Der Pianist spielt nachts nur Liszt
07.09.2012 | Was spricht den interessierten Leser an einem Gedichtband besonders an, ist es das verwandt Erscheinende und in eine vertraute Stimmung Versetzende, ist es das Fremde und Befremdliche – oder eine Mischung aus beidem? Vor diese Fragen wird der Lyrikfreund bei jeder Lektüre, auf die er sich eingehender einlässt, aufs Neue gestellt. Im Falle von Mirko Bonnés Sammlung „Traklpark“ drängt sich keine schnelle Antwort auf. ...
Eine Chronologie von Albtraum und Tod
06.09.2012 | „Teheran. Stadt ohne Himmel“ bildet den Abschluss von Amir Hassan Cheheltans Trilogie um die iranische Hauptstadt. Auf Deutsch liegt der Roman nun erstmals ungekürzt und ohne Rücksicht auf die iranische Zensur vor. Die ersten Bände, „Teheran. Revolutionsstraße“ (P. Kirchheim, München 2009) und „Amerikaner töten in Teheran“ (C.H. Beck, München 2011), konnten in Iran bislang nicht erscheinen. ...
Von Abalone bis Zi-Fisch: Jeffrey Yangs poetische Aquaristik
05.09.2012 | Im Mittelalter verstand man unter einem „Bestiarium“ eine Dichtung, die typisch menschlichen Eigenschaften und Schwächen im Bild der Tiere einen Spiegel vorhält. Diese Form barg ein derart vielsagendes Potential, daß sie in der Neuzeit von Guillaume Apollinaire, Franz Blei, Jorge Louis Borges und anderen aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Der erste Gedichtband des Amerikaners Jeffrey Yang ist ein solches Bestiarium für das noch junge 21. Jahrhundert. Und was für eines! ...
Vom Widerstand der Unsichtbaren
04.09.2012 | “Ich nannte ihn Krawatte” ist eine Geschichte, die in Japan spielt, aber überall spielen könnte. Die Geschichte eines Verrates, eines menschlichen Versagens, die über kulturelle Grenzen hinausreicht. Milena Michiko Flašar hat einen österreichischen Vater mit tschechischen Wurzeln und eine japanische Mutter. Japanisch bezeichnet sie als „Familiensprache“. ...
Unbestimmt
04.09.2012 | Das ist nicht die feine englische Art, würde meine Mutter sagen, wenn sie läse, dass ich im ersten Satz der Rezension das Scheitern des Vorhabens einer Rezension eingestehen muss. Klar, man könnte das Buch zurückgeben und jemand anderes könnte sich daran versuchen. Aber das kommt nun auch nicht mehr in die Tüte. Zu lange habe ich darüber gebrütet und versucht, mir einen Reim darauf zu machen. Und es hat, das muss ich zugeben ...
Hätten die Nüchternen einmal gekostet — Andreas Reimann und „Die Weisheit des Fleischs“
03.09.2012 | Ich lese: Flucht des Vaters nach Westberlin, Suizid der Mutter, danach Kinderheim. Ich lese: Exmatrikulation, Suizidversuch und zwei Jahre Haft „wegen staatsgefährdender Hetze“. Ich lese: Zwei Gedichtbände, 1975 und 1979, dann Veröffentlichungsverbot bis zur Wende. Die Versuchung ist groß, Andreas Reimanns wieder aufgelegtes Debut „Die Weisheit des Fleischs“ in einen politischen Kontext zu stellen, doch es scheint mir anregender und aufregender ...
Die Richter und ihre Gehenkten
03.09.2012 | Im Grunde ist es ein Klischee: die tumben Deppen in ländlichen Gebieten, die sich in ihre konservativ-gläubig-abergläubischen Ressentimentwelten zurückziehen, Fremde herablassend beäugen und jeden niederknüppeln (wörtlich oder im übertragenen Sinn), der sich ihren mitunter schwer durchschaubaren Hierarchien nicht beugt. Ein Setting, das bei Nacht und Regen bis heute immer wieder für effektvolle Horrorfilme herhalten darf ...
Nina Bußmann schreibt eine Versuchsanordnung zur Frage, wie man geworden ist, was man ist.
02.09.2012 | Viel ist über Nina Bußmanns Debüt „Große Ferien“ geschrieben worden. Ausschließlich Lobendes. Die frappierende Ähnlichkeit ihres Romans mit demjenigen von Judith Schalansky „Der Hals der Giraffe“ ist ein unglücklicher Zufall, der dafür gesorgt hat, dass Bußmanns Roman erst in diesem Jahr erscheinen konnte. ...
Gleich welche Jahreszeit
31.08.2012 | Jürgen Beckers neuer Band Scheunen im Gelände nähert sich dem Naturraum mit einem urbanen, abgeklärten, weitgereisten Blick. Es geht um genaues Hinsehen, um die Bruchkanten und Mischverhältnisse, und wenn sie nicht kalt herauszupräparieren sind, so doch anzusprechen, zu vergegenwärtigen. ...
Ein Stück Popgeschichte
30.08.2012 | In einer Zeit als die revolutionären Forderungen der 68er-Generation in dickschädeligen Dogmen und einer restriktiven political correctness erstarrt sind und der deutsche Herbst sich ankündigt, wird die deutsche Musikszene plötzlich von einer heftigen Bewegung erfasst. Der Status Quo scheint in den Jahren 1976/1977 ebenso statisch wie die soziale Situation: Krautrock hat sich mit seinem Kommunenspirit und den ausufernden Mega-Jams ...
Wodka, Oliven und der Fluch der Erinnerung.
29.08.2012 | Adrian Kasnitz‘ Debütroman „Wodka und Oliven“ ist nicht nur das erste längere Prosawerk des Kölners, der bislang vier Lyrikbände veröffentlicht und mit seiner Parasitenpresse ein feines verlegerisches Gespür für gute Texte bewiesen hat. Es ist zugleich das erste Buch in der Reihe „neudeutsch“ im Lindlarer Kunstbuchverlag Ch. Schroer – in der ausschließlich Debüts deutscher Autoren erscheinen sollen. ...
Licht, das zu den Raben geht
28.08.2012 | Im Altgriechischen, zum Beispiel bei Theognis, findet sich die schöne Wendung „zu den Raben gegangen“, was soviel bedeutet wie: etwas ist verloren und dahin. Unwillkürlich stellt sich diese Assoziation bei der Lektüre von Esther Kinskys Gedichten ein, nicht allein wegen des wiederkehrenden Rabenmotivs, sondern vor allem wegen des still glühenden herbstlichen Abschiedsgefühls, das sich wie ein rabenflügelschwarzer Schatten auf alle Gedichte legt. ...
Die Tauchgänge der Ehrgeizigen
27.08.2012 | Eine sonnige Insel, zwei schwache Männer, eine schöne Frau und das weite, weite Meer: Diese Geschichte entfaltet sich als literarisches Kammerspiel mit klassischer Konstellation. Eine Dreiecksgeschichte, wie sie sich nicht nur in Romanen, sondern auch in der Realität öfters entwickelt, wenn in den Ferien das gewohnte Umfeld verlassen und der übliche Beziehungstrott aufgebrochen wird. In chronologischer Folgerichtigkeit entwickelt sich Juli Zehs ...
Sunset Park - der neue Roman von Paul Auster
27.08.2012 | „Jedes Haus eine Geschichte des Scheiterns.“ Miles Heller ist Entrümpeler, Angehöriger einer der letzten Branchen, die in dieser Gegend – Südflorida – noch floriert. Aber anders als die meisten seiner Kollegen lässt er nichts mitgehen, sondern schießt Fotos der verlassenen Gegenstände und Häuser, der aufgegebenen Dinge. Miles will keine Dinge, sondern nur Bilder von Dingen - eine Metapher, die ihre Stärke noch am Ende des Romans entfalten wird. ...
Was nützt der richtige Ton wenn keiner zuhört?
26.08.2012 | Sibylle Berg, 1962 in Weimar geboren, hat sich spätestens seit ihrem Debüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“, das 1997 erschienen ist, einen Namen als Kulturpessimistin gemacht. Die bösen Kolumnen, die sie zunächst für das Zeitmagazin schrieb und die heute unter der Rubrik „Fragen Sie Frau Sibylle“ bei Spiegel online zu lesen sind, prägen ihren Stil und die Erwartungshaltung ihrer Leser. ...
Untergänge, Übergänge: Jürgen Brôcans neuer Gedichtband Antidot
25.08.2012 | Der in Dortmund lebende Paul-Scheerbart-Preisträger Jürgen Brôcan, Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer, legt jetzt seinen sechsten Gedichtband vor, der auch ein dreiseitiges Nachwort von Jan Kuhlbrodt enthält. Brôcan, der Dichter, gilt als von solchem Kaliber, dass seine Werke - positive – Besprechungen in „wichtigen“ Feuilletons, wie denen der FAZ oder NZZ, bekommen. ...
Durchscheinende Momentaufnahmen
24.08.2012 | Matthias Kehles Produktivität scheint keine Grenzen zu kennen. Er bloggt über Lyrik und übers Wandern, hat zuletzt mit seiner „Wanderbibel“ (München 2011) einen Publikumserfolg gelandet, legt sich im VS Baden-Württemberg ins Zeug, veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien und legt im Schnitt alle zwei Jahre einen neuen Gedichtband vor. In diesem Jahr sogar zwei, zählt man die deutsch-französische Sonderausgabe seines letzten Titels „Fundus“ ...
Der Russe ist einer, der Birken liebt von Olga Grjasnowa
24.08.2012 | Die Aussprache des aserbaidschanischen Wortes für Haselnuss, „fundukh“ wurde im Bürgerkrieg von Berg Karabach zur entscheidenden Frage über Leben oder Tod. Wenn du „fundukh“ sagen kannst, bist du Muslim. Dann ist alles gut.“ Aserbaidschaner und Armenier würden dieses eine Wort unterschiedlich aussprechen und so könne man identifizieren, wer zu wem gehöre. Die kleine Maria „Mascha“ Kogan, die Protagonistin des vorliegenden Romans, ...
Arbeit an der Erinnerung – Karl Heinz Bohrers „Erzählung einer Jugend“ in Deutschland
23.08.2012 | Die Zahl derer, die aus eigener Erfahrung von der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges in Deutschland berichten können, wird naturgemäß kleiner. Autobiografien aus der Feder von Autoren, die in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren geboren wurden, sind in letzter Zeit bereits zahlreich erschienen. Da wurden Zwiebeln gehäutet (GG) und verborgene NS-Mitgliedschaften offenbart – ob freiwillig, ...
Was uns umgibt
23.08.2012 | Die Rechtsphilosophie macht so etwas wie das uneingestandene Zentrum der politischen Theorie und Philosophie der Gegenwart aus. Auch wenn nicht alle Theoretikerinnen und Theoretiker explizit eine solche entwickelt haben, nehmen sie doch auf die eine oder andere Weise darauf Bezug, wie zum Beispiel Karl Marx im Grunde die Grundzüge seiner Theorie in Auseinandersetzung mit der Hegelschen Rechtsphilosophie entwickelte und dann erst den Bogen zur Ökonomie bekam. ...
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