Die Schwerelosen

Roman

Autor:
Valeria Luiselli
Besprechung:
Elke Engelhardt
 

Roman

Musik zu der Gespenster tanzen. »Die Schwerelosen« von Valeria Luiselli.

20.05.2013  | Hamburg

Das Erste, was ich von Valeria Luiselli gelesen habe, waren Auszüge aus Papeles falsos, ihren Essays. Es waren nur wenige Sätze, aber ich war sofort süchtig nach diesem Klang, dieser Melodie. Zum Glück hat der Antje Kunstmann Verlag den Debütroman von Luiselli, von Dagmar Ploetz übersetzt, kürzlich herausgebracht, so dass ich mich weitere 190 Seiten lang an Luisellis Sprachmelodie erfreuen konnte.

„Es gibt Menschen, die ihr Leben als Folge von Ereignissen erzählen können, die zu einem Ziel führen. Gibst du ihnen eine Feder in die Hand, schreiben sie dir einen stinklangweiligen Roman, in dem keine Zeile absichtslos ist: Alles greift ineinander, wie bei der erstickenden Decke, die eine Großmutter für ihren Enkel strickt.“

Diese Art zu erzählen ist ganz gewiss nicht Valeria Luisellis Sache. Der Roman „Die Schwerelosen“ springt von der Vergangenheit in die Gegenwart, von der Lüge zu den Fakten. Gleich zu Anfang ist vom Atem des Schreibens die Rede: „Romane haben einen langen Atem. Das wollen die Romanschreiber. Keiner weiß genau, was das bedeutet, aber alle sagen: langer Atem. Ich habe ein Baby und ein mittleres Kind. Die lassen mir keine Luft. Alles, was ich schreibe, ist es geht gar nicht anders kurzatmig. Wenig Luft.“ Und es stimmt, die Absätze sind kurz. Seltsam gehetzt. Atemlos. Das Springen von der Erinnerung in die Gegenwart und zurück, unterbindet einen langatmigen Erzählfluss.

„Eine Struktur voller Löcher schaffen, damit man immer zur Buchseite vordringen, sie bewohnen kann. Nie mehr als nötig reinstopfen, nie ausstaffieren, weder möblieren noch dekorieren. Türen und Fenster öffnen. Mauern hochziehen und wieder einreißen.“ So beschreibt Luisellis Heldin die Poetik dieses Buches, das sich selbst beim Schreiben begleitet, spiegelt und schließlich entgleitet.

Eine junge Frau lebt mit ihrem Mann, einem Baby und einem mittleren Kind in einem Haus in Mexico City und schreibt an einem Roman, in dem sie von ihrer Zeit als Lektorin in New York erzählt. Damals hat sie den Dichter Gilberto Owen, einen Landsmann von ihr, entdeckt und den Ehrgeiz entwickelt, ihn ihrem Verleger mit allen Mitteln aufzuschwatzen. Um dieses Ziel zu erreichen, macht sie auch vor Lügen und Betrug nicht halt. Der Coup gelingt schließlich, jedoch ohne dass die junge Frau noch davon profitieren kann. Nach und nach nimmt die Gestalt und die Stimme Gilberto Owens immer mehr Platz in der Geschichte ein, nun scheint es, als wäre er derjenige, der die Geschichte der jungen Frau schreibt, der sich an sie in der Zukunft erinnert.

Immer wieder wird dieser Roman mit Reflexionen über das Schreiben und über Gespenster unterbrochen und dennoch erscheinen die Brüche nicht als solche, fügen sich vielmehr nahtlos in den kurzatmigen, springenden Erzählfluss ein.

„Ein horizontaler Roman, vertikal erzählt. Ein Roman, der von außen geschrieben werden muss, damit man ihn von innen heraus lesen kann.“ Das klingt geheimnisvoll und unverständlich. Und das ist es auch, wie die gesamte Atmosphäre dieses Buches, das eher von Gespenstern bewohnt zu sein scheint, als von lebendigen Menschen. Aber wer kann schon so genau unterscheiden, wer ein Gespenst ist, und wer der Mensch? Wo die Lüge beginnt und wo die Wahrheit endet? Der Roman entwickelt sich immer mehr zu einem sehr gekonnten literarischen Pendant zu David Lynch Filmen. Schließlich weiß man selbst nicht mehr so genau, wo die Realität endet und die Fiktion beginnt, wie Zeit funktioniert und auf welche Art sich die Zukunft von der Vergangenheit unterscheidet. Es gibt nur noch die Schwingungen dieses Buches; voller Menschen, die sich an die Zukunft erinnern können. Und aus der Zukunft heraus einen Roman schreiben, dessen Heldin eine Frau ist, die sich erinnert: „Der Roman wäre in der ersten Person geschrieben, von einem Baum (einem Baum durchgestrichen) einer Frau mit braunem Gesicht und tiefen Augenrinnen, die vielleicht schon tot ist, “ schreibt Gilberto Owen in seinem Roman im Roman. Identitäten verschwimmen, Grenzen lösen sich auf. Was bleibt ist die faszinierende Poesie von Valeria Luiselli.

„So funktioniert literarischer Erfolg, zumindest auf einer Ebene. Alles ist ein Gerücht, ein Gerücht, das sich reproduziert, bis es sich in Wertschätzung verwandelt.“

Ich freue mich mit dieser Besprechung, die Möglichkeit zu haben, ein Gerücht über Valeria Luiselli und ihr großes Talent in die Welt setzen zu können. Ein Gerücht, das sich unverzüglich in Wertschätzung verwandelt, sobald man die ersten Zeilen ihrer Prosa gelesen hat.


Exklusivbeitrag

Valeria Luiselli. Die Schwerelosen. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. ISBN 9 783888 978197. 16,95 Euro. Verlag Antje Kunstmann München 2013.

Elke Engelhardt hat zuletzt über »Tolstois Albtraum« von Viktor Pelewin auf Fixpoetry geschrieben.