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Roman
Sabine Scholl »Wir sind die Früchte des Zorns«. Weibliches Selbstverständnis im Wandel der Zeit.
08.07.2013 | Hamburg
Der Titel von Sabine Scholls viertem Roman, erinnert an John Steinbecks Früchte des Zorns. Liegt hier also das weibliche Pendant zu John Steinbecks Roman vor? Oder doch eher eine Anspielung auf die Fruchtbarkeit, die Leibesfrucht?
Auf jeden Fall hat Sabine Scholl ein sehr frauenzentriertes Buch geschrieben. Männer spielen nur eine Nebenrolle, im Leben der in diesem Roman agierenden Frauen.
Erzählt wird von drei Müttergenerationen, ihrem Verhältnis zu den Männern, dem Leben und dem Tod. Das bedeutet auch ein Stück Zeitgeschichte, konsequent aus einer weiblichen Perspektive erzählt. Da der Roman sich zusätzlich in unterschiedlichen Ländern bewegt, von Österreich und Frankreich bis nach Amerika und Berlin, werden die Konstruktionen weiblicher Identität nicht nur abhängig von der Zeit, sondern auch in ihrer Bedingtheit von kulturellen Unterschieden erfahrbar.
Odette, die Schwiegermutter der Erzählerin, ist Französin, Tochter aus gutem Haus, die durch ihre Ehe Verbindungen nach Österreich eingeht, einer Ehe, in der das Spannungsverhältnis zwischen Land und Stadt, Handwerk und Kultur eine Rolle zeitlebens eine Rolle spielt.
Die österreichischen Großmütter der Erzählerin hingegen sind in der Enge und Pflicht eines bäuerlichen Lebens gefangen. Allen Frauen gemein ist jedoch die Abhängigkeit von den Männern, finanziell und was das eigene Selbstbild betrifft.
Die Mutter der Erzählerin schließlich zerbricht beinahe an der Enge und leidet ihr Leben lang unter einer unheilbaren Todessehnsucht. Ihre Tochter versucht sich mit Hilfe der Kunst aus diesen destruktiven Verhältnissen zu befreien. Louise Bourgeois wird zur „wahren Großmutter“, ihre Kunst setzt den Blick frei auf die Netze, die sich die Frauen selbst spinnen, um sich schließlich darin zu verfangen.
Der Roman ist auch eine ganz persönliche Suche nach Identität, die Frage welchen Einflüssen sie unterliegt Welche Rolle Geschlecht, Zeit und Umgebung spielen. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Herkunft und dem, was weitergegeben wird. In einem Interview bezüglich dieses Romans sagte Sabine Scholl: „Als meine Tochter langsam mit der Schule fertig wurde, zeichnete sich ab, sie würde das Haus verlassen. Da habe ich mich dann sehr stark damit auseinandergesetzt, diese ganze Verbindungslinie in meiner Erinnerung noch einmal durchzugehen, wie meine Großmütter gelebt haben, wie meine Mutter gelebt hat, wie meine Schwiegermutter gelebt hat und wie sich alle diese Einflüsse in meiner Tochter irgendwie zusammenfinden.“
Es geht also nicht zuletzt um Traditionen, die weitergegeben werden, adlige mit Familienstammbaum versehene Traditionen von der französischen, väterlichen Seite, und die nicht weniger einflussreichen, aber nicht dokumentierten Einflüsse der ländlichen Großmütter.
„Ohne meinen Namen kann ich weder lieben noch geliebt werden, habe ich keinen Platz in der Gemeinschaft. Nur, dass mein eigener Name nichts bedeutet. Er ist Statthalter für die Geschichte einer Region, bezeichnet die Zugehörigkeit von Frauen, die geraubt werden. Habe ich lange geglaubt. Der englische Titel der Legende erst bringt mich auf die Wahrheit. Es war nicht Raub, sondern rape, Vergewaltigung der Frauen durch die Römer. Und die Sabinerinnen verbündeten sich mit den Tätern, willigten ein, Mütter zu werden für ihre Kinder. Wandten sich gegen ihre Herkunft.“
In diesem Zitat ist das ganze Programm des Romans enthalten, die ganze Problematik der Frauen, die hier eine Rolle spielen. Die Einwilligung der Frauen in ihre Lage, den Kindern zuliebe und damit gegen sich selbst. Aber auch der Abstand der notwendig ist, um allzu offensichtliches zu erkennen.
Der Erzählerin widerfährt ein ähnliches Schicksal, wie den ihr vorangegangenen Müttern. Dabei hat alles so vielversprechend begonnen, wir teilen uns die Arbeit mit dem Kind, hatte der werdende Vater gesagt, als sie weinend berichtete, sie sei schwanger. Gemeinsam gehen sie nach Amerika, gemeinsam kehren sie nach Europa, nach Berlin zurück. Eine Zeitlang fühlt die Erzählerin sich aufgenommen in die Gemeinschaft der Frauen, durch die Tatsache, dass nun auch sie Mutter ist.
Gleichzeitig fühlt sie sich mehr und mehr fremdbestimmt, ihr Körper gehört den Kindern, ihre Zeit ist aufgeteilt und zersplittert zwischen den Bedürfnissen der Familie. Als der Vater die Familie verlässt, versucht sie für ein gemeinsames Sorgerecht zu kämpfen und erfährt, dass die Behörden einen Vater nicht zwingen können, seinem Erziehungsauftrag nachzugehen.
Darüber hinaus ist dieser Roman, und da liegt vielleicht der Zorn begründet, eine Geschichte über das scheinbar nicht auszuräumende Missverständnis, dass Gleichberechtigung nicht Gleichmachen bedeutet, dass Männer und Frauen nicht gleich sein sollen, sondern dass ihre Arbeit die gleiche Wertschätzung erfahren sollte. Diese große unendlich wichtige Arbeit, die im Hintergrund, im Unsichtbaren stattfindet. Sabine Scholl hat sie sichtbar gemacht.
Exklusivbeitrag
Sabine Scholl. Wir sind die Früchte des Zorns. Roman. ISBN 978 3 905951 21 9. 19,95 Euro. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2013.
Elke Engelhardt hat zuletzt über »Die Entdeckung der Natur« von Jürgen Goldstein auf Fixpoetry geschrieben.