Das Tiefbegrabene und das Plötzliche
20.10.2012 | Was macht eine Beziehung aus, die hauptsächliche aus Briefen, Widmungen und Postkarten besteht und in der die Beteiligten sich innerhalb von sechs Jahren nur zehn- bis elfmal sehen können? Mit „Sehr geehrter Herr Celan“ eröffnet im Juli 1964 die 24 Jahre alte Germanistik-Studentin und spätere Literaturwissenschaftlerin Gisela Dischner den Briefkontakt mit dem damals 43 jährigen berühmten Dichter und anhand von 121 schriftlichen Lebenszeichen kann der Leser verfolgen, ...
Irrer Spaß
19.10. 2012 | Morgen Abend wird in Berlin in der Z Bar das literarische Debüt Daniel Kettelers ausgeliefert und vorgestellt . Das wird sich als ein literarisches Ereignis erster Güte erweisen und wahrscheinlich auch als satte Party. Denn Ketteler steigt hoch ein in die Kunst, und er ist ein Tausendsassa. Mitherausgeber der Literaturzeitschrift [sic], Verleger Musiker und Arzt. Aber nicht einfach irgendein Arzt, nein, er ist zu allem Überfluss Nervenarzt, wie meine Mutter sagen würde.
Des Nachbars Perlhuhn schreit wie eine Uhr. Christine Lavants ausgewählte Gedichte
17.10.2012 | „Ich will das Brot mit den Irren teilen, / täglich ein Stück von dem großen Entsetzen“ – eine klassische Beinahe-Vergessene ist diese ehrfurchtgebietende Dichterin, deren Lyrik immer auch einen Schatten der Legende trägt, die aus der Zumutung eines ertragenen Lebens herrührt. Das nicht sehr umfangreiche Werk der 1973 im Alter von 58 Jahren gestorbenen Kärntnerin gehört zum Berührendsten und Dunkelsten, was die österreichische Literatur ...
Gekommen um zu bleiben
16.10.2012 | Was ist eigentlich der Status Quo im Printbereich: Wo wird sich dezidiert mit Pop und Populärkultur auseinandergesetzt? Neben der renommierten testcard gibt es nur einige wenige Magazine, die sich in einem größeren Umfang ernsthaft popkulturellen Themen widmen. Selbst die ein- oder zweimonatlich erscheinenden Zeitschriften, durch ihre Bindung an tagesaktuelle Themen und ihre Platzbegrenzung keine passenden Medien für wirklich profunde ...
Schlaglichter
15.10.2012 | Der Berenberg Verlag hat in diesem Jahr ein Lyrikprogramm gestartet. Die Begründung dafür ist brisant: Ein angelsächsischer Verleger hat mal gesagt, ein Verlag, in dem noch nie Gedichte veröffentlicht wurden, sei eigentlich gar keiner. Den Berenberg Verlag gibt es nun schon seit fast acht Jahren. Damit er endlich auch als Verlag bezeichnet werden kann, erscheinen bei uns im Herbst zum ersten Mal zwei Bände mit Gedichten, so Heinrich von Berenberg. ...
Nachdruck und Depotenzierung
14.10.2012 | Das Buch prescht voran mit einem markigen, blockig alliterierten Titel: Dante Deutsch. Nicht nur denkt man da an den Stolz der Übersetzung (Die ganze Heilige Schrift Deutsch) oder die Avantgarde der Volkssprache (Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch), da erwartet man auch eine Auseinandersetzung mit Dante Alighieri (1265-1321). Aber der neue Band von Michael Buselmeier macht es einem nicht einfach, den vieldimensionalen Aplomb des Titels nachzuvollziehen. ...
