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Roman
Ingrimm und Gelächter. »Nelkenfalle« - Christine Hoba legt dritten Roman vor
02.06.2013 | Hamburg
Alles beim Alten und doch alles ganz anders – in Christine Hobas neuem Roman, der in den Iden der Spät-DDR, in einer für einen Begriff von diesen Jahren prädestinierten Stadt spielt, geschieht vor einer schier unveränderlich geglaubten Kulisse Ungeheuerliches. Es ist die alte preußisch-sächsische Universitätsstadt Halle, die die Autorin mit einer heftigen Kavalkade Verwicklungen ausstaffiert und die sich in einem Interim aus Morbidität, drohendem Abriss und dem Anschein des Aufbegehrens befindet. Zwischen den seit Jahrzehnten sich in immer der gleichen Abfolge ergehenden Frauentags-Ritualen – morgens Blumen und Geseiber, abends ein ordentliches Besäufnis – wird an diesem denkwürdigen 8. März 1988 Brunis Ausreiseantrag genehmigt.
Es ist das Sittengemälde einer so moribunden wie zugleich explosiven, schwelenden Zeit, das Halles amtierende Stadtschreiberin entwirft: kaum ein Buch hat je das Gepräge der Stadt in ihrem gefährdeten Dornröschenschlaf auf literarische Weise so eingefangen. Hobas dritter Roman „Die Nelkenfalle“, das ist das Synonym für eine in die Versprengung geratene Utopie, die unter dem Vorzeichen der Idee des Sozialismus ins Scheitern abrutscht. Diesem Scheitern verdankt das bis dato heillos unterschätzte Saalemetropölchen z. B., dass das Paulusviertel, heute eines der beeindruckendsten und lebendigsten innerstädischen Flächendenkmäler der klassischen Moderne, noch steht.
Die kleinkarierte und schrebergartenhafte Ad-absurdum-Führung der Vision einer besseren Welt geht einher mit dem Verfall einer alten Stadt voller Kultur und Geschichte, und sie färbt auf ihre Bewohner ab: während Bruni in das Holterdipolter der Ereignisse gerät, versenkt sich der obligatorische Kunststudent Bernd in seine Arbeit und bleibt Buchhändlerin Diana im Hader mit den Umständen zurück. Sie, der dieser sieche Zustand unerträglich erscheint, trägt ihren Gram bis an das Ende des Ländchens mit sich, während sich andere, im Schatten des Nelkentags, in den Mumienstatus seiner eigentlichen Bedeutung gesetzt, Hals über Kopf für die Westausreise rüsten müssen.
Drastisch, in gestischer Rufweite des mitteldeutschen Dichtergotts Hilbig, staffiert Christine Hoba die Stadt, in der sie seit über dreißig Jahren lebt, zum kleinen Welttheater an den Abhängen der Geschichte aus, sie tut das mit einer wuchernden, bildreichen Sprache, aber auch mit den Mitteln von Ironie, perfide gesetztem Irrwitz und Sarkasmus. Es entsteht eine Mischung von Ingrimm und Gelächter, die einen verblüfft zurücklässt und einem last, but not least die Augen öffnet, wie sehr sich diese Stadt, die an ihrem Ruf noch trägt, in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten verändert hat.
Das Doppelsujet der Absentia, des Verlorengehens ist das primäre Thema in Christine Hobas großen Prosaformen, nach (sic!) „Die Abwesenheit“ und „Die Waldgängerinnen“ wird es in „Die Nelkenfalle“ ein weiteres Mal variiert und dekliniert. Es erhält in diesem literarischen Dokument des Scheiterns einer Gesellschaftsordnung eine krude Ambivalenz: während die Ausreisenden zunächst ins Nichts aufbrechen, sind die Zurückbleibenden einem von ihnen so empfundenen Nichts an Bewegung und Aussicht weiterhin ausgesetzt. Inzwischen ist, wenn vielleicht auch erst auf den zweiten oder dritten Blick, das reiche historische und kulturelle Erbe, die Schönheit dieser eigentümlichen Stadt wieder sichtbar – in „Die Nelkenfalle“ setzt Christina Hoba, die überdies mit drei Bänden Lyrik, zwei Hörspielen und einer Reihe kleiner Prosa hervortrat, ihrer ‚deutsch-demokratischen‘ Nachkriegsgeschichte ein so bedrückendes wie persönliches Monument.
Exklusivbeitrag
Christine Hoba: Die Nelkenfalle, Roman, Klappenbr., 192 Seiten, 12,95 Euro. ISBN: 978-3-89812-982-4. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2013.
Andre Schinkel hat zuletzt über »Das Lied vom Hackeschen Markt« von Irina Liebmann auf Fixpoetry geschrieben.