Gedichte
»Und wir werden die Maschinen für uns weinen lassen« von Claudiu Komartin
15.06.2013 | Hamburg
Rumänische Dichtung begleitete meinen Leseweg eher unauffällig, dennoch war sie seit den frühen Achtzigern immer irgendwo anwesend. Nicht nur weil die deutschsprachigen rumänischen Dichterinnen und Dichter sie mitbrachten ins deutsche Exil, aber sicher auch deshalb. Sind sie doch ein Bindeglied zwischen den Kulturen gewesen. Brücken. Kulturen, die, wie mir zuweilen schien, fremder nicht sein konnten,
Hin und wieder kam es zu kleineren und größeren Eruptionen, zum Beispiel bei der Lektüre der Gedichte von Gellu Naum. Wenn ich aber zurückblicke, darauf achte und meine Lektüren entsprechend vorstelle, scheint Rumänien ein schier unerschöpfliches Reservoir zu sein. Vielleicht liegt es an der romanischen Sprachinsellage, vielleicht aber auch am Durchgang der verschiedenen Kulturen.
In der mehr als verdienstvollen Edition Korrespondenzen, die uns in nicht zu überschätzender Art Dichtung aus Ost- und Südosteuropa zugänglich macht, ist jüngst der Band Und wir werden die Maschinen für uns weinen lassen des 1983 in Bukarest geborenen Claudiu Komartin erschienen. Der Titel des Bandes schon lässt eine inzwischen historische Moderne aufscheinen. Übersetzt wurden die Gedichte von Georg Aescht.
Komartin gehört einer vergleichsweise jungen Generation rumänischer Autoren an, und wie es aussieht, ist er beneidenswert produktiv, denn es handelt sich bei diesem Buch um eine vom Autor selbst besorgte Zusammenstellung aus seinem bisherigen erstaunlich umfangreichen Werk.
Eine subjektive Durchsicht also, die vermuten lässt, dass wir uns mit einer Eisbergspitze begnügen müssen. Diese Spitze allerdings hat es schon einmal in sich, denn der Autor, so scheint es mir, ist fest in der Rumänischen Lyriktradition verwurzelt, und diese zeichnet sich zu meiner Verblüffung durch Urbanität aus.
Es liegt natürlich an mir selbst und einer gewissen medialen Vermittlung der rumänischen Welt, die aus Pelikanschwärmen im Donaudelta, bunten Bauernblusen, Ochsenkarren und Bildern von der Hinrichtung Ceaucescus besteht.
Es ist eine wiederkehrende Verblüffung, die schon mit den ersten Reclamheftchen aufkam, die ich in den Achtzigern las, mit Texten zur Rumänischen Moderne, und die so sehr dem widersprachen, was ich in meinen zwei Rumänienaufenthalten erlebt hatte. Zum einen war da eine verschüchterte, unzugängliche Bevölkerung und zum andern eine kraftvolle, überhaupt nicht schüchterne Dichtung.
An dieses Kraftvolle knüpft Komartin an.
Aber etwas scheint real zu sein, an der Verwerfung, die ich in meinem Wissen feststellte. Rumänien, so scheint es auch durch die Gedichte Komartins hindurch, ist eine mehrfach gebrochene Gesellschaft, widersprüchlich noch bis in die privatesten Verhältnisse. Und so sehe ich in diesen Gedichten auch eine dokumentarische Funktion erfüllt, die zwar nicht Aufgabe der Dichtung sein kann, die aber im Gelingen von Dichtung begründet ist. Dichtung spricht über die Situation ihrer Herkunft, und wir können etwas über die historische Welt von ihr lernen: Und nur scheinbar widerspricht Komartin dem, wenn er schreibt.
Ziviles poem
fragt mich nicht
nach dem zusammenhang zwischen geschichte und poesie
wer alles falsch verstanden hat
wer geweint hat
wozu es megaphone brauchte
wenn unsre stimmen so weit tragen?
Was hier programmatisch formuliert ist, wird in den Gedichten eingeholt. Lebendige aber auch sedimentierte Geschichte.
Sehr bewegt hat mich eine Wiederbegegnung mit Komartins jungen Kollegen Constantin Virgil Banescu. Im Gedicht Ein nachmittag auf dem karlsplatz lässt er den Dichter, der sich 2009 mit Mitte Zwanzig das Leben genommen hatte, wieder auferstehen. Eine doppelte Auferstehung, denn die Übertragung der Texte Banescus ins Deutsche war eine der letzten Arbeiten Oskar Pastiors.
Übersetzung des Beitrages in Rumämische finden Sie hier.
Exklusivbeitrag
Claudiu Komartin: Und wir werden die Maschinen für uns weinen lassen. Gedichte. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht. ISBN 978-3-902113-87-0. EUR 16,00 Edition Korrespondenzen. Wien 2012
Jan Kuhlbrodt hat zuletzt über »Weltroman« von Tanja Schwarz auf Fixpoetry geschrieben