Die Schrecken des Meeres und der Finsternis
23.09.2012 | Ursprünglich 1938 erschien Richard Hughes‘ Roman „In Hazard: A Sea Story“ in London. Dass es nun, übersetzt von Michael Walter, erstmals auch auf Deutsch vorliegt, ist ein Gewinn und eine Entdeckung. Den Vergleich zu Joseph Conrad, der mehrfach bemüht wurde, braucht Hughes nicht scheuen, ebensowenig zu hochkarätigen „Sea Stories“ neueren Datums, allen voran Christoph Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ ...
Reise als Symbolraum
22.09.2012 | „Immer noch glaube ich heimlich, dass alles was ich sage (alles was irgendjemand sagt?) gelogen ist; immer noch glaube ich heimlich, dass alles, was ich schreibe (alles, was irgendjemand geschrieben hat?) wahr ist.“ Mit diesem Credo im Rucksack unternimmt Thomas Stangl in neunzehn unterschiedlich langen Texten eine fulminante Reise durch Städte und Landschaften, durch Gedächtnisspuren und Zustände. Dabei geht es in seinen Essays, ...
Die Insel der Insel
21.09.2012 | Der junge Greifswalder freiraum-verlag legt im ersten Jahr seiner Existenz bereits Bücher vor, die ich wohl für lange Zeit zu meinen liebsten zählen werde. Die zwei Titel seines Herbstprogrammes erweckten schon in der Ankündigung Vorfreude und Lust, und der erste Herbsttitel Ich verstehe nichts vom Monsun liegt nun auf meinem Schreibtisch. Dem Buch tEXt bILd von Angelika Janz, das bald erscheinen wird, blicke ich mit Vorfreude entgegen. Peters' Werk ...
Ein Buch ist eine Stadt
20.09.2012 | Am 26.08.2012 um 17:34 landete ich in Cyberspasz, einem Buch, das eigentlich eine Stadt ist, eine Migropole, ein Wohnmeer, durchschnitten von Magistralen, ein Gedicht, eine Erfindung, zu real, um darin zu leben, der Asphalt schmilzt, es brennt an jeder Ecke, die Tage sind dünn, wie Zelluloid, unter den Milchglastischen liegen blaue Blumen oder tote Hasen, und wer nicht von herabfallenden Ziegelsteinen erschlagen wird, wird es von der Anzahl der Netzanbieter. ...
Das Imperium der Kreativität
20.09.2012 „Sei kreativ!“ heißt der unumgängliche Imperativ unserer Zeit. Vom Kindergarten bis zum Altersheim: Kein Einkaufszentrum ohne Mitmachbühne; keine Medienkampagne ohne Einsendemöglichkeit für gestaltungswütige Interaktive; kein Waldspaziergang ohne kreativ gestaltete Holz- oder Steinblöcke am Wegesrand. Jeder darf inzwischen nicht nur Künstler sein, er soll es, will es und muss es. Nicht nur im Hinblick auf die Schaffung von Kunstwerken: ...
Die Selbsterfindung des modernen Menschen im Journal-Roman: Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
19.09.2012 | Ja, Rilke! – das hybride Buch (fiktives Tagebuch, fiktiver Briefroman, Roman, Prosapoem) des bereits eminenten Lyrikers, geschrieben zwischen 1904 und 1910, ist ein Versuchslabor von Denk-, Empfindungs- und Schreibweisen unserer postsymbolistischen Moderne. Der von Rilke „Roman“ genannte Text erschien 1910. Da hatte der Autor bereits wesentliche Gedichte in Sammlungen wie dem Stundenbuch, dem Buch der Bilder und den Neuen Gedichten veröffentlicht. ...
