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Positionen der Malerei und Zeichnung aus beiden Ländern
Mex. De. 13 – Begegnung Mexiko-Deutschland
14.09.2013 | Hamburg
Wie kann man einem Land begegnen? Spielt so etwas wie ‚Land‘ überhaupt noch eine Rolle in der Kunst? Um nicht das literarische Herbstthema Brasilien auszuwalzen, das Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, nehmen wir das Beispiel Mexiko. Gibt es mexikanische Literatur? Mexikanische Malerei? Und wenn ja, was könnte sie von ‚deutscher‘ Literatur oder Malerei unterscheiden?
Eine gruselige Frage.
Das Stichwort Mexiko öffnet die Schleusen zu prächtigen Assoziationen von spätfeudalistischen Strukturen, Groß-Bonzen á la Carlos Slim, des Milliardärs, der aktuell im Verkauf der deutschen Mobilfunknetze mitmischt, es gibt den kürzlich gefassten Z-40, wie der stolze mexikanische Drogenbaron, Chef des Kartell ‚Los Zetas‘ sich gerne nennen lies, zurecht den Platz am Ende des Alphabets suchend, aber sogar, muss man jetzt neidisch werden? eine mexikanische Drogenbaroness.
Mechico. Como se dice.
Jedenfalls, die mexikanische Literatur findet in Deutschland viel Aufmerksamkeit. Das konnte man nicht nur im Poet Nr. 12 lesen, der eine gar nicht kleine Sammlung aktueller, überwiegend junger (ok, aus meiner Perspektive) mexikanischer Dichter vorstellte. Einige davon und diverse andere konnten deutsche Leser 2011 auf der Tour der Latinale kennenlernen, speziell die temperamentvoll freche Minerva Reynosa; gefördert vom Instituto Cervantes wurden Lesungen in Berlin, Bochum, Bonn, Düsseldorf, Wuppertal und später Guadalajara und San Luis de Potosí in Mexico organisiert. Die zugehörigen Texte, ein Wechselspiel deutscher und mexikanischer Dichter, sind bei SuKultur erschienen („Frachtgut Überseepoesie - Neue Gedichte aus Lateinamerika und Deutschland“), auf deutscher Seite sind Tom Schulz, Uljana Wolf, Monika Rinck, Marie Martin vertreten, um nur einige zu nennen.
Auch die Akzente stellten im Heft 2/2013 die etwas mehr junge mexikanische Schriftstellerin Valeria Luisella (geb. 1983 in Mexico City) mit Prosa vor, genauer gesagt, wie sie über Venedigs Friedhof geistert auf der Suche nach Joseph Brodskys Grab, oder wie sie zwischen Autobahnringen in Mexico City umherstreift: schöne Facetten zur Ergänzung des Bildes, das kürzlich aus ihrem Roman ‚Die Schwerelosen‘, erschienen bei Antje Kunstmann, zu gewinnen war.
Der Maler Adolphe Lechtenberg hat jetzt in einem kleinen Projekt deutsche und mexikanische Malerei in ein Wechselspiel gebracht und die malerische Ausstellung durch einen Textband mexikanischer Schriftsteller begleitet. Lechtenberg ist wie der ebenfalls vertretene Johannes Stüttgen Beuys-Schüler und verbringt viel Zeit in Mexico. So unsachgemäß nationale Abgrenzungen auch sein mögen, gerade in der eng verflochtenen spanisch-sprachigen Lyrik, hier bot allein der örtliche Bezug – alle Autoren leben in Mexico City - eine legitime Auswahlmöglichkeit.
„Mex. De. 13 Begegnung Mexiko - Deutschland“ heißt die Publikation – mit dem etwas irreführenden Untertitel „Positionen der Malerei und Zeichnung aus beiden Ländern“, sie erschien in der edition boettger. Die Ausstellung in der zugehörigen Galerie Böttger (die übrigens Zwischenstopp-Freundlich nur wenige Meter vom Bonner Hauptbahnhof entfernt liegt) und mindestens bis zum 5. Oktober zu sehen sein wird, sie wäre eine Besprechung für sich wert, Thema ist hier jedoch die genannte Publikation, die eben keine theoretischen Positionsbestimmung enthält, sondern literarische Texte aus Mexico, die unabhängig von der Ausstellung entstanden sind, zweisprachig abgedruckt und mit Bildern der Ausstellung elegant illustriert wurden, ein kleines Kunstwerk, ideal besonders für Leute wie mich, die etwas Spanisch, aber nicht genug, können.
David Huerta eröffnet würdig das Büchlein, als mit Abstand Ältester (Jahrgang 49). Er ist eine etablierte Größe im mexikanischen literarischen Leben und hat drei Gedichte beigesteuert, darunter, wie es sich für einen Meister gehört, ein sauberes Sonett. Lechtenberg hat in einem Fleiß, der meine Fassungskraft übersteigt, an jeden Autor und Künstler sämtliches an Veröffentlichungen, Plaketten, Banderolen, Preiskronen und -krönchen geheftet, die diesen je schmückten und hat dadurch Meilensteine im Genre der unlesbaren Kurzbiographie geschaffen. Ich kann nur demgegenüber noch schlicht stammeln, David Huerta: very important man.
Jazmina Barrera, die Jüngste im Kreis, ist 88 geboren und steuert einen literarischen Essay über ‚la tia es tu‘ – die besuchsfreudige Tante Migräne bei – eine unterhaltsame Miniatur, die aber in meinen Augen ihr Potenzial mehr ahnen lässt, als es zu zeigen. Sie wird als eines der hoffnungsvollen Talente der jungen mexikanischen Szene gehandelt, wurde für ihre Essays gewaltig ausgezeichnet und ist u.a. seit 2013 Stipendiatin der Stiftung Lechtenbergsche Kurzbiographie.
