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Gedichte
Blauzungenkrankheit. »kleine grammaturgie» von Dagmara Kraus. roughbooks # 26
05.05.2013 | Hamburg
Die Einführung und Erfindung der Plansprachen im 19. Jahrhundert, sollte der babylonischen Sprachverwirrung ein Ende bereiten und die internationale Kommunikation erleichtern. Unter einer Plansprache versteht man, im Gegensatz zu einer Weltsprache, eine bewusst und planmäßig ausgearbeitete künstliche Sprache. Esperanto ist die wohl bekannteste und auch die einzige Plansprache die sich bislang wirklich durchsetzen konnte.
Da eine Plansprache die Kommunikation erleichtern soll, zeichnet sie sich zumeist durch eine einfache und auf das wesentliche beschränkte Grammatik aus.
In ihrer kleinen grammaturgie hat die polnisch-stämmige Dichterin Dagmara Kraus nun gleich vier dieser Plansprachen lyrisch verwendet.
“Myrana” von Josef Stempfl; “Volapük” des katholischen Priesters Johann Martin Schleyer; die neue, noch etwas unausgegorene Plansprache “Tcatcalaqwilizi“ aus dem Jahr 2009 und vor allem “Langue bleue”, nach ihrem Erfinder Léon Bollack auch “Bolak” genannt.
Eine Menschheit – eine Sprache, ist zumeist der Traum, der hinter einem Plansprachenprojekt steckt. Und so muss eine Lyrikerin, die ihre Gedichte in Plansprachen zusammenstellt, wohl auch den Traum von einer universalgültigen und -verständlichen Poesie träumen.
Gerade Kraus, die sich auch als Übersetzerin polnischer Gedichte hervorgetan hat, etwa von Miron Białoszewski, weiß um die Schwierigkeit ein Gedicht von einer Sprache in die andere zu übertragen. Ein solcher Übersetzungsprozess geht vor allem in der Lyrik nie ohne bedeutende Verluste von statten, sei es die Form, die Musikalität, der besondere Ton, etwas muss der Verständlichkeit immer geopfert werden. Welch eine schöne Utopie bietet da eine Allpoesiesprache, die allen gleich zugänglich und verständlich ist. Eine Sprache transportiert zugleich aber auch immer eine Weltanschauung. Deshalb beherbergt eine Allsprachenutopie auch immer zugleich die Dystopie einer Weltanschauung, die dann über all den anderen stünde.
Ins Zentrum ihres Bandes stellt Kraus die Langue Bleue des wohlhabenden französischen Kaufmanns Léon Bollak. 1899 schuf er die neue Plansprache mit dem Ziel, den internationalen Handel zu erleichtern und verbat sich, dass seine Sprache für poetische Zwecke missbraucht wird. Diesem Wunsch hat sich Dagmara Kraus nicht gebeugt. Ihr ist es in ihrer kleinen grammturgie gelungen, einen sehr spannenden Hybrid zwischen Grammatiklehrbuch und Poesie zu schaffen. Das sieht dann so aus:
ne seri nif ib gev[1]
dog[2]
kval[3]
virt[4]
div[5]
madr[6]
per di lers[7]
it ag sor A[8]
tanɥ sfaksed is mis mri[9]
be smoko gaɥ[10]
ileɥ sigaretu oni treɥ[11]
it lu tim nu sferno[12]
me tvevo[13]
bo ɥe sor A ra ru komo[14]
Bollaks zweiten Wunsch entsprechend, sind die in langue bleue verfassten Texte dabei blau abgedruckt.
Kraus Band scheint es darauf abgesehen zu haben Bollaks Diktum, in einer künstlichen Sprache könne Literatur keinen Platz finden, zu widerlegen.
Trotz des darin enthaltenen romantisch-utopistischen Moments, der auch in der Farbe Blau enthalten ist, bleibt Kraus in der Umsetzung ganz Formalistin. Die Freude am zugleich spielerischen wie auch berechneten, berechnenden Umgang mit dem Sprachmaterial erinnert an die französische Oulipo-Gruppe, deren selbsterklärtes Ziel die „Spracherweiterung durch formale Zwänge ist“.
Nullum poema sine lege? (Kein Gedicht ohne Gesetz?) prunkt daher auch großformatig als Motto auf dem Cover dieses Bandes, als wohl ernstgemeinte Parodie des juristischen Grundsatzes nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz).
Auch die Antike und ihre mythischen und historischen Figuren stehen immer wieder im Zentrum von Kraus‘ Schaffen, die in jedem Sinne des Wortes eine poetria docta ist, die sich der Tradition, in der sie steht, bewusst ist und aus vielfältigen, auch abgelegenen Quellen zu schöpfen vermag.
So ist z.B. incitatus, dem Lieblingspferd des römischen Kaisers Caligula (12-41 n. Chr.) gleich ein ganzer Zyklus gewidmet (heisssporn dein purpur), in dem es selbst zur Sprache kommt. Der als wahnsinnig verschriene Kaiser hatte sein Pferd mit einem eigenen Palast und eigenen Untergebenen beschenkt. Dem Senat hatte er angekündigt sein Pferd zum Konsul erheben zu wollen. Ein Affront, den er mit dem Leben bezahlte. Dieses Pferd nun lässt Kraus durch allerlei Wortspielereien, „incitatus macht hausgott den garaus“, über seinen Herren reflektieren:
caligula hat keine manen
caligula hat keine manieren
keine mähne wie ich
keine mähre
burdelski
manien
dafür trägt er
wow gajus
den stiefel im namen
von klein auf der hai
und wer kann das schon von sich behaupten.
Zu kritisieren wäre, dass diese und viele andere Bezüge sich erst nach einer längeren oder kürzeren Recherche erschließen und der Leser erst nach dem googlen weiß, dass es sich bei einemEpithalamion schlicht und ergreifend um ein Hochzeitsgedicht handelt, das bei Kraus zu einem Heiratsantrag an eine Ameise mit recht eigenwilligen grammatikalischen Regeln mutiert.
Es erübrigt sich zu betonen, dass sich diese Dichterin im Elfenbeinturm der Gelehrsamkeit eingerichtet hat und der Leser sich unter Mühen zu ihr hinaufarbeiten, oder besser gesagt, hinaufschwingen muss.
Diese Herausforderung kann nach einer Weile aber auch ein Auseinandersetzungs- und Enträtselungsfieber hervorrufen, und man infiziert sich bei Kraus mit der maladie de la langue bleue, dem Blauzungenvirus, der nur bei Wiederkäuern vorkommt.
[1] wir sind neun auf der Erde
[2] ein hund
[3] ein pferd
[4] eine tugend
[5] ein gott
[6] eine heimat
[7] ein vater aus eisen
[8] und dieser Herr A
[9] so zufrieden wie fräulein marie
[10] sie rauchen schon seit langem
[11] viel weniger zigaretten
[12] und die zeit ist nicht weit
[13] ich zaudere
[14] aber da ist ja herr A, der zurückkommt
Exklusivbeitrag
Dagmara Kraus: kleine grammaturgie, 72 Seiten, 12,00 Euro, roughbooks 2013.
Dies ist Mónika Koncz' erster Beitrag für Fixpoetry. Sie wird in Zukunft regelmäßig für uns schreiben.