Erzählungen
Literatur als Tango
30.03.2013 | Hamburg
Der Tango ist nicht nur ein argentinischer Tanz, sondern zugleich auch eine Lebenseinstellung, ein Lebensgefühl, das sich vor einem kulturellen Hintergrund entwickelt hat; so manche Möglichkeit ist vorgegeben, um sein Leben zu gestalten, damit zurecht, ins Reine, zu kommen. „Das Leben ist ein Weg, den wir immer weitergehen. Hindernisse zwingen uns dazu anzuhalten, einen Schritt zur Seite zu tun, zurückzugehen, sich zu drehen, um eine andere Richtung einzuschlagen, hie und da eine Firulete zu machen – eine Tangofigur, bei der die Tänzer vorgeben, eine bestimmte Bewegung zu machen, um dann eine andere auszuführen. Und schon zeigt sich: "Das Leben ist ein Tango“, schreibt Lidio Mosca-Bustamante, 1947 in Santiago del Estero geboren, einer Stadt im Nordwesten Argentiniens, in seinem Vorwort zu „Tango-Kontinuum“, einer Sammlung von Erzählungen, gegliedert in zwei Teile: „Das Fegefeuer“ und „Die Hölle“.
„Das Fegefeuer“ umfasst zehn Erzählungen, allesamt in städtischen Ballungsraum von Buenos Aires angesiedelt. Die Männer waren Machos oder Malevos – meist beides gleichzeitig. Sie bevorzugten eine signifikante Kleidung, hielten Arbeit für überflüssig und konzentrierten sich darauf, ihre Ehre zu verteidigen. Wenn es um Schulden beim Glücksspiel oder um eine Frau ging, zückten sie ihr Messer, das stets hinten in ihrem Gürtel steckte. Meist lebten sie in Conventillos, städtischen Notunterkünften, wo sich auf engstem Raum ganze Familien zusammendrängten.
Rache und hierarchische Stellungskämpfe mussten ausgefochten werden, damals in den frühen 1900er-Jahren, und Mord war keine Tat, vor der ein Malevo zurückschreckte. Auch ein Strafgefangener kommt eines Tages wieder frei und kann dort fortfahren, wo die Justiz sein Tun unterbrochen hatte. Unglaublich faszinierend und spannend schildert Lidio Mosca-Bustamante diese Messerduelle, man ist mitten in der Szenerie und möchte am liebsten davonrennen, wenn die Dramatik sich ins Unerträgliche steigert, die Kontrahenten einander immer tiefere Wunden zufügen, die Verletzungen bis zur Kampfunfähigkeit geraten – und ein tödlicher Stich den Kampf schließlich beendet. Es sind Erzählungen, die selbst einen Vielleser dazu zwingen, dann und wann das Buch zur Seite zu legen und durchzuatmen. Äußerst handgreiflich sind diese Geschichten, die im Original auf Spanisch geschrieben wurden, aber immer wieder mindert der Tango, die Beschreibung des Tanzes, wie zwei Tänzer einander zu übertrumpfen trachten.
Doch nicht immer sind es Menschen, die einander bekämpfen, stellvertretend können Kampfhähne Rivalitäten austragen. Die Erzählung „Die Malevos Cipriano López, Teófilio Hierro und ihre Kampfhähne“ zählt zum Eindringlichsten, was ich seit langem gelesen habe. Detailreich beschreibt der Autor die Szenerie in der Hahnenkampfarena, wenn die Kampfhähne bis zum bitteren Finale ihre Schnäbel gegeneinander einsetzen.
In der „Hölle“ tummelt sich eine mordgeile Gräfin, deren Diener nach jungen Menschen in ihrem Dorf Ausschau halten, um sie in ihr Schloss zu locken. In der Erzählung „Das Tor zum Paradies“ versuchen zwei junge Afrikaner nach Europa zu gelangen, in das Paradies, scheitern aber am Stacheldrahtzaun. „Die Herrschaft des Teufels“ thematisiert, wie ein kroatischer Tschetnik von einer mexikanischen Drogengang zum Killer ausgebildet wird, und ermordet, ohne dies zu ahnen, die Tochter seiner Geliebten. Allesamt starker Tobak, diese Geschichten, äußerst packend erzählt, sind sie jedoch nicht der Phantasie des Autors entsprungen, sondern Bestandteile der Realität unserer Welt.
Lidio Mosca-Bustamante Source: lidiomoscabustamante.blogspot.
Seit 1975 lebt Lidio Mosca-Bustamante in Österreich. Er ist ein Autor, den das deutschsprachige Publikum bislang noch kaum wahrgenommen hat und den es zu entdecken gilt. Nicht immer sind es große Verlagshäuser, selbst wenn sie das Privileg einfordern, wichtige Bücher zu veröffentlichen.
Lidio Mosca-Bustamante: Tango Kontinuum Von Machos, Malevos und Vermaledeiten.Erzählungen. Aus dem Spanischen von Gerhard Giesa. Autorenverlag Gerbgruben, Neusiedl am See 2012. 275 Seiten.
Manfred Cobot hat zuletzt über »Tod im Museum für Moderne Kunst« von Alma Lazarevska auf Fixpoetry geschrieben.