Der amerikanische Architekt

Roman

Autor:
Amy Waldman
Besprechung:
Simone Trieder
 

Roman

Nicht ohne Blut – Von der Schwierigkeit kollektiven Gedenkens. »Der amerikanische Architekt» von Amy Waldman

25.04.2013 | Hamburg

Unter dem Symbol 9/11 sind die Anschläge auf die New Yorker Twintowers gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends als kollektives Trauma in die Geschichte eingegangen. Zwei Kriege, einer in Afghanistan und einer Im Irak wurden deshalb begonnen.

Etwa 17 000 Menschen befanden sich zum Zeitpunkt der Anschläge in den Häusern. Fast 3000 Menschen starben, beim Versuch vor dem Feuer aus dem Fenster zu springen oder unter den Trümmern der zusammenbrechenden Hochhäuser. Menschen, die in den Büros gearbeitet haben, Menschen in Anzug und Krawatte, im Businesskostüm, Menschen in blauen Kitteln, die Toiletten geputzt haben. Es starben auch Helfer, Feuerwehrmänner Polizisten. 700 Menschen, Gerichtsmediziner und Helfer, sichteten und sicherten unter Polizeischutz 21 000 Leichenteile. Bis heute werden winzige Partikel auf DNA-Spuren untersucht. Selten gelingt eine Zuordnung, dann wird das Bruchstückchen der Familie zur Bestattung übergeben. Über 1000 Familien haben diese abschließende Gewissheit nicht bekommen und werden sie wohl auch nicht mehr bekommen. Für sie ist eine Gedenkstätte von außerordentlicher Wichtigkeit.

In Amy Waldmans Roman „Der amerikanische Architekt“ stehen das Gedenken und der Umgang damit im Mittelpunkt. Denn der „amerikanische Architekt“ ist der Gewinner des Wettbewerbs um den besten Entwurf für eine Gedenkstätte. Die Betonung liegt auf dem amerikanisch, denn der Name des Architekten verrät seine islamische Herkunft. Wunderbar, jubelt ein Teil der Jury, die Botschaft der Versöhnung, das geht gar nicht, stöhnen die anderen, was werden die Angehörigen sagen. Die wohlsituierte Claire, Mutter zweier Kinder, ist eine Angehörige, sie hat ihren Mann verloren. Sie hatte sich für den „Garten“ Mohameds Khans eingesetzt, sie hat Zweifler überzeugt und sie ist gewillt, sich für den Gewinner einzusetzen, weil seine Idee sie überzeugt hat. Das würde der Ort sein können, wo sie ihrem toten Mann, der nicht identifiziert wurde, nahe sein könnte.

Claire gehört seit diesem kollektiven Unglück sich nicht mehr selbst. Das Erstaunliche, dieser Roman vermittelt genau das. Claire ist sich gar nicht sicher, ob sie ihren Mann geliebt hat, ob er sie verstanden hat. Aber diese Fragen gibt es nun nicht mehr, ihr Leben ist nun das einer Angehörigen. Die ständig im Licht der Öffentlichkeit stehen, sie und ihre Kinder, die mahnen, nicht zu vergessen. Die kollektive Trauer wird gefürchtet, die Witwen haben etwas Unangreifbares für die Öffentlichkeit. Und – sie haben gar kein eigenes Leben mehr. Als wäre das Leben der Angehörigen im Ground Zero mit eingeschmolzen. Ein Großteil des Romans spielt zwei Jahre nach dem Anschlag.

Anderen hat 9/11 überraschend zu einem Lebenssinn verholfen, wie Sean, der seinen Bruder verlor und der nun das proletarische Pendant zu Claire ist. Und für den das neuer Zündstoff ist, als er aus der Regenbogenpresse erfährt, dass der Architekt des Denkmals muslimisch ist.

Noch eine dritte Kategorie Angehöriger verkörpert Asma, die mit ihrem Mann aus Bangladesch gekommen war, wenige Wochen nach dem Tod ihres Mannes bringt sie seinen Sohn zur Welt. Sie lebt illegal in New York.