Der Hundebändiger
18.09.2012 | Im Original heißt „Der schwarze Hund. Eine Denkschrift über die Depression“, die einen Essay und 24 Gedichte von Les Murray umfasst, Killing the black dog. Aber töten lässt sich dieser Hund nicht, wie Murray im Nachwort feststellt. Es ist bestenfalls möglich, den Umgang mit ihm zu lernen, ihn zu bändigen. „Wenn Sie jetzt auf dem Heimweg einen Autounfall hätten und wir bei der Obduktion ihr Gehirn sezierten, ...
roughbooks »lyrik als sprachmusik spinat«
17.09.2012 | Ein neues Buch aus dem Hause Engeler, der mit Hilfe von Literaturzeitschriften und Verlagen gegenwärtiger Prosa und Lyrik zu jenem Seitenkanon verhilft, welcher ihnen zusteht. Ein neues Buch also. Ein rougbook, um genauer zu sein. Gemeinsam mit Christian Steinbacher hat sich Florian Neuner, der sich seit längerem schon „neue Prosa“ auf die Fahne geschrieben hat und in seinen Idiomen zuletzt auch den Autor dieses Buches für sich und aufs Neue entdeckt hat, ...
Katzengarn und Leibspeisen. Erlesenes aus Berlin Schöneberg
16.09.2012 | Seit einiger Zeit schleicht ein Kätzchen durch Berlin Schöneberg und lockt Künstler aus allen Bereichen an. Im pussy-Salon überlassen die Veranstalter Kathrin Schadt und Christian Ingenlath diesen Künstlern die Bühne. Jeder Abend steht unter einem anderen Motto. Immer mit dabei: Die Katze. Jetzt erscheint im tauland-verlag ihre erste Salon-Anthologie. ...
Jeder gegen jeden! Nora Bossong beschreibt den Niedergang eines Familienunternehmens
15.09.2012 | Man sollte sich von den Ausführungen auf dem Schutzumschlag nicht in die Irre führen lassen. Nora Bossongs neuer Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ handelt allenfalls am Rande vom Aufstieg eines Familienunternehmens; im Mittelpunkt steht vielmehr dessen Untergang. Und auch von den vier Generationen, von denen dort die Rede ist, erfährt man Näheres lediglich über die letzten beiden. Vom Urgroßvater Justus, dem Gründer von Tietjenfrottees, ...
Michael Starckes tröstliche Lyrik
14.09.2012 | Der Dichter Michael Starcke, geboren 1949, lebt und arbeitet in Bochum, wo er als Apotheker seinen Lebensunterhalt verdient. Erkennt Menschen und ihre Gebrechen. Sein neuer Gedichtband heißt tröstlich die grüne decke, soeben erschienen im Verlag Früher Vogel. Das Buch verzeichnet auf den letzen Seiten nur zwei von Starckes zweiundzwanzig früheren Bänden – ...
Die Kunst des Grabens (der Maulwurf) | Zu den Sonetten von Christian Hawkey
13.09.2012 | Lassen sie mich diesen Text mit einer These beginnen: Das Sonett ist die ursprüngliche Form des freien Tiergedichts, nirgendwo sonst können Tiere ihre eigentümliche Schönheit entfalten, nirgends sonst gehen sie als Freie aus der Dichtung hervor und müssen nicht für die Menschen eigentümliche Eigenschaften repräsentieren. ...
Taumeln durch die Provinz
13.09.2012 | Der Lesetag ist immer dann gerettet, wenn ich ein Heft des hochroth Verlags im Briefkasten finde. Ich kann mich am Design und der Haptik der schmalen, nummerierten und durch eine Plastikhülle geschützten Bändchen nicht satt sehen und fühlen. Im Inneren gab es diesmal zwanzig Gedichte des gebürtigen Erfurters Maik Lippert, die unter dem Titel Sehnsucht Provinz zusammengefasst sind. Erwarten könnte man da eine ...
Mit Herz und Herd. "Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen, und die Unwägbarkeiten der Liebe."
