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FRÜHMORGENLIED, zweisprachige Ausgabe
Eine besondere Art, die Angst auszumessen. Philip Larkins Langgedicht „Aubade" in einer zweisprachigen Ausgabe beim „Literarischen Bureau Christ & Fez, Stuttgart“.
29.11.2012 | Hamburg
Philip Larkin (1922-1985) gilt als einer der renommiertesten modernen Dichter Englands, obwohl sein Image nach der Veröffentlichung der „Selected Letters“, 1992, und der Biographie „A Writer’s Life“, 1993, gelitten hatte und der Autor ungeachtet gewichtiger Gegenstimmen und Zeugnisse, von gewissen Kreisen posthum als arrogant, Misanthrop, misogyn, rechtslastig etc. bezeichnet wurde. Ironie des Schicksals, im Jahr 2003 wählte ihn die "Poetry Book Society" zum beliebtesten Dichter des Landes!
„I work all day, and get half-drunk at night. / Waking at four to soundless dark, I stare” … Die Anfangszeilen dieses „Morgenliedes“ sind nicht bloß eine poetisch exakte Momentaufnahme, sondern stehen programmatisch für Larkins späte Dichtung, dem distanzierten Blick auf das menschliche Dasein, trotz allem nüchterner Alltagsprotokolle und einer nichts beschönigenden Lebensbilanz. Seamus Heaney nannte ihn einen „nine-to-five man who had seen poetry“. Nach Dienstschluss verfasste Philip Arthur Larkin, im Hauptberuf Bibliothekar, in vier Jahrzehnten neben regelmäßigen Jazzrezensionen vier schmale Gedichtbände, von denen keiner mehr als 48 Seiten aufweist!
Dem gegenüber stehen die heutzutage unvorstellbar hohen Auflagen, welche seine Veröffentlichungen erreichten. »High Windows«, 1974 bei Faber and Faber erschienen, wurde ein Bestseller. Die erste Auflage war innerhalb von drei Wochen ausverkauft und musste mehrmals nachgedruckt werden. In Zahlen stellt sich das Phänomen folgendermaßen dar: Juni 1974 – 6.142 Exemplare; September 1974 – 6.632; Januar 1975 – 5.985; Januar 1976 – 6.110. Zusätzlich erschien 1974 eine US-Ausgabe sowie 1979 die erste britische Taschenbuchausgabe, die es bis 1997 auf 110.000 Ex. brachte: also ca. 25.000 gebundene + zusätzlich 110.000 als Taschenbuch verkaufte Exemplare eines Gedichtbandes. Die spinnen die Briten!
Für uns unvorstellbar, selbst um ein, sogar zwei Nullen ärmer, wäre eine entsprechende Auflage hierzulande ein Prestige Erfolg. Und das – darf man annehmen – auch für namhafte Verlage, nicht nur für ein Unternehmen, wie bezeichnenderweise wieder einmal eines wie dieses, das als Ein-Mann-Selbstausbeutung nach Dienstschluss aufgezogen ist und funktionieren muss. Dementsprechend wiederum keine Ausnahme sondern die Regel, dass der bisherige Höhepunkt im Verlagsprogramm, eine vierbändige Werner-Riegel-Werkausgabe (dem früh verstorbenen Weggefährten Peter Rühmkorfs), weitgehend unbeachtet blieb.
Im Vergleich zu dem immensen Erfolg, der ihm in Großbritannien beschieden war, verlief Larkins Rezeption im deutschen Sprachraum recht unbefriedigend. Daran vermochte auch die Fürsprache Steffen Jacobs in seiner Funktion als Lyrikdoktor nichts zu ändern. All das dürfte für den Verlag wie auch für den Übersetzer einer der Gründe gewesen sein, sich stellvertretend für die damit befassten und dafür dotierten Branchenführer in Unkosten zu stürzen.
