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Wie Berlin-Touristen die Stadt zum Erlebnispark machen
Draufknüppeln und unangreifbar bleiben. »Die elfte Plage« von Peter Laudenbach
08.06.2013 | Hamburg
Gibt es ein nervigeres Berliner Alltagsphänomen als die Kinder, die ihre Smartphones als Ghettoblaster zweckentfremden? Oder die Dinkelkeksmütter vom Prenzlauer Berg, die ihre Kinderwagen wie Räumfahrzeuge benutzen? Oder sogar noch nerviger als die Hipster, die sich nicht mal sicher sind, ob sie nun dem Turbokapitalismus oder doch der DIY- und Subkultur verpflichtet sind? Natürlich! Es gibt die Touris. Sie kommen allein (mit Backpack), zu zweit (als Pärchen) oder in Gruppen (betrunken oder aber im Rentneralter). Sie stehen im Weg. Haben keine Ahnung von gar nichts, finden den Weg nicht. Sie können weder Deutsch noch ein verständliches Englisch (erst recht nicht die Engländer und Australier). Sie sind furchtbar nett, aufgeschlossen und höflich, was sie nur umso hassenswerter macht.
Es gibt kein Entkommen, denn sie sind überall. Es gibt nur verschiedene Spezies, die sich an den verschiedenen Adern der Stadt festsaugen. Die, die am Potsdamer Platz vor den Mauerresten posiert. Die, die auf dem Kurfürstendamm shoppen geht. Die, die gegen Mitternacht zum Berghain aufbricht. Die, die auf dem Flohmarkt im Mauerpark Airbrushbilder der Berliner Skyline und aus Schallplatten gefertigte Obstschalen kauft. Die, die am Hackeschen Markt nachts um drei Uhr auf die Damen mit den Kniestiefeln lostorkelt. Die, die auf der Simon-Dach-Straße überteuerte Cocktails schlürft und die Pub Crawlers vorbeiziehen sieht. Überall aber stehen sie im Weg, sind zu laut, zu freundlich, zu ignorant oder nerven auf andere Art. Mehr als die pöbeligen Kids, die spießigen Mütter oder die affektierten Hipster. Und wenn wir, denen uns die Stadt seit unserem Zuziehen vor drei Jahren ja praktisch gehört, ihnen mit Ablehnung begegnen, dann das macht für sie ja erst recht den Charme aus. Was heißt eigentlich »Berliner Schnauze« auf Englisch, Italienisch, Spanisch, Hebräisch, Portugiesisch, Japanisch?
»Die elfte Plage« betitelt Peter Laudenbach seine Sammlung von kurzen Glossen und Essays zu diesem nervigsten aller Berlin-Symptome, das Zugezogene wie Eingeborene gleichermaßen strapaziert. Diese Heimsuchung biblischen Ausmaßes, die Strafe Gottes für – ja, für was eigentlich? Was haben wir getan, dass wir uns mittlerweile Tag für Tag in den Abgasen dieser Großstadt wälzen müssen, den Tag unserer Geburt verfluchend? Laudenbach findet eine ebenso simple wie frappierende Antwort darauf: Wir haben uns die Touris eingeladen, wir bereiten ihnen das Berlin-Erlebnis, das sie haben wollen und streichen unseren Obolus ein. Und all unser Widerwillen ist auch nur ein Faktor unserer Strategie, weiß Laudenbach zu berichten: „Wir wollen am Tourismus-Boom mitverdienen. Indem wir Touristen beleidigen. Berlin-Touristen mögen das.“
Dabei gehen wir weit, sehr weit. Wir sind nicht nur rotzig, wir bauen auch noch Flughäfen und schwärmen von unserem Berlin, wohin wir auch gehen. Über das bunte Stadtbild, die allgegenwärtige Toleranz und das multikulturelle Angebot. Solange, bis es uns zu viel wird, ein Australier uns vor die Füße kotzt, die Bar von unten den Minimal Techno zu laut aufdreht oder eben wieder eine Gruppe mittelalter japanischer Touris im Weg rumsteht. Dann nicken wir innerlich, wenn wir »Berlin Critica Diabolis der Edition Tiamat. Laudenbachs saure soziologische Skizzen wären anderswo kaum besser aufgehoben. Die Häme schlägt nach allen Seiten aus.
