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Gedichte
Welthaltigkeit, unpathetisch. »Einmal werden wir« von Marius Hulpe.
02.06.2013 | Hamburg
In seinem Gedichtband „Einmal werden wir“ ist Marius Hulpe ein Beobachter und ein Vermittler. Die Gedichte sind teils Einblicke in soziale Infrastrukturen und teils Einblicke in Vorgänge eines Subjekts. Wenn im Zyklus kaziermierz kitties die Zeit des Krakauer Ghettos behandelt wird, dann geschieht das anhand von kleinen Beschreibungen – weder mit Ortsbeschreibungen, noch zur historischen Aufklärung.
„kaum bewegung. ein kätzchen auf dem sims,
leckt sich dem status staubfrei entgegen, lauert
bis es dunkelt über dem gewässer,
dessen fische ihm den magen verderben.“
„dunst. hinterköpfe, pierogi. lüftungen
und klirren von geschirr, werbestimmen
und lachmaschinen, dazwischen auch das echte
lachen eines kindes.“
Hulpes Gedichte bieten sich der Intuition an. Die Vermittlung über die Beschreibungen ist immer eine Andeutung von Geschehen. Keine bloße Erzählung:
„als meine kleine Schwester zur Frage ansetzte,
begann sich der Kopf des Gefragten zu schütteln.
es sei jedem selbst überlassen wie mit Dingen,
die auf dem eigenen Grundstück landeten,
umzugehen sei. die Kleine dachte keine zwei
Sekunden: die Katze ist lebendig, sagte sie.“
Viele solcher Gedichte beginnen den Gedichtband – es wird auf kindliche Tragödien eingegangen. Dass jene weniger tragisch seien sollen, ist selbst schon kindisch gedacht. Marius Hulpe zeigt unpathetisch, wie grausame Momente sich für Kinder entwickeln, dabei wird rein deskriptiv gearbeitet:
„der quietschneue Ball
ins Grün dieses Tümpels. Herr Bauer wohnte dort, ruft
schon ohne die Lippen zu regen, das Fenstermütterchen
und schreit es danach dem Bengel um die Ohren,
bis dessen Tränendämme brechen, denn Herr Bauer ist tot“
Im weiteren Verlauf des Bandes bleibt dieser unpathetische Stil stets erhalten, die Gedichte bleiben aber nicht in einer bloßen Deskription. Seltsam wirkt es auf mich, wenn Emotionen durch solch präzise Deskription hervorgerufen werden sollen. Präzision allerdings und auch Gedankenspielraum übernehmen die Rolle der Gefühlübermittlung an einigen Stellen gemeinsam, beeindruckend:
„auf meinem knöchernen Rücke spielst du deinen Text aus,
und schmal stehe ich da, vor meinem Fenster: blinkendes Licht
unter Millionen winzigen Sternen, und ringsherum du,
schöne Schwarze, die über alles hinwegrollt, verwandelst
was tags düster grollt, die wippenden Köpfe (betäubt und sediert)
in flackernde Lichter. was bei Sonne sanft in Nervenbahnen döst,
das schlägst du hervor aus dem Dunkel (geheimniskrämerisch)
und hast nichts zu verschenken. vorbei der zähe Idealistendünkel
um die Tatsache Schlaf, das Gewitter bricht los, der Himmel
hält still, kein finsteres Ringen der Wolken, nicht eine Drohung,
das Firmament gibt sich heroisch, ein stabiler Pakt ehemals
kriegerischer Elemente, wie sie einander beflügeln in verräterischer
Klarheit, alles ein einziger Deal, ohne gewachsenes Subjektorgan,
hier drinnen stützt sich der Verstand auf dieser glatten Oberfläche
auf, kurz vorm Hyperventilieren nimmt er die Kurve ins Bett
des Vergessens. und während die Spatzen die Stille verjagen,
schon bald das Ausatmen der Zeit vergessen machen, dämmern
die zahlreichen Köpfe am Boden hinweg, in ein anderes All.“
Neben Kubrik-Gedichten, die ihn, für ein Triptychon, wiederauferstehen lassen, findet sich ein metaphernreiches Fußballgedicht, H5N1, die Erkenntnis: „nicht lieben ist auch keine Lösung“, digitale Jungfrauen, „das Franzbeckenbauereske in den Diskursen auf- // strebender Juniorprofessoren“ und schließlich auch das Wissen:
„einmal werden wir
einmal werden wir geboren sein, einmal
werden wir verschwunden sein.
