Unter Einfluss

Roman

Autor:
María Sonia Cristoff
Besprechung:
Kristoffer Cornils
 

Roman

Kein Lachen und Leiden, kein Abscheu, keine Verachtung

08.05.2013 | Hamburg

Tonia und Cecilio treffen aufeinander, eines Tages. Nein, das heißt: Sie knallen aufeinander, mit voller Wucht. Blut spritzt, sein Blut. Ihr ansonsten so streng geregelter Tagesablauf kommt damit auseinander. Ab diesem Tag an, nun ja, ist nichts mehr wie es vorher einmal war. Die beiden treffen sich erneut – diesmal ganz unblutig – und beginnen gemeinsame Spaziergänge durch Buenos Aires, allesamt initiiert von Cecilio. Sie flanieren und reden, mal mehr, mal weniger, mal über wichtige, mal über unwichtige Dinge. 

Als Cecilio dann beginnt, Kunstperformances von Francis Alÿs nachzustellen, ist es schon zu spät: Tonia steht voll unter Einfluss, seinem natürlich. Aber irgendwann geht das alles zu weit, bilden sich Risse in der kauzigen Beziehung, die von Vornherein eine seltsame war. Tonia ist plötzlich weg, hat nur ihren Hund zurückgelassen und ein paar lose, aber erstaunlich kohärent formulierte Notizen. »Dass ich [...] vor allem damit beschäftigt bin, dieses Tagebuch – Tagebuch? – zu verfassen, davon hat er keine Ahnung. Ich habe meinerseits keine Ahnung, warum ich das hier eigentlich schreibe. Wir wissen beide nicht, worauf wir hinauswollen, was uns umtreibt. « Es ist an einer guten Freundin Tonias, die Geschichte aufzuarbeiten. Für sich selbst, für Tonias Mutter, für uns. Sie muss tief in den Kopf der Eigenbrötlerin eintauchen, um verwertbare Informationen über den Charakter der Beziehung der beiden ans Tageslicht zu bringen. Und sie schlussendlich zu einem stimmigen Puzzle zusammenzufügen. Das geht natürlich nicht völlig auf, aber es reicht schon aus.

Schnell wird nämlich klar, um was für generische Figürchen es sich eigentlich bei den beiden handelt: Die intellektuelle Agoraphobikerin, deren Expertise in Sachen Kunst und Literatur nur von ihrer neurotischen Verachtung gegenüber dem dazugehörigen Betrieb übertroffen wird. Die ihre Arbeit schon irgendwie als Qual und Mühsal empfindet, sich aber mit voller Energie darauf stürzt, um die Unabhängigkeit von ihrer herrischen Mutter zu wahren. Und der Taugenichts, der immer noch bei seiner Mutter wohnt, mit der er mehr schlecht als recht klar kommt. Der seine Laissez-Faire-Haltung zur Lebenskunst erhebt und irgendwann der fixen Idee nachgeht, sich als Künstler zu etablieren, indem er Arbeiten anderer kopiert. Bye, bye, Authentizitätsdebatte – geht es eigentlich noch lahmarschiger?

Parodistisch soll das sein, na klar. Eine bitterböse Abrechnungen mit den verqueren Persönlichkeiten des Kunstbetriebs und ihre Preziosen. Genau das, wovor Tonia einen solchen Abscheu empfindet. Als sie auf einer Ausstellung demjenigen begegnet, den sie als ihren »Nachfolger« an der Seite Cecilios identifiziert, wird die Lachhaftigkeit des Ganzen überdeutlich. Cecilios neuer Kompagnon seziert den Ausstellungstitel des Wirrkopfs – »Man hat mich gegangen«, ein wenig subtiles Riff auf sein Verhältnis zu Tonia – in geschwollenen Worten, voller Elan und Idealismus. Lächerlich findet das Tonia, lächerlich ist es ja auch. Aber auch irgendwie furchtbar egal. Denn weder Tonia noch Cecilio noch sonst irgendjemand in dieser Erzählung sammelt Sympathiepunkte, nicht einmal Widerwillen möchte sich einstellen. So lachhaft, verkopft und prätentiös sie sein mögen, sie bleiben furchtbar belanglos. 

María Sonia Cristoffs Intention, die sie auf Biegen und Brechen übermitteln möchte, geht nicht auf. Zu lieblos und starr sind ihre Figuren, zu stilisiert und inhaltsleer die Dialoge und Monologe, die diese Novelle prägen. Unter Einfluss zeugt vom ambitionierten Versuch einer bitterbösen Aufarbeitung bestimmter Stereotypen, versagt aber an der eigenen Distanziertheit. Kein Lachen und Leiden mit Tonia und Cecilio, kein Abscheu, keine Verachtung. Kurz: Keine Reibungsflächen, wo auch immer. Tonia und Cecilio treffen aufeinander, gehen spazieren, verlieren sich in seiner Manieriertheit, verlieren einander gar und Tonia verschwindet schlussendlich. Das alles ist furchtbar egal, wie auch alles, was dazwischen passiert. Eine durch und durch uninteressante Begebenheit zwischen zwei Abziehbildchen – was lässt sich damit schon anfangen?


Exklusivbeitrag

María Sonia Cristoff: Unter Einfluss. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen, broschiert, 168 Seiten, 20,00 Euro, ISBN: 978-3-937834-62-7. Berenberg Verlag, Berlin 2013.

Kristoffer Cornils hat zuletzt über »schrei zum hummel» von elffriede.aufzeichnensysteme auf Fixpoetry geschrieben.