Novellen

Ein Buch ist eine Stadt

Kann man sich in der 2. Novelle – Der große Wurf – erholen, weil sie so ›normal‹ist? Es geht hier um Frauen, Geld und schnelle Autos bzw. den Glauben daran, und ich muss an eine australische Eingeborenensprache denken, in der es eine sprachliche Kategorie für ›Frauen, Feuer und gefährliche Dinge‹gibt. Der Taxifahrer heißt hier Fridolin Fleppe. Seine Geschichte ist eine Legende ... Ich seh ihn, stilisiert, als Titelbild auf einem blanko Notizbuch, welches man im Museum für Anthropologie erwerben kann. Er gerät durch verdrehte Umstände an eine Lieferung Kokain und will diese dann mit Automechaniker Justaff und der Prostituierten Anouk an einen Killer verticken, um mit dem Geld neu anzufangen, was ihnen, nach ein paar Todesfällen, auch gelingt. Die Morde in der Geschichte sind folgerichtig und erfunden, folgenschwer und hyperreal. Ein Hauch des Traums schwebt über ihnen, wie der Smog über der Straße, auf der sie verschwinden.


kopfkino
Quelle: große freiheit

Kopfkino, ein WortVideo für eingeweihte Ohryeure. Angeblich existiert eine unvollendete Fassung des allerersten Filmes von Orson Welles. George Kaplan wird auf eine merkwürdige Recherche geschickt. Reflexionen über das Verhältnis Film – Realität – Kopfraum – Weltende. Kann verhindert werden, dass Medienmogul Salzinger eine Fälschung veröffentlicht?

 

Daseinssorgfalt. Die Autotür des Taxis ist einladend geöffnet. George blickt in die Dunkelheit malerischer Tristesse. Verlockend klingt aus dem Autoradio: „As real as Disneyland“ von Julian Dawson. Als er diese Musik hört, nimmt er einzelne Noten nicht wahr. George erinnert sich, wie die amerikanische Touristen mit den Fingern an die Fassade von Neuschwanstein klopften. Sie konnten nicht glauben, dass ein Märchenkönig dieses Gebäude einst wirklich hat errichten lassen; a real virtuality.

 

Ich brauche diese Stadt nicht zu verlassen – sie hebt ab; die Propeller der unzähligen Klimaanlagen sind die Turbinen einen riesigen Flugzeugs


Wahrheit ist strukturell

 

(nach der Lektüre von Cyberspasz a real virtuality)

 

oft genug gerufen heut

Ratten kreuzen meinen Weg und schmeißen! sich, aufquiekend vor Freude, in den Müll am Straßenrand

Das sollten wir vielleicht auch tun

ESC drücken / oder einen Punkt eingeben

Ich habe keine Luft mehr

Kinder erschießen sich täglich

Oder reißen sich die Haare aus

Hier gibts

nur kleine Hunde

Regisseure zerbrechen sich ernsthaft den Kopf

über eine Schicht von 1,5 cm undefinierbarer Flüssigkeit

die hier doch zu genüge herumliegt

In Ermangelung eines grünen ägyptischen Käfers

der Glück bringt

strecke ich die Zunge raus

und rufe: Sanctus

Der Kontrolleur hätte das vermutlich nicht verstanden

„Das ist Latein und heißt: Gewinne im Wert von 4 Mio Euro“

erkläre ich ihm

„Haben Sie vielleicht eine Luftpumpe?“

Sein Blick verrät, dass er auf jeden Fall nur einen der beiden Sätzen verstanden hat

und sich jetzt nicht entscheiden kann

welchen

Zu viel, das ist ihm auf jeden Fall zuviel

Er persönlich hätte ja nur eine Idee

auf der er herumreiten kann

Genauso wie nur eine Frau

„Tja, Wahrheit ist strukturell!“ rufe ich

ihm zu und steige aus

(›Rufen‹ist hier übrigens kein Wiederholungsfehler und kann auch als

Satzzeichen aufgefasst werden)

 


Exklusivbeitrag

A. J. Weigoni: Cyberspasz, a real virtuality. Novellen. Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

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