weitere Infos zum Beitrag
Gedichte
Unverfügbare Fische
meine Tasche / eine Eierschale // Faszienschläuche / meine Schuhe // Hühnerknochen / mein Carbon (…) um dann vollends ins Absurde zu geraten: altweiß, doch taubenhaft / standen wir / im Sehnenzelt / im Bandenhaus – oder scheint das nur so? Hier ist nichts sicher, wir bewegen uns durchgehend in logischem Zwielicht und müssen unseren Reflex, einen Zusammenhang zu suchen, immer wieder zurückpfeifen. Die Ausnahme bilden einige Gedichte mit poetologischen Erörterungen, die aber, da sie als Lyrik und mit Visuellem kontaminiert auftreten, nicht eigentlich diskutieren.
Mathias Jeschke, der mutige Herausgeber, bezeichnete in einem Interviewtext Gedichte einmal als „unverfügbar – wie Fische vielleicht“. Ein hübsches Bild, aber – Fische können auch unangenehm flutschig sein, und wenn man sie aus ihrem Element (dem Lyrikband) holt, schnappen sie nach Luft...
Einige Einzelbeobachtungen:
Die Schreibung variiert zwischen konsequenter Kleinschreibung, herkömmlicher Manier und Zeilen-Versalien wie in der klassischen Lyrik. Ein Grund für diese Mischung ist im Kopf des Autors zweifellos vorhanden, aber ist sie auch für den Leser plausibel? Ähnlich verhält es sich mit Zeilenbruch und Strophen-Trennung. Folgen sie der Notwendigkeit klanglicher oder gedanklicher Akzente – oder könnten sie auch anders ausfallen? Schwer zu entscheiden, wie etwa in dem Gedicht Ludwig van. Ob der Titel eine Verbindung zu Mauricio Kagels gleichnamigem Musikstück und Film von 1969 hat und deren Collagetechnik entsprechen will? Die 3. Strophe sieht jedenfalls so aus:
Bevor ich
Euch
Erzähle von
Täfelungen aus
Holz
Oder
Vinyl
Erwähne ich die
Nebenbühne
Die Kapiteleinteilung des Bandes scheint mir ihrem eigenen Anspruch nicht ganz zu genügen. Während sich unter das meer tatsächlich fast durchweg Gedichte versammeln, in denen Wörter wie Wellen, Schiff, Möwen, Hafen, Strand, Boote vorkommen (aber das ist ja nur ein äußerliches Merkmal), unterscheiden sich die Gedichte der beiden ersten Teile mehr untereinander als vom jeweils anderen Kapitel.
Die Gedichttitel, das kapiert man bald, haben nicht die Funktion einer herkömmlichen Überschrift, sondern fügen dem Text neue Rätsel hinzu, scheinen sogar von ihm weg zu führen und eröffnen gleichsam einen zusätzlichen Raum von Ungesagtem. Ein Beispiel:
himmelblaue packungen
wiesen, voller dreck und klee
unter holmen löwenzähnen
distinktion statt ehre
unsrer eignen stücke
füße
spätgereift und fad und traurig
schultern brackig
komödianten, die wir sind
Wenn man Sie gebeten hätte, diesem Gedicht einen Titel zu geben, wären Sie auf forderung gekommen?Wohl nicht, aber vielleicht hätten Sie gleich das Zitat-Jäckchen aus der drittletzten Zeile identifiziert, das die komödianten um diebrackigen schultern tragen (oder schultern sie sie brackig?)...
Dass der Autor Mediziner ist, zeigt sich übrigens an einigen Fachausdrücken, und es wird wohl auch in Zukunft nicht schaden, bei der Lektüre den Pschyrembel (das medizinische Fachlexikon) zur Hand zu haben.
Wie soll nun der Leser als Kunde und Verbraucher mit diesen Texten umgehen?
Der Klappentext suggeriert in seinem leichtfüßigen Überblicksversuch eine schwungvolle Linie für den ganzen Band, die kaum zu belegen ist. Er empfiehlt uns Entdeckerlust für intelligente Sprach- und Sinnspiele. Gewiss, die Entdeckerlust ist beim Leser erst mal vorauszusetzen. Aber sie könnte mit der Zeit ermatten und von amüsierter Neugier über angestrengtes Grübeln und befremdetes Kopfschütteln zum Achselzucken übergehen. Das liegt an zwei unterschwelligen, einander widersprechenden Appellen: Durch die Veröffentlichung lädt der Autor uns zum Zuhören ein, schließt uns aber gleichzeitig aus, als ob er sich vorgenommen hätte, jegliche Erwartung zu konterkarieren und sich in den Mantel seiner Privatsprache und Privatlogik zu hüllen. Damit steht er natürlich nicht allein, wie man beim Blättern in aktuellen Anthologien feststellen kann. Bemerkenswert nur, dass sicher nicht zufällig auf dem rückwärtigen Buchcover das Gedicht ziegeninsel abgedruckt ist, eins der wenigen, das etwas durchgehend Atmosphärisches hat und daher auf den potentiellen Leser vertrauter wirkt.
Als was dürfen wir seine Gedichte also entgegennehmen: Als Musik? Als Bild? Als apart gewürztes Gericht? Als Arbeitsauftrag? Als unlösbares Sudoku? Als kalte Dusche? Als Befund? Denn was spricht dafür dass sie verstanden sein wollen? Ist Verstehen nicht von gestern? Dazu würde sich nun aus dem Off der vielstimmige Diskussions-Chor um die Verständlichkeit von Lyrik, von Literatur, von Kunst überhaupt erheben, dem ich mich hier unmöglich anschließen kann.
Der Autor liebt die Sprache, er nimmt sie ernst, auch wenn er mit ihr spielt, er verschont uns mit Befindlichkeits-Wolken und Beziehungs-Talk. Mit seinen apart verschlungenen Sprach- und Denkwindungen müssen wir selber klarkommen oder auch nicht. Der Herausgeber bietet uns in dem erwähnten Interview die Metapher von der geistigen Nahrung an: kein Fastfood sei die Lyrik, sondern sie gehöre zu den gesunden Grund-Lebensmitteln. Gut. Aber der Metapher entsprießen leicht weitere Vorstellungen wie: schmackhaft – schwer verdaulich – ungenießbar... Zum Glück gibt es ja die verschiedensten Restaurants, Speisekarten und Rezepte, so dass die Gourmets jeder Richtung auf ihre Kosten kommen.
Ich schließe mit einer beglaubigten Überlieferung aus der Verwandtschaft: Eine Tante, gute und leidenschaftliche Köchin, probierte gern neue Gerichte aus. Ihr Mann kommentierte das Ergebnis zuweilen mit der Bemerkung: schmeckt interessant. Worauf sie dieses Gericht nie wieder kochte.
Exklusivbeitrag
Gregor Däubler: die form der druck das meer. Gedichte. ISBN 978-3-89502-340-8 Euro 14,90 Edition Voss im Horlemann Verlag, Leipzig u. Berlin 2012
Christa Wißkirchen hat zuletzt über "Die Wolke wird mein Flügel", Gedichte von Eudard Mörike auf Fixpoetry geschrieben.