In den Straßen von Los Angeles

Stories

Autor:
Ry Cooder
Besprechung:
Armin Steigenberger
 

Stories

Jenseits vom Groschenheftblick hinter die Kulissen von L.A.

25.02.2013 | Hamburg

Ry Cooder ist vermutlich der einzige Musiker, dessen Steelguitar gleichzeitig sonnendurchflutet und düster klingt. Wer Paris, Texas gesehen hat, einen Film über Liebe, Verlust und Vergessen, hat bestimmt den starken Soundtrack dazu nicht vergessen, der gleichsam aus dem Hintergrund für die unvergleichliche Stimmung des Films sorgt. Es sind Töne wie Nadelstiche, die ein geheimnisvolles, dunkles, klagendes Thema beschwören. Markant und durchdringend hängen Töne in der Schwebe, abgründig schrammelt dazu das Rasgueado der Begleitgitarre. Die leicht am Bottleneck schnarrenden Stahlsaiten – begleitet von den leisen Wischern der über die Saiten schlitternden Fingerkuppen – lassen eine Vorstellung von sirrender Hitze über ruhig daliegender Weite amerikanischer Landschaft aufsteigen. Einzigartige Instrumentals wie Paris, Texas leben ganz aus der Klangwirkung langgezogener, glasklarer Töne und zaubern eine hintergründige, geheimnisvolle, melancholische Melodie hervor; das starke Vibrato unterstreicht die charakteristischen Bluesklänge. Es entsteht eine meditative, in sich ruhende, enorme Spannung. Gute Soundqualität und den typischen messerscharfen Gitarrensound hat der Vigilante Man.

Dass Ry Cooder neuerdings auch Bücher schreibt, wissen vermutlich nur die Wenigsten. 2011 erschienen bei City Light Books seine „Los Angeles Stories“. In den finsteren Seitengassen und Cocktailbars spielen Ry Cooders Geschichten. Dort sind die Arbeiter und kleinen Kriminellen zu Hause, die um ihr Überleben kämpfen. Kleine Kriminalgeschichten, in denen Ry Cooder gekonnt und ein wenig ironisch mit den Genres des Hardboiled-Krimis und des Gangsterfilms spielt, verkündet der Klappentext. Auf 288 Seiten geht es in acht Stories nicht nur Downtown, sondern auch in die Hinterhöfe der mexikanischen Bezirke von Los Angeles. Man blickt hinter die Kulissen dieser riesigen Stadt zur Zeit der 1940er und 50er Jahre, wie dort das Leben so spielt. Es ist der Blick von unten in eine zumeist sehr männliche Welt altbekannter Stereotypen mit den bekannten ungebrochenen Helden der Straße, die nach Schweiß und Motoröl riecht. Frauen sind dort zumeist Hausmamas, Bardamen oder Prostituierte. Und dennoch werden Klischees aufgebrochen. Die Geschichten sind sehr atmosphärisch und durchaus vielschichtig, was inhaltliche Komplexität angeht.

Gleich in der ersten Story, die auf 1940 datiert ist, verstrickt sich der Protagonist – ein harmloser Vertreter – vollkommen zufällig in drei Todesfälle und gerät so ins Visier der Polizei. Und das ist fast schon ein Motiv, das sich durch alle Stories zieht: jemand gerät in der „Hinterhofwelt“ von Los Angeles unter Mordverdacht. Das Personal sind dabei die üblichen Verdächtigen, die Stories die typischen Stories, wie man sie von Ry Cooder bei so einem Titel erwarten würde. Das zumindest auf den ersten Blick. Es sind, so wird es einem dargeboten, die ganz armen Leute, wie sie sich durchkämpfen, die vom LAPD gesucht werden, oft mit unverhohlenem Rassismus gegen Mexikaner, gegen „Molokanen“, „Mariachis“ und „Pachuco-Jungen“ im Barrio. Dort schlägt man sich u. a. mit kleinen Jobs und Tricksereien durch: Kleinbetrüger, Ganoven, Möchtegerngangster und Lebenskünstler in allen Facetten neben der hart und ehrlich arbeitenden Bevölkerung halten sich mit allerhand Jobs über Wasser. Daneben gibt es auch die Abzocker, denen es in der längeren Erzählung Ewig klingelt mein Telefon an den Kragen geht. In dieser Geschichte geht es um die komplexen Verstrickungen des Kapitals am Beispiel des verarmten Venice Beach im Santa Monica der Mittfünfziger. Man beschattet sich, verrät sich, tötet einander, macht Geschäfte, schachert und trickst sich gegenseitig aus. Ein gewisser Lonny bekommt aus Gefälligkeit eine Geschlechtsumwandlung finanziert. Die Geschichte hat auch satirische Anklänge.

Fast in jeder Story passieren ein oder mehrere Morde. Im Unterschied zu einem normalen Krimi werden hier immer mehrere Handlungsstränge ineinander verflochten, sodass es schwierig ist, als Leser am Ball zu bleiben und die Geschichte immer ganz zu überblicken. Hinzu kommt eine hohe Anzahl an Namen und Personen. Die immer männlichen, in ihren Gedanken immer jugendlich wirkenden Ich-Erzähler haben darin eine Art Sonderstellung: sie sind naive Helden, Identifikationsfiguren, die keiner Fliege etwas zuleide tun wollen. Und trotzdem machen sie sich in den Geschichten immer die Finger schmutzig. Es ist der ghettohafte „Schmutz“, der auch an ihnen haften bleibt. Man meint zwischendurch immer wieder – ein Déjà-vu des Déjà-vus? –, man würde das inhaltlich schon kennen, denn allein der Titel In den Straßen von Los Angeles evoziert schon eine ganze Reihe von Erwartungen und freilich auch Klischees; die kernige Sprache ist ebenso typisch für das, was erzählt werden soll. Die Titelwahl zeugt manchmal nicht von allzu großem Einfallsreichtum. Und dennoch haben die Stories mehrere Ebenen. Wo die Geschichten allzu komplex werden und aufgrund der wechselnden Tonlage oder durch Abschweifungen an Spannung verlieren, da wird die Rollenprosa, die oft gewaltig Zug hat, samt ihrem teils gewieften, teils derben Humor durch allzu viel eingewobene Reflexion ein wenig unglaubwürdig: Man kann nicht gleichzeitig Klischees bedienen und sie ständig unterlaufen wollen. Wenn in einer auf den Zeitraum 1940-50 datierten Erzählung modische Begriffe wie „Zombie“, „gestyled“, „Riesenevent“ und „metallic“ auftauchen und obendrein noch dazu sehr freizügig über Drogenkonsum geschrieben wird, ist man sich nicht so sicher, ob der Erzähler sich gedanklich nicht doch in der Jetztzeit befindet?

zurück