ausgeklammert hat oder die nach dem deutschnationalen Pfarrer und Bundeshymnendichter Ottokar Kernstock benannte Gasse in Neunkirchen just zum jüdischen Friedhof führt.
Der Wanderer Beyerl gelangt auf den Semmering, erinnert daran, dass das Hotel Panhans vom Tschechen pan (Herrn Hans) gegründet wurde und wo Karl von Ghega dereinst für die Trasse der Bahn recherchierte und seine Pläne gezeichnet hat.
Inzwischen in der Steiermark ist von Koloman Wallisch die Rede, der bei den Kämpfen zwischen Schutzbund und Heimwehr 1934 vom Standgericht zum Tod verurteilt wurde, während vor einigen Jahren der Bahnhof von Puchberg privatisiert und in ein Shopping Center verwandelt wurde.
Maribor bietet Beyerl die Gelegenheit, ausführlich auf die Konflikte zwischen der slawischen Bevölkerung und der deutschen Besatzungsmacht einzugehen, warum sich junge Burschen den Partisanen anschlossen, und wie es zum Massaker von Frankolovo kam, als drei Monate vor Kriegsende als Vergeltung für den Tod eines Kreisführers 100 slowenische Zivilisten erhängt wurden. Besonders beeindruckend der Bericht eines slowenischen Denunzianten, der seine eigenen Landsleute den Nazis auslieferte. Eine Niedertracht, die ihresgleichen sucht.
Aber nicht nur von Gräulichkeiten berichtet Beyerl, in Ljubljana würdigt er dem Architekten Jože Plečnik, der die Stadt geprägt hat, sowie dem Schriftsteller Ivan Cankar, der als Begründer der slowenischen Literatur gilt. Knapp vor seinem Ziel verirrt sich der Wanderer im Karst, findet sich dennoch wieder zurecht und erreicht Triest. Eine Stadt, die ihrerseits von der Geschichte geformt wurde. Derart verbindet der Autor Kulturgeschichte mit Zeitgeschichte, achtet auf scheinbar nebensächliche Details, indem er durch Tiefen und Abgründe wandert – dabei nicht wie sein Vorgänger Seume mogelt, der behauptete, in einem Tag von Wien bis zum Semmering „spaziert“ zu sein.
Beppo Beyerl: Die Straße mit 7 Namen – Von Wien nach Triest. 97 Seiten ,ISBN 978-3-85409-650-4, Euro 19.80 Löcker Verlag, Wien 2013.
Manfred Chobot hat zuletzt über Abteil Nr. 6 von Rosa Liksom auf Fixpoetry geschrieben.