Einzelgänger

Erzählungen

Autor:
Wolfgang Sofsky
Besprechung:
Anja Kümmel
 

Erzählungen

Auf sich gestellt. »Einzelgänger« von Wolfgang Sofsky

12.05.2013 | Hamburg

Wer sich in Zeiten von Facebook, Twitter und Co. den Zurückgezogenen, den Weltfremden, den freiwillig Schweigenden widmet, verdient  allein aufgrund dieses Sujets meinen vollen Respekt. Denn „Einzelgänger“ – so der Titel von Wolfgang Sofskys Prosadebüt – zählen definitiv zu einer aussterbenden Spezies.

Sofsky, Jahrgang 1952, war Professor für Soziologie in Göttingen und ist nun als Privatgelehrter, Journalist und Essayist tätig. Bislang machte er vor allem als Wissenschaftler auf sich aufmerksam. 1993 erhielt er für seine Habilitationsschrift „Die Ordnung des Terrors“ den Geschwister-Scholl-Preis; seitdem veröffentlichte er diverse Werke zu den Themen Gewalt und Terror, Freiheit und Sicherheit. Wie schlägt er sich nun im literarischen Metier?

Höchst unterschiedlich, wie der Erzählband „Einzelgänger“ zeigt. Während einige der 23 Kurzgeschichten ganz abgesehen von den innewohnenden klugen Gedanken ein literarischer Genuss sind, wirken andere Texte unausgegoren, blutleer und allzu verkopft.

„Einzelgänger“ springt zwischen den Zeiten hin und her, zwischen Märchen, Mythos, Parabel und Alltagsbeobachtung. Die Anfänge sind oft kryptisch gehalten; selten weiß man, wo und in welcher Zeit man sich gerade befindet. Das weckt die Neugierde – doch nicht alle Geschichten halten, was die raffinierten Anfänge versprechen.

Sofsky fasst den Begriff des „Einzelgängers“ weit. Er schreibt über einen alten Leuchtturmwärter, dessen Arbeitsstätte längst in ein Museum umgewandelt wurde, über einen Attentäter, der von allen abgeschottet den perfekten Mord plant, ebenso wie über zwei Trinker, deren einzige Gefährten die Absinthdämonen sind.

Einige Texte verweisen, ohne allzu konkret zu werden, auf tatsächliche Ereignisse wie den zweiten Weltkrieg oder den Stasi-Terror. In „Der Koffer“ wird ein Informant in eine Gruppe vermeintlicher Staatsfeinde eingeschleust. Jahrelang fährt er mit seinen Gefährten auf Demos, druckt Flugblätter, singt mit ihnen Protestlieder. „Einzelne sind ihm fast ans Herz gewachsen“, und doch ist er sich stets bewusst, der Verräter in ihrer Mitte zu sein. Nacht für Nacht tippt er seine Erlebnisse ab, „so lange solle er schreiben, bis das Hirn leer, bis es ausgetrocknet sei“. Dabei weiß er noch nicht einmal, ob sein unsichtbarer Auftraggeber zufrieden ist mit seinen Berichten, ja, ob sie überhaupt gelesen werden. „Oder bin ich es, der mittlerweile beobachtet wird?“ Schon weiß der Informant selbst nicht mehr, auf welcher Seite er steht, wem seine Loyalität gilt – nur, dass er nirgends wirklich dazugehört. In seiner beklemmenden Intensität erinnert dieser Text an Wolfang Hilbigs großartigen Roman „Ich“.

Auch die Miniatur „Glockenblumen“ vermittelt auf wenigen Seiten ein Gefühl existenzieller Verlorenheit, ohne dies mit großen Worten zu überhöhen. Ein Kriegsheimkehrer streift durch seine zerstörte Heimatstadt. Niemand erkennt ihn oder will ihn erkennen: „Wütend sind sie und ängstlich zugleich, vielleicht möchten sie ihre Gedanken löschen und ihre Taten augenblicklich vergessen“. Ihm wird klar, dass die Distanz zwischen ihm und den anderen unüberwindlich ist, dass er eine untilgbare Kollektivschuld repräsentiert. So reist er wieder ab, beginnt ein neues Leben als Fremder in der Fremde.

Zwischendurch wird es märchenhaft, wie etwa in „Das Antlitz“: Ein Schlossherr, der niemandem sein Gesicht zeigen will, verbietet alle Spiegel am Hof und nimmt somit auch seiner Dienerschaft die Möglichkeit, sich selbst anders wahrzunehmen als durch die Augen anderer oder durch das Ertasten des eigenen Gesichts. Dass auch diese Unmöglichkeit der Selbsterkenntnis eine Art Zurückgeworfensein auf sich selbst bedeutet, ist eine interessante Idee.

Andere Texte wiederum kommen reichlich moralinsauer daher, wie etwa das Lamento eines alten Antiquars, der sich bei  einem seiner letzten Kunden beklagt: „Die Gebildeten sind tot“. Dieser Text, der zum Großteil aus Monologen besteht, erscheint wie ein Vorwand für eine kulturpessimistische Abhandlung, die sich doch wohl besser in essayistischer Form hätte verpacken lassen.

Gerade die handlungsärmeren Texte, wie etwa das Porträt eines Eremiten, sind nichts als nervtötende Aneinanderreihungen philosophischer Leitsprüche, hinter denen sich kaum wirklich neue Erkenntnisse verbergen („Begleitung ist dem Denken ebenso abträglich wie dem Gehen“; „Nur strenge Arbeit an Körper und Geist bringe den Menschen in  Berührung mit Gott, nicht plötzliche Erweckung oder Bekehrung“).

Allzu plakativ und pathetisch gerät auch die Beschreibung einer mythologisch anmutenden Frauengestalt, die „Unnahbare“: „Sie liebt das Zwielicht des scheidenden Tages, wenn das Lispeln des Grases ihr eine trübe Ahnung schenkt“. In gestelzter, altmodischer Sprache werden archaische Klischees weiblicher Nachtmahre, schwarzer Witwen und strenger Königinnen heraufbeschworen und zusammengemixt, ohne dabei ein neues Bild entstehen zu lassen.

Gut gelungen sind dagegen Sofskys leicht surreale Parabeln, die ihre Message aus einer unterschwellig beklemmenden Atmosphäre ziehen, anstatt sie mit dem Holzhammer zu vermitteln.

In „Kleine Entfernung“ etwa entwirft der Autor ein kafkaeskes Zukunftsszenario, in dem ein Mann seinem gealterten Ich durch eine seltsam entleerte Stadt folgt. Die Reise endet in einem labyrinthischen Krankenhaus, in dem die Wartenden Nummern ziehen müssen, jedoch niemals vorgelassen werden. In Texten wie diesem schafft es der Autor, die Vereinzelung seiner Protagonisten deutlich und nachhaltig spürbar werden zu lassen.


Exklusivbeitrag

Wolfgang Sofsky: Einzelgänger. 202 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3882210323. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013

Dies ist Anja Kümmels erster Beitrag für Fixpoetry. Sie wird in Zukunft regelmäßig für uns schreiben.