Oxford 7

Roman

Autor:
Pablo Tusset
Besprechung:
Anja Kümmel
 

Roman

Revolte an der Space-Akademie. »Oxford 7« von Pablo Tusset

09.06.2013 | Hamburg

Auch in der Zukunft liegt Retro voll im Trend: Zweidimensionale Filme, Jazzmusik, Kerzen, IKEA-Möbel und Zigaretten. Allerdings sind die meisten dieser Nostalgie-Requisiten inzwischen verboten. So zumindest auf der Space-Station „Oxford 7“, die der spanische Autor Pablo Tusset in seinem gleichnamigen vierten Roman auf höchst amüsante, manchmal auch beklemmende Weise beschreibt. Oxford 7 gehört – zusammen mit New Berkeley, Sorbonne Réseau und anderen Space-Unis – zu den „akademischen Satelliten“, die nach dem „Crash 13“ in der Erdumlaufbahn installiert wurden.

Seit einiger Zeit protestieren die dort herangezüchteten Eliten. Sie wollen weniger Verbote, weniger Überwachung und mehr Freiheit. Sicherheitskräfte werden eingeflogen, die den Demonstrierenden nun im Verhältnis 1:5 gegenüberstehen. Statt Schusswaffen tragen sie Strafgebühren-Emissionsgeräte, statt Tränengas regnet es Allergene.

Unweit des Campus nutzen drei „Kids“ – alle unter vierzig zählen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung noch zu den Adoleszenten – die Unruhen, um sich unbemerkt auf die Nachtseite der Space-Station zu schleichen. Von dort aus soll sie der Tabakschmuggler Rick Blaine mit seinem altersschwachen Space-Shuttle zur Erde transportieren, genauer gesagt nach Barcelona, wo sie einen gewissen Franz von Assisi ausfindig machen sollen.

Drahtzieher dieser undurchsichtigen Aktion ist Professor Palaiopoulos, der trotz seines hohen Alters weiterhin den Grundkurs „Präcomputer-Kinematographie“ lehrt – mit dem Hintergedanken, dort frische Systemgegner zu rekrutieren. Palaiopoulos selbst ist ein höchst verdächtiges Subjekt: Gerne hört er bei Kerzenschein und ohne Kopfhörer Jazzmusik, legt dabei die Füße auf sein Vintage-IKEA-Beistelltischchen, betrachtet seine Casablanca-Poster aus echtem Papier und zündet sich dazu eine gute, alte, aber leider verbotene Zigarette an.

Tusset hat einen Mikrokosmos erschaffen, der teils grotesk und fremd wirkt, teils aber auch erschreckende Parallelen zum Hier und Jetzt aufweist – insbesondere was die Überwachung und Datenspeicherung angeht. Alle Bewohner von Oxford 7 tragen unter die Haut gepflanzte Mikrochips, die an Ein- und Durchgängen sowie bei Polizeikontrollen gescannt werden: ein Szenario, das gar nicht mehr so fern erscheint. Erhöhte Alkoholwerte im Blut bedeuten saftige Strafgebühren. Auch zwanzig Newton Übergewicht können – je nach abgeschlossener Krankenversicherungspolice – bereits geahndet werden. Welche Substanzen oder Verhaltensweisen als ungesund eingestuft werden, unterliegt dabei recht willkürlichen Bestimmungen: Marihuana-Sprays und Kokainpräparate als Hustenmittel gibt es in jeder gut sortierten Apotheke; der Besitz von Tabak hingegen ist illegal.

Einzig die gewollt flapsigen Dialoge – die möglicherweise im Übersetzungsprozess etwas gelitten haben – sowie die immer abstruser werdende Story mindern das Lesevergnügen. Man merkt, dass Tusset weniger daran gelegen ist, eine schlüssige Handlung zu konstruieren, als daran, der Gegenwartsgesellschaft einen leicht verzerrten Spiegel vorzuhalten. Auf komische und zugleich bitterböse Weise zeigt uns der Blick in diesen Spiegel, wohin es gehen könnte.


Erstveröffentlichung Weser Kurier Bremen

Pablo Tusset: Oxford 7. A. d. Span. v. Ralph Amann. 285 Seiten,19,90 €, ISBN: 978-3627001919. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2013

Anja Kümmel hat zuletzt über »Der Clown ohne Ort» von Thomas Martini auf Fixpoetry geschrieben.