Das verborgene Leben des J. D. Salinger

Biografie

Autor:
Kenneth Slawenski
Besprechung:
Elke Engelhardt
 

Biografie

»Das verborgene Leben des J.D. Salinger« von Kenneth Slawenski. Der aussichtslose Kampf um Privatsphäre.

14.06.2013 | Hamburg

„J. D. Salinger machte in seinem Meisterwerk, dem Fänger im Roggen, den Vorschlag, dass die Leser, denen ein Buch gefällt, den Autor anrufen sollten; anschließend verbrachte er die nächsten zwanzig Jahre damit, nicht ans Telefon zu gehen“, schrieb John Updike 1974 über den Verfasser weniger veröffentlichter aber umso unvergesslicherer Geschichten. 

Diese Haltung, oder sollte man schreiben, dieses Missverständnis, beschreibt die Grundlage für die Tragik des Lebens von Salinger. „Niemand scheint ihn genuin in seinem Bedürfnis nach Ruhe unterstützt zu haben, sieht man vielleicht von seinem Sohn Matt ab (seine Tochter schrieb ein unerwünschtes Buch über das Leben mit ihrem Vater). Niemand aus dem Literaturbetrieb sagte jemals: Dies ist ein Autor, der keine Öffentlichkeit will. Der aus dem Scheinwerferlicht heraus- und nicht hineintritt. Lasst diesen Mann in Frieden; es ist sein Wunsch, “ schreibt Christiane Geldmacher in ihrer Rezension zu Slawenskis Buch auf Culturmag.

Nein, niemand. Erst recht nicht seine Fans, zu denen Kenneth Slawenski unverkennbar gehört. Seine Biografie über Salinger ist zugleich ein Lehrstück über die Unfähigkeit der Medien und der „Öffentlichkeit“, die Privatsphäre eines Künstlers zu respektieren und die Trennung zwischen Werk und Autor zu akzeptieren. „Das macht“, wie Geldmacher ganz richtig schreibt, „den Lesegenuss von Slawenskis Buch ambivalent, man liest nicht ohne schlechtes Gewissen.“

Slawenski, der jahrelang für diese Biografie recherchiert hat und seit Jahren die Website deadcaulfields.com betreibt, die seinen Angaben zufolge auch Salinger zur Kenntnis genommen hatte, bezieht den größten Teil seiner Informationen über das „verborgene Leben“ Salingers aus Briefen, die Salinger nicht vernichten konnte.

Zunächst scheint es, als würde es Slawenski gelingen, den Werdegang Salingers nachzuzeichnen, ohne dessen Privatsphäre nachhaltig zu verletzen. Geduldig und manchmal etwas langatmig, bemüht sich Slawenski um ein Verständnis von Salingers Geschichten und den Einflüssen, denen sie unterlagen.

Am Anfang, so erfährt der Leser, war Salinger nicht nur kompromissbereit was seine Werke angeht, sondern durchaus bestrebt sein Schreiben an den Bedürfnissen des Marktes auszurichten, um gedruckt zu werden. Das Dilemma, in dem er sich deswegen befand, also die Frage, „ob es galt, nach Qualität oder nach Verkäuflichkeit zu streben“, floss auch in seine Geschichten ein.

Eindrücklich zeichnet Slawenski nach, wie der Krieg, und insbesondere die aussichtslose Schlacht im Hürtgenwald, Salingers Leben und Schreiben nachhaltig beeinflusst haben. Nach dem Krieg suchte Salinger freiwillig ein Sanatorium auf, um seine posttraumatische Belastungsstörung behandeln zu lassen. Es dauerte Jahre, bis er die Kraft fand, sich wenigstens in seinen Geschichten mit den Kriegserlebnissen auseinander zu setzen. Darüber gesprochen hat er nie.

Verständlich wird auch das langsam (und durchaus nicht unbegründete) Misstrauen Salingers gegenüber Verlegern und ihren Methoden und Motiven. Heilung vor den Verletzungen durch den Literaturbetrieb und dem zeitlebens wirksamen Kriegstrauma, suchte Salinger zunehmend in der Mystik. Spiritualität schien Salinger als letzte Hoffnung, aus seinen Depressionen herauszufinden.

Äquivalent zur Weigerung Salingers, sein Privatleben offen zu legen, wird auch Slawenskis Biografie zu einer Geschichte von Übergriffen durch die Medien, und der Unfähigkeit des Medienbetriebs, einen einfachen Wunsch, wie den Salingers, dass nicht über ihn geschrieben wird, zu respektieren. Slawenski beschreibt, wie Salinger unter den Nachstellungen der Presse gelitten hat, und wühlt gleichzeitig in seiner persönlichen Korrespondenz. Schließlich liest sich das Buch nur noch wie die Ausschlachtung sämtlicher Gerüchte, einschließlich sehr weniger Lichtblicke, wie zum Beispiel dem überraschenden Ausgang der Auktion bei Sotheby's, wo Joyce Maynard, eine Collegestudentin, die die Bekanntschaft mit Salinger gemacht hatte, ihre Korrespondenz mit Salinger aus dem Jahr 1972 versteigern ließ. Den Zuschlag bekam Peter Norton, der bekannt gab, „er habe die Briefe erworben, um Salingers Privatsphäre zu schützen. Er bot Salinger an, sie ihm zurückzugeben oder sie zu vernichten, falls ihm das lieber sei. Seither befinden sich die Briefe in Nortons Gewahrsam. Ihr Inhalt wurde nie veröffentlicht.“

Im Grunde erfährt man auch in dieser Biografie über Salinger mehr über die Mechanismen einer Öffentlichkeit, die glaubt einen Anspruch auf das Privatleben der Künstler zu haben, als über Salinger selbst. Ich habe das Buch als Lehrstück darüber gelesen, wie die Öffentlichkeit seit jeher glaubt, sich mit ihrem Interesse für die Werke, ein Anrecht auf die Privatsphäre des Künstlers zu erwerben.

Es ist etwas grundsätzlich anderes, ob Briefe ausgewählt und redigiert werden, die der Autor zu Lebzeiten für eine Publikation nach seinem Tod freigegeben hat (wie es z.B. mit den Briefen Becketts geschehen ist), oder ob man in einer Biografie immer wieder darauf hingewiesen wird, wie sehr der Biografierte verabscheut hätte, was über ihn preisgegeben wird.

In einem dieser Bücher, „Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute und Seymour wird vorgestellt“, steht die schöne Widmung: „Wenn es noch einen Amateur-Leser auf der Welt gibt oder irgendjemanden, der einfach nur liest, um zu lesen -, so bitte ich ihn oder sie mit unaussprechlicher Zuneigung und Dankbarkeit, sich in die Widmung dieses Buches mit meiner Frau und meinen zwei Kindern zu teilen.“

Ich fürchte für diejenigen Leser, für die diese Widmung verfasst ist, taugt Slawenskis Biografie nichts, mag sie auch aus literaturgeschichtlichen oder sonstigen Gründen ihre Berechtigung haben.


Exklusivbeitrag

Kenneth Slawenski. Das verborgene Leben des J.D. Salinger.
Biografie. Aus dem Amerikanischen von Yasmin von Rauch. ISBN 978 3 95403 006 4. 25,95 Euro. Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin 2012.

Elke Engelhardt hat zuletzt über »fremd gedanken« von Sabine Schiffner auf Fixpoetry geschrieben.