Verónica Murguía, geboren 1960, hat diverse Romane veröffentlicht, die älteren wurden auch ins Deutsche übersetzt. Für Ihr letzter Fantasy-Roman ‚Loba‘, der noch nicht auf Deutsch vorliegt, wurde sie mit – muy importante, Spanien, „Gran Angular“ usw. Auch von ihr ein hübsches Prosastück – nicht mehr und nicht weniger, das den Niedergang einer Nachbarschaft in Mexico City beschreibt.
Damit sind noch zwei übrig und der Grund, warum ich das Büchlein so ausführlich würdige, muss sich nähern: es sind einesteils Oscar de Pabló und andererseits und vor allem Paula Abramo, die mich mit ihren Texten sehr beeindruckt haben. Oscar de Pablós Texte lassen keinen Augenblick zweifeln, dass hier einer spricht, der etwas zu sagen hat und es zu sagen weiß. In einer kleinen Szene – de Pablo schreibt auch Drehbücher - unterhalten sich ein abtrünnig gewordener Rabbi mit einem Schüler, ein kleines narratives Gedicht bringt den Transport von Elephanten aus dem Sudan, den Kriegsmaschinen der Zeit Ptomelaios in die Gegenwart, dazu ein bissiges, rücksichtsloses Liebesgedicht – alles nur, aus Mäuschen-Perspektive, kleine Blicke in ein großes Haus (von de Pablo liegt ein Roman und eine beeindruckend lange Liste von Gedichtbüchern auf Spanisch vor).
Und zuletzt Paula Abramo: geboren 1980, enge Beziehungen zu Brasilien, sie unterrichtet inzwischen brasilianische Literatur an der Universidad Autónoma von Mexiko.
Ihre Texte sind stark. Aus „Lupus Eritematoso“ (das man auf Youtube von ihr gelesen findet):
Qué manera de llamarle a esto mariposa,
como si aleteo, destello esquivo de sepia, azul o plata;
como si de pronto amarillo en un resto efímero de lluvia.
Wie kann man so etwas Schmetterling nennen!
Als sei es bloß Flügelschlagen, oder flüchtiges Glitzern vom Tintenfisch, blau und silber
oder plötzlich aufscheinendes Gelb in einer kurzfristigen Regenpfütze.
Stärker noch „Daidalus“, in dem sie in einer überraschenden Variantion in die mythologische Erzählung schlüpft, nach der Daidalos auf Wunsch der Gemahlin von König Minos eine hölzerne Kuh baute, damit sie sich mit einem Stier paaren konnte.
Völlig anders dann wieder „Invocación bastante abstrusa“, ein Spiel mit einer linguistischen Position, oder das Erinnerungsgedicht an ihre Großmutter, die Arbeiterin in einer Zündholzfabrik war ‚en memoria de Anna Stefania Lauff, Foforera“.
Paula Abramo ist zweifellos eine Entdeckung, trotzdem die Übersetzungen Lechtenbergs viel zu wünschen übrig lässt: sie ist eine Stimme, die Aufmerksamkeit verdient. Falls also jemand einen spanischen Lyrik-Übersetzer und einen Verlag zur Hand hat und ein aufstrebendes Talent sucht: Ihr Buch heißt Fiat Lux (Fondo Editorial Tierra Adentro, 2012) und ich hätte gerne das erste Exemplar der Übersetzung.
Ob ich aber nun der ‚mexikanischen‘ Kunst begegnet bin: ich zweifle. Zwar erzählen einige der Texte von Mexico City, zwar findet man hier, wie auch im oben erwähnten ‚Poet‘ Nr. 12 ein fulminantes literarisches Temperament, aber fällt das nicht deshalb auf, weil es Erwartungen erfüllt? Könnten etwa die Zeichnungen von de León nicht ebenso aus Italien oder Norwegen stammen? Paula Abramos Lyrik ist hochmodern, enthält explizit das Spiel mit linguistischen Konzepten – was vor allem irritiert, weil es nicht ins mexikanische Vorverständnis passt. Andererseits ist ihr Text zur Zündholzarbeiterin ein Beispiel für gelungene politische Lyrik, wie man sie in Deutschland nur schwer findet.
Was solls, auch ohne Etiketten: festzuhalten bleibt, dass allein durch die Gegenüberstellung der Lyrik mit der Malerei ein dauerhaft schönes Büchlein vorliegt, der Besitzer wird sich später sagen können, dass er einer der ersten war, der die damals völlig unbekannte Paula Abramo kennenlernte, die jetzt in jeder Wohnzimmerschrankwand steht, und nicht zuletzt ist es mit einem Preis von nicht mal einem halben kook relativ erschwinglich (wen der Hafer sticht: es gibt auch teurere signierte Ausgaben des Buches und Ausgaben mit signierten Drucken der Maler).
„Mex. De. 13 Begegnung Mexiko - Deutschland“, edition boettger, Bonn, 64 Seiten, 8€ ISBN 978-3-9815904-2-5
Mex. De. 13, Galerie und Buchhandlung Alfred Böttger, Maximilianstr. 44, bis 5. Oktober. Eintritt frei.
Franz Hofner hat zuletzt über »Geistersprache« - Zweck und Mittel der Lyrik von Heinz Schlaffer auf Fixpoetry geschrieben.
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