Heimliche Helden

Essays

Autor:
Ulrike Draesner
Besprechung:
Elke Engelhardt
 

Essays

Ulrike Draesners »Heimliche Helden«. Auf den Schlachtfeldern der Literatur

25.06.2013 |  Hamburg

Frauen haben schön zu sein, Männer Helden. Klischees, die überholt scheinen, langweilig obendrein, bis Ulrike Draesner sich ihrer annimmt, und sie als Leitfaden auf ihrem Weg durch die Literatur benutzt.

Nach dem Essayband „Schöne Frauen lesen“, in den Flaubert aufgrund seiner Aussage: „Madame Bovary c'est moi“, aufgenommen wurde, liegt nun das männliche Pendant vor. „Heimliche Helden“ ist ein Streifzug durch die männliche Literatur vom Nibelungenlied bis zu Gerhard Falkner, und auch hier findet das andere Geschlecht Aufnahme, dieses Mal in der Person Tania Blixens.

Das Erste, was uns einfällt, wenn wir an Helden denken, ist der Krieg. Folgerichtig hat Ulrike Draesner ihre „Helden“ dahingehend befragt.

Aber nichts hat nur eine Bedeutung, schon gar nicht in Draesners Essays. Ulrike Draesner macht Anagramme aus den Begriffen, sucht nach dem Ursprung, versucht den Bedeutungen nachzugehen. So geht es nicht allein um Gefechte auf dem Schlachtfeld, sondern ebenso darum, wie sich diese Schlachten auswirken auf die in diesen Essays wichtigste Tat: das Schreiben.

Wie manifestieren sich die eigenen Heldenbilder, die Vorstellungen von Heldentaten in dem, was die jeweiligen Autoren geschrieben haben, und inwiefern haben ihre eigenen Kriegserfahrungen einen Einfluss darauf gehabt?

Draesners Essays zeigen, was der Fokus auf eine Fragestellung sichtbar machen kann, wie diese Konzentration aufdeckt, was dem Schreibenden selbst verborgen blieb, wohl wissend, dass die Fülle der Literatur und des Lebens eben darin liegen, nie alles wissen zu können. Denn Wirklichkeit ist nicht vorhanden, sondern wird hergestellt. Nicht nur literarische Wirklichkeit, in der „der Faden schießt ¨C des Körpers und der Zeit, der Sprache und des Nicht-Verstehens. Die uns geschenkten Tage entlang.“

Schnell wird deutlich; der Held ist ein Konstrukt, abhängig vom jeweiligen Zeitgeist: „Der Held ist immer ein Stück Künstlichkeit, aber mit Organen und Stoffwechsel. Ein Mischwesen aus Ich und Anderem, eine bizarre, fremde Erscheinung.“

Anhand der Geschichten Hebels und einem Fokus, der in einer von Kriegen gesättigten Zeit auf Individualisierung abzielt, entwickelt Draesner wunderbar weitreichende Analogien, zwischen Raupen und Soldaten, dem Einzelnen und der Masse. „Das Gegenteil des einzelnen Helden ist ¨C das Massenwesen. Auch der Soldat.“

Immer wieder taucht die Frage auf, was der Einzelne ist, was er wert ist, wie es ihm aus der Masse gehoben, ergeht. Wie viel Individualität kann man im Fremden erkennen, wie viel muss man ausblenden, um weitermachen zu können? Als Soldat und als Fernsehkonsument.

Diesen Fragen geht Draesner zum Beispiel mit Hilfe von Jean-Henri Fabres Wissenschaftserzählungen nach, in denen die Insekten als Helden agieren. Indem Draesner untersucht, welche Wirkungen diese „menschliche“ Beschreibung der Insekten und ihres Verhaltens hat, zeigt sie „wie sehr der Heldenbegriff seinerseits den damit getroffenen Menschen entpersönlicht. Der Held trägt eine Maske, die ihn entindividualisiert: Sie raubt ihm Gestik, Mimik, Sprache und Selbstbestimmung.“

Um Sprache und Selbstbestimmung hat Tania Blixen wiederum zeitlebens gekämpft. Auch sie war im Krieg. Ganz real, indem sie ihren Mann an der Front besuchte und übertragen indem sie sich zeitlebens in den Grenzgebieten aufhielt, zwischen den Kulturen und Kontinenten, zwischen dem was sie wollte und dem was sie bekam, zwischen Identitäten und Identitätsspielen.

Ulrike Draesner geht anhand von Blixens Romanen der Frage nach, wie man Ambivalenzen ausdrücken kann, in welchem Zwischenraum sich Schreiben und Lesen abspielen, was durch die Schrift hinzugewonnen (erobert) werden kann und was verloren geht.

Heldentum hat viele Ausprägungen und Seiten, kann leuchtend oder dunkel sein. Dunkel wie bei Benn, der heldenhaft versucht, die Wahrheit vor sich selbst zu verbergen, oder erhellend wie in Hans-Joachim Schädlichs Roman „Anders“, dessen Helden gar nicht erst behaupten, eins zu sein, Individuuen, unteilbar. „Sein Heldentum“, schreibt Draesner, „zeigt sich gerade weil er sich auf den Einzelnen konzentriert.“ Das Poltische in Texten „meint Wahrnehmen statt Meinen. Schädlichs Roman ist politisch, weil er Politisches zeigt, über Politik reflektiert, sie zugleich in ihrer Herstellung durch Sprechakte aufweist und eben diesen Vorgang selbst noch einmal reflektiert.“

So wird die Reflexion vorangetrieben, bis schließlich nur noch die Sprache bleibt. Bei Gerd-Peter Eigner schließlich ist der Held die Sprache selbst.

Mit Spannung und voller Bewunderung habe ich gelesen, wie sich die Fäden in diesen Essays fortspinnen, aus den Hebelschen Kästchen werden Räume, die Frage nach Identität läuft wie ein roter Faden mit, bis in dem Essay über den Heldenmut des Lesers schließlich alle Fäden zusammenlaufen, Wahrnehmung und Erinnerung, Räume, Löcher und das Brüchige der Identität.

Der Held in diesem Essay ist neben dem Leser die Zeit.

Zeit, Identität, Helden, all das spielt auch in Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ eine Rolle.

Draesner spiegelt in ihrem Essay die Lektüre und die erwähnten Begleiterscheinungen (Zeit, Identität, Heldentum), indem sie sich selbst als Leserin ins Spiel bringt. So wird anschaulich, wie sich Zeit und Identität im Lesen und Wiederlesen spiegeln, das Gelesene beeinflussen, wie das Gelesene immer wieder auch von den Umständen abhängt, unter denen es geschrieben wurde. Es gibt nicht die eine Wahrheit, vielmehr existieren viele unterschiedliche Wirklichkeiten. Das darzustellen ist die Heldenleistung der Literatur, das wahrzunehmen zeugt vom Heldenmut des Lesers. 



Exklusivbeitrag

Ulrike Draesner. Heimliche Helden. Über Heinrich von Kleist, Jean-Henri Fabre, James Joyce, Thomas Mann, Gottfried Benn, Karl Valentin u.v.a. Essays. ISBN 978 3 630 87373 3. 19,99 Euro, Luchterhand Literaturverlag München 2013.

Elke Engelhardt hat zuletzt über »Das verborgene Leben des J.D. Salinger« von Kenneth Slawenski auf Fixpoetry geschrieben.