Richard Glabotki, der die neue deutsche Fassung von Aubade vorlegt, zieht in einem Begleitessay zu seiner früher erfolgten Übersetzung des Bandes „High Windows“ auch noch andere, rein literarisch-handwerkliche Gründe in Erwägung. Dabei stützt er sich auf akribische Vergleiche dreier Paradebeispiele Larkinscher Dichtkunst, „High Windows“, „Friday Night in the Royal Station Hotel“ und „The Explosion“, die den bisher vorhandenen Übersetzungen – von bekannten Dichtern oder vom Verlag berufenen Berufsübersetzern – aus Schreibheft Nr. 237, Merkur Nr. 44, der Klett-Cotta-Ausgabe von 1988 und dem im selben Jahr bei Volk und Welt erschienenen Band entnommen wurden.
Wie auch bei »Aubade« handelt es sich um durchwegs eigene, durchdachte, wohlüberlegt komponierte Texte, deren aufeinander abgestimmte Passagen von äußerster Präzision und Musikalität gekennzeichnet sind. Glabotki geht es bei seiner Übersetzung um deutlich mehr als das Einfangen einer (Morgen)Stimmung. Sein Anliegen ist es, dem metrisch genauen Rhythmus sowie der vom Autor intendierten Aussage und Bedeutung gleichermaßen verpflichtet, auf weitergehende Freiheiten in der deutschen Übertragung zu verzichten. Ebenso auf den Versuch, den ursprünglichen Reim wiederzugeben bzw. Entsprechungen zu kreieren, die sich an in der deutschen Literatur bekannten Mustern orientieren.
Ein (wohl kaum zu vermeidender) Verlust dabei ist, dass das recht ungewöhnliche Reimschema von »Aubade«, sein bestechendster formaler Aspekt, geopfert wird. Das Gedicht besteht aus fünf zehnzeiligen Strophen mit dem stets gleichen Reimschema: ababccdeed! Die (auf der Grundlage vergleichsweise minder entwickelter Ehrfrucht & Überzeugung recht früh schon dekompensierender akademischer Erinnerungen an Versmaßstäbe, normierte Wertmerkmalen, Gattungs-Unterart-Charakteristika etc. angestellten) Recherchen ergaben eine gewisse Nähe zu der Spencer-Stanze. Noch mehr ähnelt die Strophenform von „Aubade« einer auf Dezine- oder Dizaingröße geschrumpften Variante des Ronsardschen Sonetts. (Bitte Platz behalten!)
Jenseits allzu bekannter leidiger Übersetzungsprobleme, die sich aus den von Larkin gerne verwendeten, dem Englischen eigenen Partizip- und Gerund-Formen ergeben, mutet die eine oder andere neu vorgeschlagene Lösungen etwas ungewöhnlich, dem Willen zu sinngetreuer Deutung und gültiger Entsprechung untergeordnet, an:
„Also bleibt am Horizont ein unscharfes Element, / verschwimmend verschwommen, ein stetiges Schüttelfrostfieber …“ für: „And so it stays just on the edge of vison, / A small unfocused blur, a standing chill“.
Das ist der Tribut für die unumgängliche flankierende Bedeutungsaufbereitung und gerät etwas in Widerspruch zu einer in den Nachbetrachtungen des Übersetzers sich findenden Bemerkung: „Lyrik soll nämlich sinnliches Vergnügen vermitteln und keineswegs literaturwissenschaftliche Schwerstarbeit.“ Das war zeitlebens Larkins Einstellung, der sich vom Betrieb fernhielt und bewusst Distanz zu den immer sperrig verschlossener geratenden Gedichtsprachen der Spätmoderne hielt. Bekanntlich widerstrebte ihm die nach Auslegung durch kundige Exegeten und ausgewiesene Fachbereiche verlangende Hermetik eines Pound oder Eliot … Auf die ihm 1984 angetragene Würde eines „Poet Laureate“ verzichtete er konsequent- wie bezeichnenderweise.
Dieser Aufwand bzw. Eigenanteil, des Auslotens und Eingrenzens von Konnotationsspektren, wird einem durch die übersetzerische Leistung abgenommen. Desto mehr kann man sich dem Reiz überlassen, sich mit jeder Lektüre mehr und mehr in das Spannungsfeld zwischen existentieller Sinnvakanz und unheroischem Fatalismus „Tod, und näher jetzt um einen vollen Tag, / was mich ums Denken bringt, bis auf die Frage, / wie werde ich, und wo und wann, selbst sterben? / Befragung trocken unfruchtbar; jedoch die Furcht, / zu sterben, tot zu sein, blitzt durch mich durch“ auf der einen, inhaltlichen Seite sowie auf formaler Ebene dem Energiepotential des akkuraten Reimschemas, verstärkt durch gezielt gesetzte Alliterationen, dem wechselnden Tonfall und variierten Rhythmus zu begeben. Dadurch sind auch Überschneidungen mit dem prätentiösen Tiefgang abgehobener Gedankenlyrik ausgeschlossen.
»Aubade« (1977) ist eines der letzten Gedichte, die Larkin veröffentlicht hat, bevor er verstummte, oder – wie er es nannte – ihm der Zwang oder Druck, Gedichte zu schreiben „the compulsion to write poems“ abging. Am Schluss wendet sich der Blick der unbarmherzig weiterlaufenden Welt zu. Und der ganzen alltäglich erdrückenden, apersonalen Unerheblichkeit und Gleichgültigkeit.
In einer älteren Übersetzung liest sich das so:
Inzwischen machen sich die Telefone fertig,
in verschlossenen Büros zu klingeln, und die ganze
vernachlässigte, verzwickte Mietwelt steht nun auf.
Der Himmel, weiß wie Ton, bleibt ohne Sonne.
Die Arbeit muß getan sein.
Briefträger gehn wie Ärzte nun von Haus zu Haus.
Glabotki zufolge hat Larkin das so weder geschrieben noch intendiert. Bei ihm nämlich ducken sich die Telefone („telephones crouch“), und statt von einer (passiv) „vernachlässigten Mietwelt“ spricht Larkin von der sich (aktiv) nicht kümmernden und überdies nur angemieteten Welt:
Meanwhile telephones crouch, getting ready to ring
In locked-up offices, and all the uncaring
Intricate rented world begins to rouse.
The sky is white as clay, with no sun.
Work has to be done.
Postmen like doctors go from house to house.
In der vorliegenden neuen Übersetzung ist diese Passage sinngemäßer übersetzt und kommt so auch der Larkinschen Satzmelodie wieder nahe:
Jetzt sind die Telephone sprungbereit fürs erste Klingeln
in noch verschlossenen Büros, und ohne sich zu bekümmern,
kommt die ganze geborgte Welt aus dem Nachtschlaf heraus.
Der Himmel ist weiß wie Lehm, ohne Sonnenlicht.
Es gilt Arbeit zu verrichten.
Briefträger gehen wie Ärzte von Haus zu Haus.
Originalbeitrag
Philip Larkin: »Aubade. Frühmorgenlied«. Deutsch von Richard Glabotki; mit 7 Illustrationen von Max Perna. 24 Doppelseiten; handgebunden-broschiert; 1. Aufl. – Stuttgart: Literarisches Bureau Christ & Fez 2012. 111 nummerierte und vom Künstler signierte Exemplare; ISBN 978-3-933591-11-1. (Bestelladresse: Postfach 80 04 62, 70504 Stuttgart.)
Werner Riegel: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben:
1. Der Admiral. Stuttgart: Literarisches Bureau Christ & Fez, 2006. ISBN 978-3-933591-03-6;
2. Der senkrechte Mitmensch. 2008. ISBN 978-3-933591-05-0;
3. Heiße Lyrik. 2007. ISBN 978-3-933591-04-3;
4. Porträt eines Dichters. 2010. ISBN 978-3-933591-09-8;