Ein großes Haus mit kleinen Zimmern
13.10.2012 | Möglicherweise erlebt die Kurzprosa, die Prosaminiatur bzw. das Prosagedicht gerade eine kleine Renaissance. In den unabhängigen Literaturzeitschriften ist sie bzw. es immer öfter vertreten, wie zum Beispiel im jüngst erschienenen poet 13 des Leipziger poetenladen Verlags. Da mag es besonders gut passen, dass die erste Veröffentlichung der Leipziger Dependance des hochroth Verlags einen Band mit Prosaminiaturen darstellt. Es handelt sich dabei um das Debut von Lisa Vera Schwabe. ...
Wider die Verklärung der Verklärung – „Ruhm tötet alles“ – Der Briefwechsel zwischen Jack Kerouac und Allen Ginsberg
10.10.2012 | Dieser Tage ist ja – zum Neunzigsten von Jack Kerouac – die Verfilmung seines Romans „On the Road“ in den deutschen Kinos angelaufen. Der Film ist nicht der Rede wert: er hat einen netten Soundtrack, ein paar hübsche Landschaftsbilder und man kann sich die Titten der Twilight-Darstellerin Kristen Stewart angucken. Ansonsten kommt er einer Endlosschleife aus Jack-Wolfskin- und Aperol-Spritz-Werbung gleich. Zwei smarte Jungs, ...
Nicht Vergangenheit
08.10.2012 | Ursula Krechel erhält den Deutschen Buchpreis 2012 für ihren Roman „Landgericht“
Warum eine Mörike-Ausgabe? Darum!
08.10.2012 | Um es gleich vorweg zu sagen: zu diesem Buch kann man Herausgeber und Verlag nur gratulieren. Ein Klassiker wie Mörike scheint hin und wieder in der Versenkung zu verschwinden, hat aber dann doch wieder Konjunktur. Das mag am literarischen Zeitgeist liegen, es kommt aber auch darauf an, wer sich seiner auf welche Weise annimmt. ...
Open Mind
06.10.2012 | Wahrscheinlich ist mir John Cage zum ersten Mal durch die Kunde von einem seiner Werke begegnet. Ja, ich bin mir sicher, dass damals kein Name fiel, es muss in oder kurz vor der Abiturzeit gewesen sein, einer Zeit also, in der man sich mit den virtuellen intellektuellen Begleitern ausstattet, die einem helfen sollen, in den Wirren des Kommenden zu bestehen. Dass es in Amerika einen Komponisten gäbe, der ein Stück geschrieben habe, bei dem für die Zeit der Aufführung nichts passiere. ...
Die philophische Zwiebel – oder vom diskreten Charme der Dinge
05.10.2012 | Sie sind so leise. Man hört sie kaum. Die Stimmen der sprachlosen Dinge. Sie schauen uns an. Wir sehen sie nicht. Nur unsere Sicht der Dinge. Doch wer ihm lauscht, dem stummen Chor, wird manches anders sehen. Und aus Sicht der Dinge erst beginnen zu verstehen. Das klingt wie ein Rätsel. Und ist es auch. "Die Sicht der Dinge" stellt einfach alles auf den Kopf. Auch die Poesie. Das zeigt Helwig Brunner in seinen neuen gleichnamigen Rätselgedichten....
„Ausmaß der Kaputtheit“ – Rainald Goetz’ „Johann Holtrop“ ist kein Gesellschaftsstück, sondern eine grandiose Typenstudie
04.10.2012 | In den Feuilletons musste Rainald Goetz in den vergangenen Wochen für seinen neuen Roman „Johann Holtrop“ viel Prügel einstecken. „Goetz als Romancier – muss nicht mehr sein“, schrieb Andreas Platthaus in der FAZ. Und in der ZEIT konstatierte Iris Radisch: „Tiefere Einblicke in die großen Wirtschaftsskandale der jüngsten Vergangenheit“ liefere das Werk nicht. „Allenfalls ein kleiner Literaturskandal mag dabei herauskommen“. ...
Die flüchtigen Spuren der Vergangenheit
03.10.2012 | „J. Monika Walther schreibt eine sozial engagierte Poesie“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Roters-Ulrich über die jüdisch-protestantische Dichterin, die in Leipzig und Berlin aufwuchs und seit Mitte der Sechziger im Münsterland und den Niederlanden wohnt. Ihr neuer Gedichtband „Windblüten Maschendraht“ ist unlängst in der Edition Haus Nottbeck erschienen, die insbesondere der aktuellen westfälischen Lyrik ein Forum bieten soll ...
Räume hinter der Grenze
02.10.2012 | Möglicherweise hat Epikur Recht, und wir haben nichts mit dem Tod zu schaffen, weil er nicht ist, solange wir leben und wir nicht mehr leben, sobald er eingetreten ist. Allerdings betrifft diese Weisheit nur den eigenen Tod. Was aber ist mit dem Tod der anderen? Des geliebten Menschen? Ist dieser Tod die quälende Abwesenheit, oder eine neue unheimliche Anwesenheit der Vergangenheit, die nicht vergeht, weil sie eingeschrieben ist in das Leben desjenigen, der weiterlebt? ...
Der Krieg, die Liebe und der Waggon
01.10.2012 | Fast den gesamten gestrigen Tag, es war ein sehr schöner und auch warmer Frühherbsttag, habe ich mit der Lektüre des Buches „Die Manon Lescaut von Turdej“ zugebracht. Ein wundervoll gestaltetes Buch, auf dessen Klappen Gesichter sich aus Schwarzweißfotografien schälen, als wollten sie aus einer Vergangenheit heraus herüber grüßen. ...
Loose and baggy monsters
30.09.2012 | Wenn die Übersetzung eines Gedichts einen mindestens genauso harten Kampf um das richtige Wort bedeutet wie das Verfassen des Gedichts selbst – ist der Rezensent dann angehalten besonders rücksichtsvoll oder besonders pingelig zu lesen und zu urteilen? Wirklich sicher bin ich mir in dieser Frage nicht. Aber ich weiß, dass ich zunächst keine Lust habe weiterzulesen, wenn in einem durchaus zarten Liebesgedicht das englische panties mit Schlüpfer übersetzt wird. ...
Russischer Winter mit lila Riesendoggen
28.09.2012 | Wer Spaß an Gesellschaftskritik mit Ausflügen in die von Zwergen, Riesen und Zombies bevölkerten Welt der Groteske hat, sollte den neuesten Roman des russischen Autors Vladimir Sorokin „Der Schneesturm“ lesen. In ihm erzählt er, wie der Landarzt Platon Iljitsch Garin und sein Kutscher Kosma, genannt Krächz, bei einer abenteuerlichen Reise durch eine tief verschneite Landschaft auf einem Pferdeschlitten nicht nur ständig ...
Still confused, but on the highest level – Stephan Thome erzählt in seinem zweiten Roman vom Zusammenleben und Zusammenbleiben
26.09.2012 | Hartmut Hainbach hat einiges erreicht in seinem Leben. Und er ist zu Recht stolz darauf. In den Berichten der Politik würde er ein gutes Beispiel dafür abgeben, dass Aufstieg durch Bildung, trotz aller gegenteiligen Unkenrufe, nach wie vor möglich ist. Aus sogenannten „einfachen Verhältnissen“ stammend hat er es, nach seiner Promotion in den USA – Steckenpferd: Sprechakttheorie – und einigen kurzen akademischen Zwischenstationen ...
Reise durchs vergangene Europa
24.09.2012 | Immer mal wieder erscheint ein Buch mit Erzählungen, Prosaminiaturen oder ein Roman, in dem der Alltag der Menschen zwischen Jahrhundertwende und einbrechendem Faschismus die Hauptrolle spielt, der Alltag also, der, wie es scheint, durch die Barbareien des vergangenen Jahrhunderts nur noch als eine Erinnerung durch die Brille eines Erzählers wahrgenommen oder rekonstruiert werden kann. Zu viele Traditionen ...
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