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Was unsere Gesellschaft zusammenhält
Das Handwerk der Kooperation
20.11.2012 | Hamburg
Welche Fähigkeiten benötigen wir, um unser tägliches Leben zu bewältigen? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Projektes, das Richard Sennett vor einigen Jahren begonnen hat, und dessen zweiter Teil jetzt mit dem Band „Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ vorliegt. Kooperation wird in diesem Buch als handwerkliche Kunst betrachtet, somit schließt das Buch an den Vorgänger an, in dem es um das Handwerk ging.
Was ist Kooperation? „Kooperation lässt sich nüchtern definieren als Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren.“ So Sennetts Antwort. Allerdings unterscheidet er zwischen destruktiver und konstruktiver Kooperation, wobei erstere auf Ausschluss abzielt und sowohl die Gang-Kultur der Randgebiete, als auch das elitäre Verhalten einflussreicher Kreise beinhaltet.
Laut Sennett geht die Kooperation der Individuation voraus, was zunächst merkwürdig erscheinen mag, aber entwicklungspsychologisch durchaus nachvollziehbar ist, der Säugling ist lange Zeit auf Zusammenarbeit angewiesen und entwickelt erst aus diesem Stadium heraus seine Eigenständigkeit. Grundlage der Kooperation ist bereits in diesem Stadium die Verständigung. Da wir nicht wissen, „was in den Herzen und Köpfen der Menschen vorgeht, mit denen wir zusammenarbeiten müssen“, ist Verständigung nicht nur grundlegend, sondern auch voraussetzungsvoll. Um Verständigung zu erzielen gibt es zwei Möglichkeiten; Sympathie und Empathie. Beide bringen Achtung und Anerkennung zum Ausdruck. Während die Sympathie jedoch darauf abzielt, die Unterschiede zwischen den kooperierenden Partnern zu nivellieren, anzugleichen oder am besten ganz zum Verschwinden zu bringen, stellt die Empathie Neugier auf andere Sichtweisen, unter Beibehaltung des eigenen Standpunktes in den Vordergrund. Dem empathischen Ansatz geht es eher um Vielfalt als um Angleichung, während der sympathische Ansatz auf Einigung abzielt.
Die moderne Gesellschaft, so Sennetts Behauptung, bedient sich vornehmlich der gleichmachenden, vereinnahmenden, also nach den Grundsätzen der Sympathie operierenden, Kooperation.
Technologische Bedingungen, insbesondere die Art und Weise, wie Informationen transformiert werden, erschweren die Entfaltung der vollen menschlichen Kooperationsfähigkeit. Kooperation ist eine voraussetzungsvolle Kunst, die sowohl des direkten Kontaktes, als auch ritueller Wiederholungen bedarf. Wie Kooperation sich durch die Ausbildung eines Rituals, dessen ständiger Wiederholung und schließlich des Hinterfragens und Modifizierens des Rituals, entwickelt, leitet Sennett anschauungsreich und fundiert anhand historischer, soziologischer und ethnologischer Beispielen her. Er geht auf unterschiedliche Ausformungen ein, die die Kooperation annehmen kann und zieht immer wieder Verbindungen zwischen dem Ritual in der Werkstatt und Ritualen im religiösen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich.
Erfüllend und bereichernd und damit zukunftsfähig scheint Sennett insbesondere die dialogische Kooperation, die auf Empathie beruht, ihr nähert er sich mittels eines interkulturellen Vergleichs an, indem er die in China weit verbreitete „guanxi“ zugrunde legt, um dieser Art, Solidarität innerhalb eines erweiterten Familiengefüges auf lange Frist und ohne Erwartungen von kurzfristigen Gegenleistungen aufzubauen, die sozialen Praktiken innerhalb unserer Gesellschaft gegenüberzustellen. Westliche Gesellschaften leiden zunehmend unter einer wachsenden Ungleichkeit, die vordergründig durch Konsum kompensiert werden soll. Sennett zeigt in diesem Zusammenhang zum Beispiel wie durch Facebook auch Freundschaften kommerzialisiert werden, sich sogar das Vertrauen zunehmend von direktem zwischenmenschlichem Kontakt auf den der virtuellen Kommunikation verschiebt.
All dies sind langfristig Elemente, die die gesellschaftliche Kooperation schwächen, so führt die wachsende Ungleichheit zu Rückzug. Das soziale Dreieck, bestehend aus „verdienter Autorität, wechselseitigem Respekt und Kooperation während einer Krise [¡K] als soziale Beziehung, die wir herstellen“, wird weitestgehend aufgelöst. Wiederum legt Sennett den handwerklichen Bereich zugrunde, um nach Möglichkeiten zu suchen, die brüchig gewordene Kooperationsfähigkeit zu reparieren. Im sozialen Bereich würde die Reparatur darin bestehen, soziale Beziehungen trotz widriger Umstände aufrechtzuerhalten und im Umgang mit Konflikten den im Handwerklichen gebräuchlichen Grundsatz der Anwendung minimaler Kraft zum Tragen kommen zu lassen. Als Beispiele führt Sennett die Motivation von Langzeitarbeitslosen weiter am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen an, sowie das Konfliktmanagement koreanischer Lebensmittelhändler im Umgang mit ihren lateinamerikanischen Arbeitnehmern.
Schließlich arbeitet Richard Sennett anhand von Lecoqs Maskentheater die Bedeutung und Auswirkung sozialer Masken heraus. So dienen soziale Masken nicht nur dem Schutz, indem man sich hinter ihnen verbergen kann, sondern eröffnen einen Raum jenseits des Individuellen. „[¡K] wenn wir uns nicht darauf konzentrieren, uns selbst zu enthüllen, oder zu charakterisieren, können wir einen gemeinsamen sozialen Raum mit Ausdrucksinhalten füllen.“
Im zweiten Teil seiner Trilogie geht Sennett auf der Suche nach dem, was die Gesellschaft zusammenhält, vom Individuellen ins Allgemeine, von der Geschichte in die Gegenwart, man erfährt viel über andere Kulturen und historische Prozesse, gewinnt Einblicke in Sphären, in denen Kooperation gelingt und man versteht, warum das so ist. Einen Ansatz zur Verbesserung der Weltlage erhält man nicht, aber eine wohlfundierte Basis des Verständnisses dessen, was Gemeinsamkeit ausmacht, von der aus sich weiterarbeiten und forschen lässt. Das Buch hilft seinen Lesern zu verstehen, warum „Kooperation die Qualität des sozialen Lebens verbessert“.
Exklusivbeitrag
Richard Sennett. Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff.
ISBN 978 3 446 24035 3. 414 Seiten. 24,90 €. Hanser Verlag Berlin 2012.