Laß still bei dir mich liegen

Liebesgedichte – herausgegeben von Erwin Chvojka

Autor:
Theodor Kramer
Besprechung:
Jan Kuhlbrodt
 

Liebesgedichte – herausgegeben von Erwin Chvojka

Das Phänomen Kramer

09.09.2012 | Hamburg

Das hier vorliegende Buch Lass still bei dir mich liegen mit Liebesgedichten von Theodor Kramer erschien zuerst 1994 und wurde von Erwin Chvojka herausgegeben, dem vom Dichter eingesetzten Verwalter des Nachlasses und Ehrenmitglied der Theodor Kramer Gesellschaft, die sich große Verdienste in der Betreuung und Verbreitung von Kramers Werk, aber auch von anderen Emigranten zur Zeit des Nationalsozialismus und der Besetzung Österreichs erworben hat.


Kurz zu Kramers Biografie:

Er wurde 1897 in Niederhollabrunn in Österreich geboren. Er entstammte einer jüdischen Familie, sein Vater war Arzt. In Wien schloss Kramer sich den Sozialdemokraten an und war Mitbegründer der bald darauf verbotenen „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“.  Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde er mit einem Arbeits- und Schreibverbot belegt. Seine sämtlichen Schriften kamen auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. 1939 gelang zunächst seiner Frau Inge Halberstamm und danach ihm selbst die Flucht nach London. Wo er die britische Staatsbürgerschaft erhielt und bis 1957 lebte. Auf Drängen enger Freunde kehrte er nach Wien zurück und starb am 3. April 1958 nach einem Schlaganfall.

1930 / Foto: Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft
Quelle: das rotewien.at/weblexikon der wiener sozialdemokratie

Kramer hinterließ einige der eindringlichsten Gedichte, die sich mit Faschismus, Flucht und Heimatlosigkeit befassten. Allein sein „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“ ist ein Dokument sondergleichen.

In diesem Buch aber finden sich seine Liebesgedichte versammelt. Es wurde für diese Ausgabe um einige Texte, die neu entdeckt wurden, und um ein sehr gutes Nachwort von Daniela Strigl Rucksack und rosige Betten ergänzt.

Theodor Kramer ist kein Dichter für feine Leute, er ist ein Straßensänger, ein Musikant der Peripherie … so Strigl.

Und wahrscheinlich war es genau das, was mich in meiner Jugend so anzog. Diese Empathie. Die Solidarität mit den Unterschichten und Ausgestoßenen. Die Sprache dabei einfach, aber kunstvoll.

Es gibt wenige Gedichte, die ich auswendig kann, und wenn, dann habe ich sie nicht gelernt. Sie kamen gewissermaßen zu mir, und es ist nicht mehr zu rekonstruieren, wann. Eines von diesen Gedichten ist Theodor Kramers


Wohin sollen wir nun gehen

Vorbei an schwarzen Schütten

laß uns stromabwärts gehen,

bis wo die Badehütten

in langer Reihe stehn;

vergaß man sie zu sperren,

hat eine für uns Platz,

dieweil die Wellen zerren,

am Gras vor Nacht, mein Schatz.


So lautet die letzte Strophe dieses Gedichtes und mein Herz macht jedes Mal einen Sprung, wenn ich innerlich den Vers „bis wo die Badehütten“ rezitiere. Das hat sicherlich mindestens zwei Gründe. Einmal das Wort Badehütte, das ich nur als Wort kenne. Ich habe, außer auf alten Schwarzweißfotos nie in meinem Leben eine Badehütte gesehen. Aber gewünscht habe ich sie mir weiß Gott, wenn ich mir im Sommer im Freibad die nasse Badehose gegen eine trockene wechselte, während ich meine Nacktheit mühsam unter einem Handtuch verbarg. In einer solchen Badehütte im einbrechendem Herbst mit der Liebsten Zuflucht zu finden: Ein größeres Glück war dem Pubertierenden nicht vorstellbar, der gerade zum ersten Mal Verse von Theodor Kramer gelesen hatte. Und dann noch die durchaus kalkulierte Unbeholfenheit des Verses bis wo die Badehütten, die das Volksliedhafte des Kramerschen Textes noch verstärkt.

Nun bin ich schon länger nicht mehr in der Pubertät, aber die Faszination die von Kramers Texten  ausgeht, hat nicht nachgelassen, und sie ist nicht beschädigt worden, durch all die Ulk- und Spaßreimer, die mir seither begegnet sind.

Und ein wenig ist es mir wie eine Befreiung, diese zum Großteil endgereimten Gedichte zu lesen, die sich, um ihn zu erhalten, nicht einem verschämt versteckten Binnenreim bieten, sondern mit dem Reim sozusagen ins Haus fallen.

Und, so scheint mir, es ist hohe Kunst, derart zu dichten, ohne dass die Verse klappern wie die Topfdeckel einer Kinderkapelle, während jene Kinderkapelle im Hintergrund immer noch mitspielt, als Echo anwesend bleibt. Ich bin geneigt, vom Wunder Kramer zu sprechen.

 

Exklusivbeitrag

Theodor Kramer :Laß still bei dir mich liegen Liebesgedichte.
ISBN 978-3-552-05358-8 € 15,90 Zsolnay Verlag Wien 2005
2. Auflage 2012