Von Helden und anderen Wienern
14.12. 2012 | Um es vorweg zu sagen: Es könnte sein, dass der Leser in der ersten Geschichte noch im Glossar nachschlagen muss, um zu verstehen, dass ein „Unterläufel“ ein „ziemlich untergeordneter Beamter im Staatsdienst“ ist. Im Lauf der Lektüre erschließen sich allerdings viele Begriffe durch ihre Ausdrucksstärke und den Zusammenhang von selbst. Trinkt jemand beispielsweise in einem „Beisl“ ...
Das Kollektiv Text
13.12.2012 | Man stelle sich einen Tausendfüßler vor, der nicht nur tausend Füße hat, sondern dazu noch hundert Köpfe, oder sagen wir: 81. Nun stelle man sich vor, jedem dieser Köpfe entspringen Texte, die von tausend Beinchen getippt, auf eine Diskette gespeichert, ausgedruckt und geheftet werden. Das Ergebnis könnte floppy myriapoda heißen; eine Literaturzeitschrift, die ganz und gar anders ist: sperrig, lebhaft und bisweilen wie aus einer anderen Zeit wirkend. ...
A void cannot be avoided: Nichts Zwischenzeiliges
12.12.2012 | Ich gebe es zu: Ich habe von Ruth Weiss bislang noch nie etwas gehört. Bis ich ihren Gedichtband in der Hand hielt. Und wenn sie von den Herausgebern ihres neu erschienenen Gedichtbandes „einfach mal eben“ der Beat Generation zugerechnet wird, ist das für mich, der bisher nur Autoren wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg zu derselben zählte, eine mittelschwere Überraschung. ...
„mach neu, was sie dir nehmen, gebs dir wieder“
11.12.2012 | Die schlanken Bücher von hochroth zählen zum Schönsten, was derzeit gedruckt wird. Die These, dass die Bände auch zu den Schönsten zählten, wenn sie bloß mürbe Inhalte böten, könnte man sogar bejahen, aber zum Glück muss man sie nicht einmal aufstellen. Denn die Inhalte sind so spannend wie überraschend. Zu jenen freudigen Überraschungen sind auch die drei Bände mit Shakespeare-Nachdichtungen von Helmut Krausser zu zählen. ...
Eine Ankunft
10.12.2012 | Ein letztes Mal wird auf die DDR zurückzukommen sein. Als ich abfuhr, um eine Zeitlang in Frankfurt am Main zu leben, hatte ich unter anderem Kolbes Band Bornholm II im Gepäck. Ich suchte in der Rückschau Halt, und Halt gaben mir eben die ehemaligen Dissidenten. Wie Biermann, dessen Lieder ich als Heimatlieder vor mich hin trällerte, lebte Kolbe damals in Hamburg. Ich sah sie, sah mich als Emigranten, denn mein Bewusstsein hatte die DDR noch nicht verlassen. ...
Georg Grosz Meisterschüler lacht über den Tod
09.12.2012 | „Ein wundersam herrliches Buch“, schrieb Ernst Osterkamp (in dessen Rezension man überdies die wichtigsten Eckdaten zu dem nie besonders erfolgreichen Ulrich Becher und seinem Lebensweg skizziert findet) 2009, anlässlich der Neuauflage des Romans Murmeljagd durch den Schöffling Verlag in der FAZ, „eine Herausforderung auch“. An dieser Herausforderung, so fürchte ich gestehen zu müssen, bin ich gescheitert. ...
Steiler Einstieg, viele Klammern, stimmungsvolles Ende – Marcus Roloffs dritter Lyrikband "im toten winkel des goldenen schnitts"
08.12.2012 | Anthologien stehen bei einigen Menschen im Verdacht, ein Sammelbecken der Masse statt Klasse zu sein; immer wieder die gebetsmühlenartig geäußerte Kritik, Anthologien mit Gedichten oder kurzer Prosa dienten nicht den in ihnen vertretenen Autoren und nur bedingt dem Leser, sondern ausschließlich den herausgebenden Verlagen – lieber 80 veröffentlichte Autoren statt 50, schließlich steht hinter vielen Autorinnen und Autoren eine stolze Mutter, ...
Französisch-deutscher Versschmuggel
07.12.2012 | Die Buchreihe „VERSschmuggel“, die seit einigen Jahren in Kooperation mit der Literaturwerkstatt Berlin und weiteren Partnern jeweils im Heidelberger Wunderhorn Verlag und einem ausländischen Verlag erscheint, verfolgt ein globalisierendes Lyrikprojekt, das Dichter und Leser über kulturelle und Ländergrenzen hinweg zusammenbringt, und das trotz mancher inhaltlicher Schwäche zweifellos zu den wichtigsten und ambitioniertesten überhaupt gehört. ...
Der Glanz des nicht ganz Verständlichen
06.12.2012 | Mit dem von der Edition Lyrik Kabinett herausgegebenen Band „Unsichtbare Hand“ liegt eine Auswahl aus drei polnischen Gedichtbänden Zagajewskis vor, die nach seiner Rückkehr nach Polen entstanden sind. Adam Zagajewski, 1945 in Lemberg geboren, wurde vier Monate nach seiner Geburt mit seiner Familie nach Gleiwitz vertrieben. Später schloss er sich als Bürgerrechtler dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter an, von 1976 bis 1989 bestand ein Veröffentlichungsverbot seiner Bücher ...
Schielen nach dem Nascheimer
05.12.2012 | Eine ihrer Hauptthematiken nimmt die niederländische Erfolgsautorin Anna Enquist (geboren 1945) auch in ihrem jüngsten Roman Die Betäubung wieder auf: den menschlichen Schmerz. Als ausgebildete Psychotherapeutin und Mutter, die ihr Kind verlor (ihr Roman Kontrapunkt), weiß sie, dass ein Schmerz nicht zum Verschweigen da ist. Aber wie kommt es dazu, dass in Die Betäubung außer Einblicken in Theorie und Praxis ...
Wieso Rosen ohne wieso?
04.12.2012 | Hamburg | Eidgenössische Literaturpreise 2012 geht an Thilo Krause für «Und das ist alles genug» Leipzig, Poetenladen Verlag, 2012
Einfache Worte, rhythmisch bewegt, vergegenwärtigen in kurzen Aperçus und längeren Zyklen Atmosphären und Zwischentöne aus dem häuslichen und familiären Alltag, aus städtischen und ländlichen Räumen, aus der belebten und unbelebten Natur. Scharf gefasste, leuchtkräftige Details aus der Gegenwart und Vergangenheit der sächsischen Herkunftsregion des Autors eröffnen länder- und epochenübergreifende Perspektiven. Dieser Debütband überzeugt durch die Variationsbreite der Motive und Formen ebenso wie als wohlkomponiertes Ganzes.
(Quelle: Webseite Eidgenössische Literaturpreise 2012)
Freiheit ist die Tätigkeit des Hinterfragens
04.12. 2012 | Hamburg | Peter von Matt erhält den Schweizer Buchpreis 2012
Der diesjährige Schweizer Buchpreis geht an Peter von Matt für den Essay-Band „Das Kalb vor der Gotthardpost”. Die feierliche Preisverleihung fand erstmals im Theater Basel vor über 300 Gästen statt. Die Jury würdigte das Werk als „ein Buch, das in herausragender Weise zur Gegenwart der Schweiz spricht.” Weiter heißt es in der Begründung der Jury: “In Analysen von großer sprachlicher Kraft und gedanklicher Originalität beleuchtet Peter von Matt den Zusammenhang zwischen Literatur und Politik”. ...
Millionär an dummen Gedanken
04.12.2012 | Constantin Brunner ist heute ein nahezu Unbekannter – ein Fall für Philosophiehistoriker vielleicht, oder auch etwa ein Fall für Literaturwissenschaftler, wenn sie sich beispielsweise mit Rose Ausländer befassen, wobei man unweigerlich über Brunners Namen stolpert. Denn die Wirkung Brunners zu seiner Zeit ist ungleich größer, als es seine heutige Absenz in den Diskursen, die ihm, wie man, so man ihn dennoch liest, ...
Die Musik des Unbewussten
03.12.2012 | Je kürzer, schmaler, die Bücher, umso mehr Stoff steckt darin, das ist mir schon einmal begegnet, bei Hans Joachim Schädlich mit seinem Buch „Kokoschkins Reise“ und jetzt bei Iris Hanika erlebe ich es mit „Tanzen auf Beton“ erneut. Ganz anders zwar, aber es ist auch eine ganz andere Geschichte, sofern man überhaupt von Geschichte sprechen kann. ...
Die Literatur zulassen
02.12.2012 | Dass Schriftsteller hin und wieder auch mal über das Schreiben schreiben, ist an sich nichts Ungewöhnliches. In Essays, Reden und Aufsätzen äußern vor allem Lyriker nicht selten ihre Vorstellungen von dem, was gute Literatur ausmacht. Dass neben den daraus resultierenden Sammelbänden größere Arbeiten zu poetologischen und literaturtheoretischen Fragestellungen entstehen, ist hingegen selten. Der Dichter ist schließlich für ...
Nuancen der Wahrnehmung
01.12.2012 | Nur 50 nummerierte und signierte Exemplare beträgt die 1. Auflage dieser erlesenen Gedichtsammlung, die über keinen Titel verfügt, vielmehr über die Nummer 104 der Reihe „Mitlesebuch“ des Berliner Aphaia Verlags. Einmal mehr zeigt sich die Vorliebe von Charlotte Ueckert, mit Grafikern zusammenzuarbeiten, diesmal mit Michael Blümel, der mit feinen Federstrichen in seinen Zeichnungen Menschen zum Leben erweckt, Menschen ...
Schreiben unter Beobachtung
30.11.2012 | Die „Aktionsgruppe Banat“, eine Vereinigung junger deutschsprachiger Autoren in Rumänien existierte in Temeswar zwischen 1972 und 1975 genau drei Jahre lang. Zu ihren Mitgliedern zählten auch Gerhard Ortinau (geb. 1953) und der fast gleichaltrige Herausgeber des vorliegenden Gedichtbandes Ernest Wichner (geb. 1952). Die Gruppe verstand sich als literarische Avantgarde, die mit ihren Texten neue Wege gehen und mit der traditionellen einheimischen Literatur brechen wollte. ...
Eine besondere Art, die Angst auszumessen. Philip Larkins Langgedicht „Aubade" in einer zweisprachigen Ausgabe beim „Literarischen Bureau Christ & Fez, Stuttgart“.
29.11. 2012 | Philip Larkin (1922-1985) gilt als einer der renommiertesten modernen Dichter Englands, obwohl sein Image nach der Veröffentlichung der „Selected Letters“, 1992, und der Biographie „A Writer’s Life“, 1993, gelitten hatte und der Autor ungeachtet gewichtiger Gegenstimmen und Zeugnisse, von gewissen Kreisen posthum als arrogant, Misanthrop, misogyn, rechtslastig etc. bezeichnet wurde. Ironie des Schicksals, im Jahr 2003 wählte ihn die "Poetry Book Society" zum beliebtesten Dichter des Landes! ...
Am Anfang wird wieder das Wort sein
29.11.2012 | „Wie ich die Zeitung von gestern aufschlage, steht da etwas über Dich und mich. Da steht: Am Anfang wird wieder das Wort sein.“ So beginnt der erste Brief des Romans Briefsteller, und so muss wohl jedes Buch von Michail Schischkin beginnen, mit einer Huldigung an das Wort. In Venushaar, dem vorhergehenden Roman, für den Schischkin nicht nur in Russland, wo er ohnehin schon lange ein Star ist, gefeiert wurde, sondern endlich auch in Deutschland einige Beachtung fand, heißt es ...
Am Ende der Suche nach der verlorenen Zeit – J.J. Voskuils sensationelles „Büro“-Epos gibt es jetzt auch auf Deutsch
28.11.2012 | Es gibt Formate, die an bestimmten Orten funktionieren, anderswo aber nicht. Ein Beispiel dafür ist die ARD-Krimireihe „Tatort“. Am Beginn jeder Folge steht ein Mord. Daraufhin nehmen die Kommissare – es sind immer zwei, sonst klappt das launige Zusammenspiel nicht – die Fahndung auf, reißen ein paar Witze und präsentieren exakt 90 Minuten später den (oder die) Täter. Schwarz ist schwarz, Weiß ist weiß; die Guten sind gut, die Bösen böse. Dann kommt Günther Jauch und es wird Montag. ...
weitere Beiträge: