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Gedichte
Scheinbares Kinderspiel. »Der Hase!!!!« von Ernst Herbeck.
04.07.2013 | Hamburg
Meine Sprache ist total
und grundsätzlich
Die Gedichte sind deshalb
gut und zwar schön.
Er schmiss die Teller vom Tisch, er schüttete die Suppe unter das Bett – es half alles nichts. Auch durch diese kleinen Revolten konnte sich der zwanzigjährige Beamtensohn keine Linderung verschaffen. Das „scharfe Denken“ des Vaters zersetzte ihm nach und nach und unaufhaltsam die Nerven, wie er selbst sagte. Er konnte nicht mehr schlafen, er konnte nicht mehr essen, fühlte sich von fremden Stimmen verfolgt. Man fand ihn apathisch und laut vor sich hinzählend in seinem Bett und es kam zu seiner ersten Einweisung in eine Klinik.
Anfangs besserten sich seine Zustände. Er wurde wieder entlassen. Zurück in der Familie begann das Drama aber von vorne und nach einem halben Jahr beim Militär wurde Ernst Herbeck im März 1945 zum vierten und letzten Mal in die Niederösterreichische Landesnervenklinik Gugging eingewiesen. Bis zu seinem Tod 1991 sollte er dort 45 Jahre lang Patient sein.
Dort begann Herbeck als Bestandteil seiner Therapie unter Anleitung seines Arztes Leo Navratil Gedichte zu schreiben. Beide trafen sich in einem Raum, wo auf einem Schreibtisch schon ein Blatt Papier und ein Stift bereit lagen und Leo Navratil gab das Thema vor. Anfangs noch einfachere Themen, Jahreszeiten oder Titel wie: Das Zebra, Das Feuer, Die Zeit. Sommer im Boot; später versuchte er seinem Patienten Gedanken zu komplexeren Themen zu entlocken, wie: Die Wahrheit, Der Freund, Ich als Rechner, oder Lieber Gott, was nun?. Was Leo Navratil zunächst als Diagnose- und Therapiematerial galt, war für Herbeck eine unverhoffte neue Möglichkeit geworden, sich auszudrücken. Seit seiner Geburt litt er aufgrund einer Gaumen-Kieferspaltung an einer Sprechbehinderung, die auch operativ nicht behoben werden konnte. Er, der so große Schwierigkeiten hatte sich mündlich, sich zwischenmenschlich verständlich zu machen, hatte plötzlich im Schreiben einen Ausweg gefunden, sich auf seine Art auszudrücken.
Der Bauchredner.
Der Bauchredner spricht über die
Gedärme. Ein lauteres Wort und
spricht dann weiter. Er spricht
nicht direkt an, er mimt es
so. Seine Sprache ist verständlich.
Auch wenn das Besondere an Herbecks Gedichten ihre Entstehungssituation ist –
er schrieb immer nur auf Aufforderung hin, zu einem vorgegebenen Thema –
wäre es verfehlt zu sagen, dass ihm die innere Notwendigkeit, die Dringlichkeit zu schreiben gefehlt hätte. Ganz im Gegenteil schreibt hier einer aus allertiefster Sprachnot heraus. Gibt Dichten und Schreiben als seine Lieblingsbeschäftigungen an, und auf einem Fragebogen gibt er als seinen Beruf Schriftsteller an.
Jedes Gedicht entstand in einer Sitzung, wurde nach der Fertigstellung mit Datum und dem Pseudonym Alexander versehen und nicht nochmals korrigiert. Man staunt Bauklötzchen, welch kleine Wunderwerke voller poetischer Sprachkraft und Gewitztheit in diesen kurzen Sitzungen entstanden: Der Dichter/ ordnet die Sprache/ in kurzen Sätzen./ Was über ist, ist das Gedicht selber.
Auch sein Arzt Leo Navratil erkannte das Potenzial seines Schützlings und machte sich um die Sammlung und Herausgabe seiner Schriften, wie auch allgemein um die Würdigung der sogenannten „zustandsgebundenen Kunst“ verdient.
Ein weiteres Faszinosum ist die Stringenz, die Homogenität aller Gedichte Herbecks. Sie sind kurz und prägnant und laufen allesamt auf eine Pointe am Ende zu.
Der Nachtpapagei.
(Für Friederike Mayröcker)
Der Nachtpapagei wacht zur Nacht
über die, die am Tage sich vergnügen
Er wacht sozusagen über eine Gruppe
zur Nacht. Und meistens dort wo es am
wärmsten ist. In Amerika. Brasilien.
Das Verfahren ist dabei immer dasselbe. Der Autor nimmt den Titel zum Anlass und erklärt, was ein Nachtpapagei, ein Hund, der Tod, die Liebe oder Freundschaft ist, wie es ein Kind in einem Aufsatz tun würde. Und das wiederum ist gerade das Bewundernswürdige: die scheinbare Leichtigkeit und vermeintliche Naivität, die das Gedicht wie ein Kinderspiel wirken lässt. Immer aber wird durch den „Twist“ im letzten Vers die ganze Tragweite, die Tragik und der Schmerz spürbar. Kippt das Spiel um, auf eine Weise, wie es nur einem mit einer Narrenkappe gelingen kann. In diesem Narrenkostüm spiegelt er uns das Abgründige im Schönen, oder scheinbar Banalen.
Ein Hundeleben.
Ein Hundeleben war früher um die
dreissiger Jahre eine Sitte. Viel zu
essen und zu spazieren. Der Hund,
macht es genau so. Wenn er nichts
zum speisen hat ist er traurig.
Ein fettes Bein genügt.
Herbeck, der sich zeit seines Lebens als eingeschlossener Ausgeschlossener empfunden hat, beschenkt uns mit dem Blick dieses ganz Anderen, vollkommen Außenstehenden, der die Dinge zu betrachten vermag, als sähe er sie zum ersten Mal. Neugierig wie ein Kind und in der tiefen Schlichtheit dieses leicht verrückten Blickes weise wie ein Zen-Meister.
Die Vergangenheit ist das, was schon vorbei ist. Das Gesicht ist das, was mitwächst beim Kind. Und der Schlaf etwas, von dem man am Morgen ganz von allein aufwacht.
Der Band der Hase!!!! vereint nun 400 dieser Kleinode. Rund ein Viertel davon aus dem Nachlass des Autors. Kompiliert und mit einem kenntnisreichen Nachwort versehen von Gisela Steinlechner. Sie hat über Herbeck promoviert, und zur Outsider Art im 20. Und 21. Jahrhundert geforscht. Im Nachwort wird auch enthüllt, was es mit dem Hasen auf sich hat, den Herbeck sich zum Wappentier erkoren hatte: Er verkörpert die Erfahrung der Ambivalenz, da er in Mythenerzählung sowohl als weise Gottheit wie auch als lächerlicher Clown auftritt.
Dem Nachwort entnehmen wir auch die Anekdote, das Herbeck auf die Frage hin, worauf man bei seinen Gedichten besonders achten soll, antwortete: „Der Anfang und der Schluss sind das Wichtigste“.
Die Tänzerin.
Die Tänzerin tanzt auf ihren spitzen
Schuhen im Kreis herum und
Sich dann ausstreckt. Erhöht.
Sie tanzt und springt in Sätzen.
Die Tänzerin hat ein kurzes Kleid an.
Es ist weiß. Und springt und tanzt.
Auch nach Klaviermusik.
Sie ist so müde und lehnt sich an den Tänzer.
Exklusivbeitrag
Ernst Herbeck: Der Hase!!!! 264 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3990270042. Jung und Jung Salzburg 2013.
Monika Koncz hat zuletzt über »Burn, baby, burn« von Zvonko Karanović auf Fixpoetry geschrieben.