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Subkommando für freie Assoziation
Das Kollektiv Text
13.12.2012 | Hamburg
Man stelle sich einen Tausendfüßler vor, der nicht nur tausend Füße hat, sondern dazu noch hundert Köpfe, oder sagen wir: 81. Nun stelle man sich vor, jedem dieser Köpfe entspringen Texte, die von tausend Beinchen getippt, auf eine Diskette gespeichert, ausgedruckt und geheftet werden. Das Ergebnis könnte floppy myriapoda heißen; eine Literaturzeitschrift, die ganz und gar anders ist: sperrig, lebhaft und bisweilen wie aus einer anderen Zeit wirkend. Das selbsternannte „Subkommando für die freie Assoziation“ existiert seit 2006 und legte im November 2012 die Jubiläums-Doppelausgabe 20/21 vor.
Wo Kritiker und Juroren nicht müde werden zu betonen, dass die deutschsprachige Literatur ihre politischen Inhalte verloren hat, setzt floppy myriapoda Zeichen. Dabei handelt es sich allerdings nicht immer um Ausrufezeichen, was bei 81 Autoren in einem Heft kaum verwundert. Aber es geht nicht um die Autoren, deren biografische Daten im Heft gänzlichen fehlen. Anzeigen und Rezensionen sucht man ebenfalls vergebens, womit eine größtmögliche Unabhängigkeit gewahrt bleiben soll. Im Mittelpunkt stehen allein die Texte und der Vorschlag der Redakteurin Ann Cotten zu einem „kollektiven Text“.
floppy myriapoda
Anders lässt sich die Zeitschrift kaum lesen; das Seitenlayout legt es nahe. Abgesteckte Parzellen für die Autoren gibt es nicht. In floppy myriapoda stehen die Gedichte, Essays und Manifeste zwar nebeneinander, aber sie sind dicht gestaffelt. So entsteht fast die Illusion eines umfassenden Fließtextes aus allen Texten. Wird dessen Fluss zu stark, zu einlullend, wird schnell etwas dazwischen gesprengt. Das Teilstück eines anderen Textes, Alles hassen (1994) von Enno Stahl zum Beispiel, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausgabe zieht. Und worin besteht der? Naja, erst mal irgendwie dagegen sein, gegen den Mainstream, gegen das Establishment und die bestehenden Verhältnisse an und für sich. „Waltet hier noch Satire oder doch schon Ernst?“, fragt Michael Hillen in einem Leserbrief. Die Frage kann man auch umgekehrt stellen.
Das größte Problem am Kollektivtext floppy myriapoda ist wohl das kreative Delirium, das keine Filtermechanismen mehr kennt. Man könnte auch sagen, die Zeitschrift hat zu viel Input, den sie an den Leser weitergibt. Die Qualität der Texte ist dabei nicht das oberste Kriterium, sondern das Diktum: Kunst ist Widerstand. Das kann man so machen, gar keine Frage. Allerdings bekommt man schnell den Eindruck, dass der kollektive Text eines als Kollektiv wirkenden Autorenkreises (was die Autoren sicher bestreiten würden) nicht zum Durchbrechen des Mainstreams und somit zur Kontexterweiterung führt. Das Gegenteil droht: der kollektive Text wird der kodierte Text eines Kollektivs, an dem man nur teilhat, wenn man einen gewissen Jargon spricht. An dem Punkt fängt die Revolution an, ein bisschen nach Elite zu riechen.
Doch floppy myriapoda ist nicht unbedingt leserfeindlich. Die Texte sind immer noch individuell goutierbar und sorgen dafür, dass das Heft sich nicht im Nachdenken über engagierte Literatur als Gruppe beschränkt, sondern eben auch als Literaturzeitschrift funktioniert. Nur eben eckiger, kantiger, undergroundiger.
Mit Beiträgen von (i. d. R. i. A.) Marc Aschenbrenner, Tom Schulz, Robert Mießner, Michael Arenz, Scheiffele, Enno Stahl, Sarah Katharina Kayß, Will Staple, Silvia Koerbl, Ralf S. Werder, Jochen Scheiper, HEL Toussaint, Susanne Morawietz, Eberhard Häfner, Andreas Paul, Jörg Burkhard, Kai Pohl, Soul2Sole, Chicken Hatto Ninja, Brigitte Struzyk, Ferenc Liebig, Christoph Bruckner, Su Tiqqun, Dirk Fröhlich, Denis Faneites, Roland Gorsleben, Jana Daria Schäfer, Thomas Steiner, Ducke, Anja Ibsch, Carolin Blenn, Henning Rabe, René Hamann, Andreas Wiebel, Gregor Kunz, Katrin Heinau, René Schwettge, Florian Günther, Matthias Hering, Frank Milautzcki, Johannes Jansen, Anton Schwarzbach, Bernadette Grubner, Ann Cotten, Arthur William Edgar O’Shaughnessy, Gerd Adloff, Knofo, Thomas Rackwitz, Catherine Hales, André Jahn, Gerald Fiebig, Ines Baumgartl, Virág Erdős, János Háy, János Pilinszky, Tibor Tiszai, Bora Hegyes, Larissa Kikol, Benedikt Maria Kramer, Jürgen Born, Michael Hillen, Jazra Khaleed, Rex Joswig, Christian Gottlieb Gunther, Johannes Witek, Bert Papenfuß, Capo D. Aster, Hans Baum, Sophie Thyssen, Max Pfeifer, Wolf Pehlke, Jochen Berg, Jörn Sack, Otfried Rautenbach, Philip J. Dingeldey, Jochen Knoblauch, Lothar Feix, Mateusz Stuczyński, Alexander Krohn, Arne Rautenberg, Fungi Fung.
Exklusivbeitrag
floppy myriapoda. Subkommando für freie Assoziation, Heft 20/21, November 2012, 6 Euro
Herausgegeben von der Epidemie der Künste zu Berlin. Erscheint im Verlag Distillery
Redaktion: Ann Cotten, Ralph Gabriel, Andreas Hansen, Herbert Laschet, Kai Pohl, Joachim Wendel, Ralf S. Werder, Karsten Wildanger.
Zeichnungen: Marc Aschenbrenner
Heftgestaltung: Katrin Salentin, Kai Pohl