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Gedichte
Taumeln durch die Provinz
13.09.2012 | Hamburg
Der Lesetag ist immer dann gerettet, wenn ich ein Heft des hochroth Verlags im Briefkasten finde. Ich kann mich am Design und der Haptik der schmalen, nummerierten und durch eine Plastikhülle geschützten Bändchen nicht satt sehen und fühlen. Im Inneren gab es diesmal zwanzig Gedichte des gebürtigen Erfurters Maik Lippert, die unter dem Titel Sehnsucht Provinz zusammengefasst sind. Erwarten könnte man da eine in sich geschlossene Sammlung analytischer Erlebnis- und Erinnerungslyrik, welche die Diskrepanz der Lebensräume Stadt und Land fokussiert. Teilweise ist dies auch der Fall, aber eben nur teilweise. Denn Homogenität, soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen, ist nicht Lipperts Stärke, vielleicht auch nicht sein Anliegen.
Quelle: hochroth Verlag
Lipperts Gedichte sind von unterschiedlicher Qualität und setzen nicht selten darauf, dass der Leser sich tief in gewisse Situationen einfühlen kann. In Bezug auf die im Band enthaltenen erotischen Gedichte ist das mitunter hoch gepokert. Die Darstellung des Grenzbereichs zwischen beiläufiger Erotik und gewollter Demaskierung des Intimen durch die ungeschönte Nacktheit des Körpers missglückt bisweilen. Das liegt unter anderem an der etwas hölzernen Grundstimmung, die seltsam antiquierte Worte wie „Beischlaf“ oder „Scheide“ erzeugen.
Dass Lipperts Stärke für meinen Geschmack nicht im Erotischen liegt, macht Sehnsucht Provinz jedoch nicht zu einem schlechten Gedichtband. Texte wie Fleischbeschau oder nachts auf den bartoiletten zeigen, dass der Autor einen wunderbar poetischen Beobachterblick hat. „wölfe mit milchgebiss“ blicken hier durch „laufgitterstäbe“ und rennen „auf dem heimweg / geradewegs in die monde / der schaufenster“. Lipperts Beschreibung des latenten Abscheus gegenüber halbstarken Großstadtjugendlichen ist treffsicher. Ebenfalls stark präsentiert sich der Autor in der Parallelisierung innerer und äußerer Vorgänge, wie etwa dem Vergleich der Gezeiten mit der schubweise auftretenden Gicht.
gicht
mondgewicht
in den knochen
gezeiten
in den gelenkkapseln
ein an und ab
schwellen
im hirn
der bleiche gesang
einer schmerztablette
Natürlich verhandelt ein solches Gedicht nicht gerade die größten und drängendsten Themen der Menschheit. Der angewandte Minimalismus, der zur äußersten Präzision eines Bildes führt, weiß jedoch zu beeindrucken. Ähnlich geartet, aber doch um einiges wortreicher, auch das Gedicht von der faulheit der fische. Hier wird, stärker noch als im titelgebenden Text Sehnsucht Provinz, deutlich, worin diese Sehnsucht eigentlich besteht. Es ist die eingangs erwähnte, wohl nie ganz zu überwindende Widersprüchlichkeit zwischen anregender Urbanität und der Abgeschiedenheit des Ländlichen. „mir fehlt die ruhe der aquarien / freunde / früher als kind“. Die analytische Selbstreflexion, die Beschreibung des sich nicht „wie-ein-Fisch-im-Wasser-fühlen“, sondern im Gegenteil von außen sehnsuchtsvoll ins Aquarium „früher“ zu blicken, das überzeugt sowohl poetisch als auch emotional.
Exklusivbeitrag
Maik Lippert: Sehnsucht Provinz Gedichte 24 Seiten, Broschur, 6,- € ISBN: 978-3-942161-04-6 hochroth Verlag, Berlin 2010