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Gedichte aus Frankreich
»Die hellen Nächte« von Hans Sahl.
28.06.2013 | Hamburg
Im Weidle Verlag ist im Frühjahr ein kleines Büchlein erschienen, das in vieler Hinsicht bemerkenswert ist. Es heißt Die hellen Nächte. Gedichte aus Frankreich und ist von dem 1902 in Dresden geborenen Hans Sahl. Die Lektüre dieses Buches sei jedem dringend empfohlen. Jedem. Und zwar sowohl aus politischen als auch aus ästhetischen Gründen, die sich angesichts dieses Werkes nicht sauber trennen lassen.
Sahl musste 1933 Deutschland verlassen und kam über die Tschechoslowakei und Frankreich schließlich nach Amerika. 1989 kehrte er mit seiner Frau nach Deutschland zurück, wo er 1993 starb. Auch Sahl ist ein Beispiel für die zögerliche Aufnahmebereitschaft der deutschen Staaten nach der deutschen Niederlage 1945. Ich denke, wir haben in dieser Hinsicht noch eine ganze Menge aufzuarbeiten, und Bücher wie dieses sind dazu unbedingt erforderlich. Zwar sind die Gedichte des Bandes bereits in einer Sahl-Gesamtausgabe veröffentlicht, aber der Weidle Verlag bringt sie in der ursprünglichen Anordnung und Gestalt neu heraus. Das ist eine dokumentarische Leistung, die nicht zu überschätzen ist. Der Leser hält mit diesem Buch ein einzigartiges Dokument des Widerstandes gegen die Barbarei in der Hand, das die emanzipatorischen Momente der deutschen Literaturtradition zu bewahren versucht und auch feiert.
Die Gedichte machen das nicht explizit, und der Titel könnte auch auf eine gewisse romantische Sicht verweisen, oder auf tradierte Frankophilie, der Schwester der eben auch in Deutschland zelebrierten Erbfeindschaft. Aber Sahls Gedichte führen deutsche Verstradition und das Erleben eines Flüchtenden zusammen. Ein dichterisches Werk, das auch eine Momentaufnahme des Weges durch die Emigration ist. In einer einfachen und eindringlichen Sprache:
Auf der Landstraße
Es regnet auf die Decken,
Es regnet auf den Stein.
Am Baum hängen die Hosen.
Wer wird uns wecken?
Werden es Deutsche sein
Oder Franzosen?
Allein in diesem kurzen Text wird die romantisch deutsche Vorstellung vom Tippelbruder zurückgenommen und in den barbarisch politischen Kontext der Vertreibung und Todesdrohung gesetzt. Die Gefahr geht von der Heimat aus. Als wäre die deutsche Kultur nur außerhalb Deutschlands zu bewahren gewesen. Und das war sie auch. Ernstzunehmende Dichter, die in Deutschland blieben, waren in jener Zeit verstummt. Dichtung war nur noch im Exil möglich oder im Untergrund. Also unter erschwerten Bedingungen. Das erste Erscheinen des Buches Die hellen Nächte grenzte also an ein Wunder.
Die Ausgabe des Weidle Verlages wird um den Kern herum mit einigen Essays von Kollegen und Zeitgenossen zu Sahl und zur Geschichte des Buches angereichert. Ralph Schock berichtet in Aus den Koffern des Hans Sahl von den Schwierigkeiten, die auf Emigranten zukamen, die in der sich ankündigenden Nachkriegsordnung ihre politische Autonomie bewahrten und sich keiner der führenden Ideologien unterwerfen wollten. Am Ende des Buches findet sich dann ein flammend zu nennendes Plädoyer von Stephane Hessel. Sahl war mit Franz Hessel, dem deutschen Vater des französischen Diplomaten und jüdischer Emigrant, gut bekannt.
Das Buch, so dünn es ist, erzählt neben den Gedichten also mindestens noch zwei Geschichten, eine spannender als die andere. Zum einen ist es die Editionsgeschichte: Die hellen Nächte ist 1942 als deutschsprachiger Gedichtband im Verlag Barthold Fles in New York erschienen. Ein Satz, der es in sich hat. In New York erscheint ein deutschsprachiger Gedichtband. Angesichts der Schwierigkeiten, so etwas in Deutschland zu verkaufen, scheint dieser Sachverhalt mehr als irritierend. Zumal es sich nicht um das Steckenpferd eines schwerreichen Magnaten handelte, sondern um das Werk eines mittellosen Emigranten, und um sein erstes, ein Lyrikdebut. Dazu kommt, dass in Europa der Krieg tobt und die deutsche Sprache auch für Amerikaner bald die Sprache des Feindes war. Aber das Projekt kam zustande, und die Bedingung des Verlages, im Vorfeld der Edition eine Reihe Abnehmer zu finden, gelang. Burkhard Baltzer schreibt in seiner Vorbemerkung, dass er von vier Menschen wisse, dass sie im Besitz dieses Gedichtzyklus seien. Dem Weidle Verlag ist zu danken, dass es jetzt wieder mehr sind.
Exklusivbeitrag
Hans Sahl: Die hellen Nächte. Gedichte aus Frankreich. Mit Beiträgen von Burkhard Baltzer, Momme Brodersen, Stéphane Hessel und Ralph Schock. € 16,90 ISBN: 978-3-938803-54-7 Weidle Verlag Bonn 2012
Jan Kuhlbrodt hat zuletzt über »Und wir werden die Maschinen für uns weinen lassen« von Claudiu Komartin auf Fixpoetry geschrieben.