Laudenbachs Texte sind redundant, er lässt immer wieder dieselben Informationen in seine Analysen einfließen, lässt immer wieder dieselben Personen zu Wort kommen und führt immer wieder dieselben Beispiele an. Ob der Journalist nun aus Tobias Rapps fehlgeschlagenem Abriss der Berliner Clubszene, »Lost and Sound«, zitiert, ein Stimmungsbild in der (vermutlich eigenen) Kieznachbarschaft einholt oder immer wieder Burkhard Kieker, Geschäftsführer von visitBerlin, herbeiholt, um die Berliner Bemühungen um die Tourischwemme zu belegen; ob er nun Sido, Tocotronic oder doch Joseph Roth und Adorno zitiert – seine Texte sind durch und durch plakativ. Aber deswegen auch leicht lesbar und ungemein anschaulich. Eigentlich ließe sich »Die elfte Plage« auf einen Bruchteil zusammenstreichen, auf wenige Thesen und Beobachtungen und eigentlich nervt der süffisante Ton des Journalisten zutiefst. Vor allem, weil er die Doppelmoral des Berliner Ressentiments so deutlich herausschält und doch keine wirkliche Position bezieht.
Selbst, wenn er vom „Grusel-Entertainment“ spricht, das die komplizierte Geschichte der Stadt eventisiert, als Entertainment und nicht einmal mehr Edutainment aufzieht oder aber wenn er von autonomen Aktionen gegen Touris berichtet, die nicht politischer, sondern vielmehr xenophober, ja, sogar rassistischer Natur sind. „Willkürlich, ungerecht, dem Zufall vertrauend, und natürlich ohne Anspruch auf endgültige, gar objektive Wahrheiten“ will er Berlin den Spiegel vorhalten, hält sich aber außen vor, wenn es ans Eingemachte geht. Ist das nicht ein wenig feige? Sind nicht rhetorische Spitzen wie „Berlin-Touristen verwechseln die Stadt mit einem Erlebnispark, das Nachtleben mit dem Ballermann und die Eingeborenen mit pittoresken Deko-Elementen. Möglicherweise ja zu Recht.“ ein wenig hohl? Alle in einen Sack, draufknüppeln, immer die Richtigen treffen – und unangreifbar bleiben.
So liest sich selbst die den Band abschließende Glosse »Heitere Aussichten: Berlin 2022« ziemlich fad. Laudenbach imaginiert Berlin als Erlebnis-Ghetto, als totalitär verwaltetes Spielparadies, das eigenen, durchverwalteten Regeln unterliegt, ebenso spaß- wie gewinnmaximierend ausgerichtet. Er verkennt aber, dass Satire vor allem eine Waffe der Kritik ist und selbstgerechte Süffisanz fehl am Platze ist. Obwohl es ihm gelingt, nicht nur das Wort auf den Berliner Straßen wie auch die in den Medien geführte Debatte adäquat zusammenzufassen, die wirtschaftlichen Faktoren greifbar zu machen und die Widersprüche ans Tageslicht zu fördern, ist »Die elfte Plage« doch eben kaum mehr als ein Konglomerat spitzfindiger Texte, die zwar ins Schwarze treffen, es dabei aber auch belassen.
Exklusivbeitrag
Peter Laudenbach: Die elfte Plage. Wie Berlin-Touristen die Stadt zum Erlebnispark machen, Broschur, 14 S., 13€, ISBN: 978-3-89320-177-8. Edition Tiamat, Berlin 2013.
Kristoffer Cornils hat zuletzt über »Unter Einfluss« von María Sonia Cristoff auf Fixpoetry geschrieben.