Leben auf dem Mars

Gedichte

Autor:
Tracy K. Smith
Besprechung:
Jan Kuhlbrodt
 

Gedichte

Nach der Science Fiction

21.11.2012 | Hamburg

Meine Generation und auch die davor und die danach, ist mit Science Fiction aufgewachsen, aber auch mit Momenten ihrer Realisierung. Allein das Design orientierte sich nicht selten an der Zukunftsvorstellung von Filmen der Sechziger und Siebziger, in den Klapphandys zum Beispiel kann man getrost einen Nachbau der Kommunikatoren der ersten Raumschiff-Enterprise-Folgen sehen. Diese Fernsehserie ist nur wenig älter als Tracy K. Smith, die für ihren Gedichtband Life On Mars den Pulitzerpreis 2012 erhielt. Dieser Band liegt nun einschließlich einer Übersetzung von Astrid Kaminski in der Reihe P des Wunderhorn Verlages vor.

Wahrscheinlich ist die Menschheit heute kurz davor, Wasser auf dem Mars zu entdecken, eine Bedingung dafür, dass sich dort Leben entwickeln könnte (oder schon entwickelt hatte und wieder verschwand oder aber noch da ist, in einem Zustand der uns Menschen noch nicht einsehbar ist oder nie einsehbar sein wird). So weit so gut, wir bauen unser Nichtwissen Schritt für Schritt aus. Allerdings braucht es diesen kleinen Marsrover, der über die Oberfläche des roten Planeten tuckert und unsere technisch verlängerte Nase in den extraterrestrischen Wind hängt, nicht, um ein Leben dort zu imaginieren.

Es ist ein Topos der Literaturgeschichte, dass die Vorstellung noch den unwirtlichsten Planeten bevölkern kann und dass sie sogar die merkwürdigsten Dinge auf dem wirtlichsten Planeten, der Erde, findet.

Der wundervolle Gedichtband Leben auf dem Mars von Tracy K. Smith, der im Herbst in der Reihe K des Wunderhorn Verlags erschien und sich in vier durchnummerierte Teile gliedert, enthält neben Einzelgedichten eine ganze Reihe von Mikrozyklen oder längeren Gedichten, von denen einer Don‘t You Wonder Sometimes? heißt. Und hier hat der Außerirdischste der irdischen Popstars seinen Auftritt:


Die Zukunft ist nicht, was sie einmal war. Sogar Bowie dürstet es

Nach Gutem und Gekühltem. Jets blinken am Himmel auf

wie wandernde Seelen.


Smith gelingt es in ihren Gedichten, die verschiedensten Traditionslinien mit der des Pop engzuführen. Dabei entsteht aber nicht, wie meist üblich, nur eine neue Pop-Spielart, die Linien, ob kulturell oder religiös, verschmelzen nicht, sondern bilden gewissermaßen ein Gewebe, in welchem sie sich gleichberechtigt gegenseitig stützen und als technische, wissenschaftliche, historische oder religiöse Einschlüsse Kontur behalten. Das beschreibt sozusagen die Grundposition einer Ästhetik die zugleich Ausgangspunkt einer politischen Reflexion ist.

Im titelgebenden Zyklus Leben auf dem Mars erfährt die Vielfalt der Ausgangspunkte eine Engführung. An deren Ende steht allerdings keine Versöhnung und auch nicht die Auflösung der verschiedenen Momente ineinander. Was ästhetisch gelingt, entspricht noch lange nicht der außerästhetischen Realität. Dessen ist die Autorin sich bewusst.

Smith ist 1972 in Falmouth Massachusetts geboren und lebt in New York, sie unterrichtet an der Princeton University. Sie war Stipendiatin eines Programmes der Rolexstiftung, in welchem jüngere Künstler verschiedener Sparten einen älteren und schon erfolgreichen Mentor an die Seite gestellt bekommen. Smiths Mentor war Hans Magnus Enzensberger. Und ich fand bei der Lektüre der Gedichte, dass das eine gute und passende Wahl ist, denn einige Momente, die ich vor allem beim jungen Enzensberger bewundernswert finde, sehe ich bei Smith aufgehoben und fortgesetzt, und zwar ohne, dass sich daraus ein epigonaler Ton ergäbe.


Exklusivbeitrag

Tracy K. Smith: Leben auf dem Mars. Aus dem Englischen übersetzt von Astrid Kaminski ISBN 978-3-88423-410-5 € 17,90
Verlag Das Wunderhorn Heidelberg 2012.