Es gibt den ungeheuren Anderen

Gedichte

Autor:
Alfred Kolleritsch
Besprechung:
Rainer Strobelt
 

Gedichte

Gedicht, Gesicht, Gedicht. »Es gibt den ungeheuren Anderen« von Alfred Kolleritsch

21.05.2013 |  Hamburg

Seit 1960 Herausgeber der Literaturzeitschrift „manuskripte“ hat der österreichische Schriftsteller Alfred Kolleritsch, neben drei Romanen, zwischen 1972 und 2006 zehn Lyriktitel vorgelegt und in dieser Zeit u.a. den Georg-Trakl-Preis für Lyrik (1987) zugesprochen bekommen. Anerkennenswert all die Jahre über ist sein Einsatz für (meist jüngere) Schriftstellerkollegen, wobei er das Vorankommen etwa von Oswald Wiener, Ernst Jandl und Peter Handke befördern half.  Nach schwerer Krankheit, bei wochenlangem Koma, ist Kolleritsch nun froh, mit seinem Lyrikband „Es gibt den ungeheuren Anderen“ (der auf dem Umschlag vorgenommene Kursivdruck macht gleich neugierig auf Perspektiven, ein Mysterium) „den eigenen Scheinwerfer wieder aufzudrehen“ (steiermark.orf.at, 1.2.13).

Der Droschl-Literaturverlag (Graz) legt hier also ein Hardcover-Lyrikbuch vor in liebevoller, dabei vom Einband her, selbstverständlich möchte man sagen, nüchterner Darbietung, ein Band, der 69 stets ungereimte, meist kurze, oft sehr kurze Gedichte vorstellt. Das Buch leitet ein Vorwort „Der englische Gruss“ von Peter Handke ein, originell und dichterhaft.

Kolleritschs Gedichte hier, obwohl in einigen auch die Situation eines unmittelbaren Erlebnisses evoziert wird, repräsentieren überwiegend das Genre der Gedankenlyrik, indem derjenige Leser besonders auf seine Kosten kommt, dem es an dichterischer Philosophie liegt, der weiß, dass von Wörtern, nein Begriffe sind es selbstverständlich nicht, etwas zu erwarten ist, dass sie Ausgang und Eingang sind. Ja, bei Kolleritsch ist das Antithetische, besonders das Paradoxe zu Hause.  Aber für wen schon paradox? Nur für uns, die „Innocents Abroad“, um Mark Twain schnell noch zu Wasser zu lassen. Für den Dichter Kolleritsch, den Sprecher seiner Gedichte natürlich bloß, ist nämlich dies vereinbar, ja erstrebenswert, unverzichtbar gar: Alles in die Waagschale zu werfen, dem Triumph daraus aber fernzubleiben, so dass sich folgende Zeilen wie Kolleritschs Poetik liest: „Die Sprache so zu wagen,/dass sie sich im Gedicht verkriecht.“

Kernstück des Buches ist ein Liebeszyklus, in dem eine meist mysteriöse „Sie“ den männlichen Sprecher beschäftigt. Mit ihr lässt er einen Tanz aufführen unter Variationen um das Motiv von Annäherung und Entfernung; der Frage nach einer Ergebnissicherung:

„Wohl ein Rest von ihr/wird bleiben./In ihr verwahrt:/die Unzulänglichkeit für das Glück./Sein Glück/ist die Hoffnungslosigkeit/dorthin.//Ob sie es weiß?/Sie weiß mehr.“

Man sieht, Kolleritschs Gedichte bezeugen jenes Interesse an der Welt, den Dingen, dem Gegenüber, an sich selber, also dem Anderen. Jedes für sich: ungeheuer (s. Titel des Buches), d.h. ungeheuerlich. Das heißt schließlich: so sehr betrachtenswert.

Was manchem in diesem Gedichtband als Pessimismus, Sinnen-Unlust  erscheinen mag, ist wohl nicht nur für Kolleritsch („Uns zog es fort,/so blieben wir.“) Abbildung einer vollen „Realität“, Aufführung einer dichterischen (Über-) Lebensstrategie.

Die Gedichte in „Es gibt den ungeheuren Anderen“ sind eine Kriegserklärung an das Schwarzweißmalen, Wissen und Prahlen; sind sprachlich präzise, Aufmerksamkeit erzielend. Eine Liebeserklärung an das Hinschauen beim Zurückgehen. An das Gesicht: weiteres Zauberwort im Buch. An das Gedicht, das Glühen, das Verglühen, uns im Gedicht. Nicht wahr, „Es sind einige da/die geliebt werden/einer kann/zum anderen gehören/sie verbrennen zu einem Gedicht/sie schenken sich die Asche.“


Exklusivbeitrag

Alfred Kolleritsch: Es gibt den ungeheuren Anderen.
Gedichte. Mit einem Vorwort von Peter Handke. ISBN 978-3-85420-837-2. € 18,00. Hardcover. 80 Seiten. Droschl (Graz) 2013


Rainer Strobelt hat zuletzt über »Die Liebe im Ghetto« von Marek Edelmann und Paula Sawicka auf Fixpoetry geschrieben.