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Prosa
„Ein Refugium der Nutzlosigkeit“ — Jakob Augstein schwadroniert im Garten
12.08.2012 | Hamburg
Der Garten ist wohl eine der ältesten Metaphern der Menschheit. Eden — das „Üppigland“, in dem der Mensch zur Erkenntnis gelangte —, ein vergangener Sehnsuchtsort und ein zukünftiges Versprechen. Diesen Garten zu hüten, das heißt: zu bewahren und pflegen, war Aufgabe des Menschen, als es noch eine göttliche Ordnung gab, und im Umgang mit dem Garten spiegeln sich politische Ideologien und Gesellschaftssysteme wieder: Der französische und der englische Garten, sie repräsentierten einerseits die gezähmte, untertan gemachte Natur, ebenso geometrisch streng wie verspielt erfindungsreich, und andererseits die harmonische Zügelung, im Einklang mit den Bäumen und der Landschaft. Garten, das ist nämlich die Parkanlage, der Landschaftsgarten, die Architektur mit Pflanzen, die Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und Johann Friedrich Eyserbeck für den Fürsten von Anhalt-Dessau in Wörlitz oder Hermann von Pückler-Muskau in Muskau und Branitz geschaffen haben. Über die Geschichte des Gartens als Kunstform hat Marie-Louise Gothein einen bis heute kaum übertroffenen Klassiker geschrieben. Eine besondere Form des japanischen Gartens ist der Zen- bzw. Steingarten, dessen wogende Muster zur meditativen Versenkung einladen sollen. Aus den Armengärten des 19. Jahrhunderts ist der heutige Nutzgarten hervorgegangen, der sogenannte Schrebergarten, das Grundstück hinter oder vor dem eigenen Haus. Kurzum: Die Gartenformen sind vielfältig, der Garten ein vielbeschriebener Ort.
Rudolf Borchardt hat die Schönheit der Pflanzenwelt und Taxonomie in einem leidenschaftlichen Buch dargestellt, Jürgen Dahls Essays über den Garten sind praktischer, erdiger, jedoch kaum weniger elegant und zuweilen recht spitzzüngig. Im englischen Sprachraum, wo man ein anderes Verhältnis zur Natur und zum Nature Writing hat, mehr als in den mitteleuropäischen Breitengraden, ist die Fülle an Betrachtungen über den Garten unüberschaubar. Die Erwartung und Meßlatte ist also hoch, wenn man Jakob Augsteins Gartenbuch in die Hand nimmt. „Die Tage des Gärtners“: das klingt nach einer geradezu epischen Ausformung. „Vom Glück, im Freien zu sein“: das deutet auf ein antiurbanes, womöglich aufsässiges Buch hin. Das Feld wäre weit, auch wenn die Parzelle klein ist. Der erste Satz bei Augstein: „Dieses Buch handelt von meinem Garten und allem, was darin ist. Nicht mehr und nicht weniger.“ Er befindet sich irgendwo in Berlin, und „es dauert 19 Sekunden, diesen Garten in der Länge und 12 Sekunden ihn in der Breite abzuschreiten“.
Im Gang durch die Jahreszeiten und im klar umrissenen Areal berichtet Augstein mit Witz und Verve von den größeren und kleineren Tücken des Gärtnerdaseins. Das Anlegen eines Teiches ist eine so heikle Angelegenheit wie die Auswahl der Pflanzen hinsichtlich der Mühe, die man investieren muß, des Standortes und des Kaufpreises. Vor allem der Rhododendron hat es ihm angetan, dem er manche kenntnisreiche Seite widmet. Auch sonst tummelt sich der Gärtner in den Aberwitzigkeiten der Taxonomie. Dabei kann Augstein auf eine beträchtliche Fülle von Allusionen bauen, von den Asterix-Comics — immerhin, laut Kindler, „Kleinepen“! — bis zu Ovid und Brecht. Von Alwin Voigt zu Alfred Döblin. Von John Seymour zu William Wordsworth („Übersetzt klingt es immer noch sehr hübsch, aber ein bißchen ringelnatzig“). Allerhand gewollte und ungewollte Funde, etwa Tierknochen und „armdicke Fernmeldekabel aus dem Krieg, weil im Dachboden des Nachbarhauses eine Abhörstation der Nazis untergebracht war“, sind in seinem Garten anzutreffen, darüber hinaus verschiedene Bodenbeschaffenheiten und Gerüche, abhängig jeweils von der Jahreszeit.
Das alles ist fein beobachtet, und doch will sich diesen guten Ansätzen zum Trotz kein rechtes Vergnügen einstellen, erst recht nicht das apostrophierte Glück, im Freien zu sein. Zum einen liegt das am unerträglich schnoddrigen Stil, der wohl feuilletonistisch attraktiv ist, aber für literarische Ansprüche allemal zu niederschwellig („nicht schlecht, denke ich, Hölderlin, alle Achtung“). Zum anderen an dem juppiehaften Gehabe und an so manchen überflüssigen Kommentaren. Welcher Erkenntniswert liegt in der Information, daß der Autor eine tief verwurzelte Abneigung gegen die Farbe Gelb hat oder nicht in der Lage ist, mit Beil und Zimmermannshammer umzugehen, ohne sich schwere Verletzungen zuzuziehen? Oder daß ihm „die Vorbewohner unseres Hauses einen reichlich durchgeknallten Eindruck machten“? Spätestens wenn der Autor von seiner Vorliebe für Gartenbaumärkte schwandroniert oder bestimmte Baumschulen, Zwiebelkataloge, Rosenzüchter und teure, handgefertigte Ausstattungen empfiehlt, keimt im Leser der Verdacht auf, daß hier kein wirklich profundes Gartenbuch vorliegt, sondern nur eine saloppe Anleitung für den etwas verkopften, aber doch stets trendigen Jungbürger. Nur so wären die ständigen direkten Ansprachen, in einem vertraulichen und oberlehrerhaften Ton verständlich, wenn auch nicht zu entschuldigen.
„Die Tage des Gärtners“ ist ein Buch für die Masse, ein Wohlfühlbuch, das witzig ist, ein paar philosophische Brocken hinstreut, die zum Nachdenken anregen, aber letztlich nicht wehtun, und en passant kleine praktische Hinweise liefert. Der echte Naturliebhaber, Gartenfreund und Literaturleser kann jedoch bestenfalls nur enttäuscht, schlimmstenfalls schwer verärgert sein, und wird sich auch weiterhin eher an Rudolf Borchardt halten wollen: „Die Verwandlung des Gartens in die Blumenlandschaft, deren geheime Ordnung zwischen den Forderungen der eindringenden Blume und der verteilenden menschlichen Bedingung ausgehandelt und von seiner Phantasie im Sinne eines traumhaft vorschwebenden Ganzen verwaltet wird, stellt den Gärtner vor Aufgaben des Handwerks, denen nur mit Nüchternheit zugleich und mit sehr genauer und feiner Hand zu genügen ist.“
Exklusivbeitrag
Jakob Augstein: Die Tage des Gärtners. Vom Glück, im Freien zu sein. Gebunden, 266 Seiten, 17.90 Euro, ISBN: 978-3-446-23875-6. Carl Hanser Verlag, München 2012.