Amy  Waldman wirft mit wenigen geschickten Karten die Brandmasse der Problematik aus. Sie blendet weg, was mitschwingen könnte, ein kühler analytischer Kopf ist zu spüren, der den Brand verfolgt. Waldman gelingt mit „Der amerikanische Architekt“ ein überzeugendes Röntgenbild der Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft.

2011 wurden im Ground Zero tatsächlich die „Fußspuren“ eingeweiht, die Gedenkstätte an 9/11. Zwei Gigantische Wasserbecken auf den Grundrissen der verschwundenen Hochhäuser, im Zentrum fällt das Wasser in die Tiefe. Im Vorfeld gab es Unruhe und über das Wie der Namen hatte der Künstler mit den Angehörigen ein sattes Jahr „gestritten“. 2011 ist auch Amy Waldmans Roman erschienen. Zum zehnjährigen Jubiläum des Anschlags. Inwieweit die Journalistin der New York Times sich an die realen Vorgänge gehalten hat, ist unerheblich, die Parallelen drängen sich auf:

Im Roman hat Mohamed Khan einen Garten entworfen durch den Kanäle gehen, echte Bäume vermischen sich mit Bäumen aus Stahl. Als durch eine Indiskretion der Name des Gewinners des Wettbewerbs vorfristig veröffentlicht wird, bricht ein Sturm der Empörung los. Er hätte eine Art Paradies für die islamischen Märtyrer geschaffen, er wolle die Toten und ihre Angehörigen verhöhnen. Öffentlicher Druck wird ausgeübt, Khan soll den Entwurf zurückziehen. Bei einer Anhörung verteidigt Kahn seinen Entwurf und erhält unerwartete Hilfe.  Asma war mit einem Dolmetscher gekommen, sie spricht sehr emotional und gewinnt die Herzen vieler Zuhörer. Doch eine Boulevardzeitung recherchiert, dass sie illegal in New York lebt, dass sie eine Million Entschädigung vom Staat bekommen hat, was Asma ihrer Community verschwiegen hatte. Sie beschließt schweren Herzens nach Bangladesch zurückzugehen, wo sie die Erziehung ihres Sohnes den Schwiegereltern überlassen muss. Die Boulevardzeitung veröffentlicht ihren Abreisetermin, in einer Art Hetzjagd durch Reporter kommt sie zu Tode.

In einem Gespräch zwischen Claire und Mohamed Khan wird ihr bewusst, dass Asma eine Witwe wie sie war, sie aber nie den Kontakt zu ihr gesucht hat. Claire kann den Mann nicht zum Einlenken bringen, dass er mit seinem Garten islamische Gedanken verfolge. Änderungen lehnt er ab. Claire wird von nun an das Denkmal nicht mehr verteidigen. Es wird nicht realisiert.

Die Beziehung zwischen dem Denkmalschöpfer, dem amerikanischen Architekten und der Witwe zeichnet Amy Waldman ambivalent. Sie liebt seinen Entwurf, der eine Brücke zu ihrem toten Mann herstellt. Sie, die seit Jahren allein mit den Kindern lebt, fühlt sich angezogen von dem Mann mit den fremden, verhassten Wurzeln. Und er, der gar nicht gläubig ist, beginnt sich mit seinen Wurzeln zu identifizieren. Zehn Jahre später wird das Denkmal als Privatgarten eines reichen Arabers gebaut. Claires Sohn dreht eine Dokumentation über die Geschichte des Denkmals, sucht die Juroren in New York auf, den Sohn Asmas in Bangladesch, und Mohamed Khan, der inzwischen in Mumbai als erfolgreicher Architekt lebt. Claire sieht den Garten im Film ihres Sohnes und sie begreift, dass sie ihren eigenen Weg verloren hat.

Exklusivbeitrag

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt. Roman. Gebunden. 507 Seiten. Verlag Schöffling & Co. Übersetzt von Brigitte Walitzek ISBN: 987-3-89561-491-0. 24,95 Euro

Simone Trieder hat zuletzt über Johanna Adorján: »Meine 500 besten Freunde» von Johanna Adorján auf Fixpoetry geschrieben.