noch aber erfahnden wir im süden die chiquesten
träume. wir bauen zusätzlich mauern
um die inneren zäune. wir prügeln die tage
mit schwerkraft und trotz, wir saugen am halm
der uns bleibt – ist es das? im morgengrauen,
bevor sich das fallbeil der sonne über die häupter
schiebt, verstecken wir die nächtlichen reste
aus unterkühlung und tragik, wir marionetten
des monds, in unserem winterlichen hunger
auf sensiblere zeiten, im hinterkopf
das kindliche wetterleuchten,
die gebuchten scharmützel, den senf
dieser jahre, das fein dosierte untergangstheater,
und schließlich die täglichen sprünge
auf steilere wege zur genesung, die spatzen
in begleitung als kommando ins licht –
einmal werden wir verschwunden sein.“
Wie man bis jetzt merken konnte hat Marius Hulpe sich nicht für eine einheitliche Groß- und Kleinschreibung innerhalb des Gedichtbandes, sondern für eine konsistente innerhalb des Gedichtes entschieden. Bewusst schreibt er einige Gedichte nur klein, andere nach der Vorgabe der Wörter, er weiß, was er tut. Der Band, relativ prall, ist unterteilt in elf unterschiedlich große Zyklen mit unterschiedlichen Themen, allerdings mag es fraglich sein, ob die Technik der unpathetischen Beschreibung hier bei jedem Gedicht wirkt und das darf in Frage gestellt werden.
„nur ab und an läutete es noch aus irgendeinem
Rucksack, in irgendeiner Ecke.
doch dann, endlich, schien auch das egal.“
Nicht egal ist es, wenn man beim Lesen trotzdem immer wieder auf dieselben Gedichte zurückkommt, vielleicht unbewusst, einfach wieder und wieder dort hinblättert, aber hier geschah es und ich habe es genossen, auch wenn der folgende Titel sich wie ein Ratgeber anhört, bitte nicht falsch verstehen: hier steht der Rat wirklich auch im Vordergrund, aber es wird keine Lösung geboten, denn wie schon erwähnt „nicht lieben ist auch keine Lösung“. Unpathetisch ist hier ein Rettungsring – wie vielleicht in vielen Gedichten Marius Hulpes.
„Empfehlung für Verlassene
sich nicht wehren gegen das Drücken der Luft
auf die Lungen. vielmehr die weiße Grammatik
der Wolken am Himmel studieren. dem Jetzt
ausnahmsweise die ganze Aufmerksamkeit schenken.
die Spatzen auf dem Brunnenrand loben.
dem alten Ehepaar auf der Parkbank
keine zu hohe Bedeutung beimessen.
aufstehen, gehen. die Atmung als Indikator
für noch bestehende Chancen. und nichts
in den Vordergrund zoomen, lieber das Licht
der Sonne auf den Lidern ruhen lassen.
notwendige und hinreichende Bedingungen vertauschen.
als sei es tatsächlich vorbei.“
Exklusivbeitrag
Marius Hulpe: Einmal werden wir. Broschur, 112 Seiten, 12,50€, ISBN 978-3-86906-508-3, Allitera Verlag, Lyrikedition 2000 München, 2013
Martin Piekar hat zuletzt über »das amortisiert sich nicht« von Tristan Marquardt auf Fixpoetry geschrieben.