12.09.2012 | Ein Paradox: Je mehr Leute auf Fix & Fertiggerichte und Convenience -Zubereitung setzen, je mehr der Außer-Haus-Verzehr zunimmt und der heimische Herd kalt bleibt, um so mehr haben Koch-Shows im Fernsehen Konjunktur. Von subalternen C-Promis bis hin zu biederen Landfrauen lässt sich heute jeder in die Töpfe gucken, TV-Köche bleiben nicht bei ihren Leisten, sondern frequentieren auch das Abend-Entertainment und die Buchregale – es scheint, ...
Aus den Köpfen Absurdistans
11.09.2012 | Zuerst dachte ich: ‚Ah, diese Sorte Lesebühnentexte - nicht Lyrik, nicht Prosa, recht munter, kurzweilig und frisch formuliert, aber immer auf den nächsten Lacher aus und nicht länger als drei Tage haltbar…‘ - Pustekuchen! Je länger ich in Anja Fingers Textsammlung „teer. notizen aus bodenhaltung“ las, umso mehr schwante mir, dass mit Bodenhaltung keineswegs ein Begriff aus der Hühnerzucht gemeint ist. Sondern eine Erzählhaltung. ...
Perfekte Texte: hellwach, uneigentlich und unverfänglich
10.09.2012 | „Seit zehn Ausgaben steht die Jahresanthologie des Deutschen Literaturinstituts Leipzig für jüngste deutsche Literatur, seit zehn Jahren gibt sie kontinuierlich Einblicke in das Schreiben der Studierenden – 2012 feiert die Tippgemeinschaft also ein rundes Jubiläum.“ So schreiben die Herausgeber auf ihrer Homepage und eingangs im Editorial dieses 288 Seiten starken Konvoluts incl. CD, das sehr kompakt daherkommt und gerade als Paperback richtig schwer in der Hand wiegt. ...
Die Koordinaten eines Lebens
10.09.2012 | „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, hatte die Großmutter am Rand der Grube zu ihr gesagt. Aber das stimmte nicht, denn der Herr hatte viel mehr genommen, als da war – auch alles, was aus dem Kind hätte werden können, lag jetzt da unten und sollte unter die Erde.“ Statt unter die Erde kommt das Kind in Jenny Erpenbecks meisterhaften Roman „Aller Tage Abend“ immer wieder mit dem Leben davon. ...
Das Phänomen Kramer
09.09.2012 | Das hier vorliegende Buch Lass still bei dir mich liegen mit Liebesgedichten von Theodor Kramer erschien zuerst 1994 und wurde von Erwin Chvojka herausgegeben, dem vom Dichter eingesetzten Verwalter des Nachlasses und Ehrenmitglied der Theodor Kramer Gesellschaft, die sich große Verdienste in der Betreuung und Verbreitung von Kramers Werk, aber auch von anderen Emigranten zur Zeit des Nationalsozialismus und der Besetzung Österreichs erworben hat. ...
Von Anfängen und letzten Gängen
08.09.2012 | Je weniger er erzählt, umso größer wird im Kopf des Lesers der Stoff. LOS ist eine Implosion ins Wesentliche“, schrieb Helmut Schönauer anlässlich des Erscheinens von Klaus Merz Novelle 2005, die nun als Taschenbuch vorliegt. LOS ist die Geschichte eines Verschollenen, der nie wieder aufgetaucht ist. Dass seine Geschichte trotzdem erzählt wird, verdankt er einem Erzähler, der die dem Buch vorangestellten Sätze von Walter Benjamin ernst nimmt. ...
Vildés Denken
07.09.2012 | Der wahre Stolz schert sich wenig um die öffentliche Meinung und nicht mal um die der Nächsten. Der wahre Stolz ist der, welcher fortdauert auf einer Einzelzelle oder auf einer abgelegenen Insel. Das Zitierte findet sich als Reflexion auf eine Sentenz Pascals in einem der letzten Einträge des Tagebuchs von Boris Vildé. Es wurde am 5. Januar 1942 notiert. Ein faschistisches Gericht wird den russisch/französischen Widerstandskämpfer kurz darauf zum Tode verurteilen. ...
weitere Beiträge: