Im Licht der Prophezeiungen

Gedichte

Autor:
Hendrik Jackson
Besprechung:
Mario Osterland
 

Gedichte

Prophezeiungen aus der Wundertüte

16.01.2013 | Hamburg

Welchen Wert haben Prophezeiungen? In welchem Licht erscheinen sie, wenn sie sich erfüllen oder eben nicht? Sind das die Fragen, die Hendrik Jackson zu seinem neuen Gedichtband bewogen haben? Wer weiß. Gedichte haben, ähnlich wie Prophezeiungen, immer einer spekulative Dimension. Dem Leser beziehungsweise dem Gläubigen ist es überlassen, wie weit er sich in die Ebene der Spekulation begeben will; ob er Fragen oder Antworten bevorzugt. In dieser Hinsicht machen es Jacksons Gedichte aus dem titelgebenden Zyklus Im Licht der Prophezeiungen einem nicht gerade einfach.

Um das zu erklären, blättere ich ein Kapitel weiter. Jacksons Sinnieren über die Dualität des „Ding-Dong“ (zwei Wörter mit zwei Fußnoten auf zwei Seiten) ist zweifelsohne sehr originell, führt aber zu nichts. Die knappe Reflexion über die klassische Ding-Dong-Türklingel der 70er Jahre, der Binärcode, der nur 0 und 1 kennt und das sensationelle Snooker-Duell zwischen Ding Junhui und Ronnie O’Sullivan bleiben in diesem Band eine Fußnote. Dennoch steht der knappe Text Ding-Dong stellvertretend für eine auffällige Tendenz, die den Zyklus Im Licht der Prophezeiungen betrifft. Mit einer stark aufgeladenen Sprache, die reich an Anspielungen und Verweisen ist, knüpft der Autor Assoziationsteppiche, die in jede Richtung beliebig erweitert werden können. So hat man durchaus  immer den Eindruck, dass hier ein ausdrucksstarker Lyriker am Werk ist, der mit seinem sprachlichen Vermögen jedoch in erster Linie spielt, das heißt: Spielereien betreibt.

„Täglich treibt der Mehrwert der Muntren die Müden in ihre Abstellräume.“ „denn am dritten Tag wirst du deinen Bart sanieren“ „ein Mann mit Spinnenbeinen und Buckel, der mit der Bedächtigkeit eines wogenden Ozeans sich vorwärtstastend durch den mit schwarzen Knöpfchen übersäten wunden Bauch eines musikalischen Wals.“ [sic] All das sind zwar stimmige, wenn auch teilweise sehr prosaisch erzeugte Bilder, die aber im Moment ihres Auftretens im jeweiligen Gedicht schon wieder fallen gelassen werden, um ein neues Bild in den Text zu flechten. Was bleibt ist, Jackson sagt es an einer Stelle selbst, ist Bildsalat.

Völlig anders präsentieren sich hingegen die Gedichte in den Kapiteln tags und tabula rasa. Jackson zeigt hier, dass Lyrik keine antiquierte Formstrenge braucht, eine gewisse Ordnung  dem Ganzen aber nicht schlecht zu Gesicht steht. Ein Beispiel:


Eiskönigin

Schmelzvorgänge in der Stunde der Wunderfolianten

auffliegende Reiher, wischte durch uns hindurch

                schweres Flattern, überfaltete Linie der Hälse

                äugend – Allmalereien – lavierten wir durch Lawinen

entwischten in sprenkelnde Wasser, bestürzt vor gläsernen

Lauten, Trompeten, nach innen gewölbt, dieser Palast

                wurde nie erbaut – es klirrte, spiegelte uns

                in dem glänzend-schwarzen See aus Kranwasser



Die dichte Atmosphäre zwischen Erhabenheit und Scheitern, sowie die Bildsprache, die trotz ihrer Symbolik nicht ins Kryptische abrutscht, überzeugen. Das kleine Gedicht über die nicht gebauten persönlichen und prestigeträchtigen Paläste kommt tagesaktuell nicht gerade ungelegen. Überhaupt ist Jackson immer dann stärker, wenn es ihn in seinen Texten mehr zur pointierten Reflexion reißt. Dazu dürfen es auch mehr als acht Zeilen sein, wie er im heimlichen Höhepunkt des Bandes zeigt. das Ende des falschen Poeten – Nekrolog in Nowosibirsk ist eine wunderbar desillusionierte Zeitdiagnose, die bei aller Assoziation nie die Stringenz verliert und Zusammenhänge dort knüpft, wo man sie vielleicht nicht erwartete, sie aber immer nachvollziehbar sind. Das unterscheidet die lyrische Prosa am Ende des Bandes von der am Anfang. Hier haben sich die Blickwinkel geändert. Es wird nicht mehr prophetisch ins Blaue geschossen, sondern von der Geschichte her analysiert. „die deutsche Kolbasniki, Wurstmenschen, heutzutage auch Wutmenschen und Vegetarier, stehen in Russland zusammen ein für die aufklärerischen Ideale des jungen Kropotkin: Pressefreiheit und soziale Reformen. der Anarchismus Kropotkins entstand als Form der zugespitzten Aufklärung. er war ein Mensch von übergroßem Gerechtigkeitsstreben.“

Insgesamt ist Jacksons Im Licht der Prophezeiungen eine Wundertüte, die eine Fülle an Formen und Bildwelten bereithält. Vom experimentellen Prosagedicht bis zum guten, alten Endreim scheint für jeden Geschmack etwas dabei zu sein. Das ist nicht ansatzweise so abwertend gemeint wie es möglicherweise klingt. Welcher Art von lyrischer Prophezeiung man auch seinen Glauben schenken will, Jackson zeigt die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen auf.

 

Exklusivbeitrag

Hendrik Jackson: Im Licht der Prophezeiungen · Gedichte

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