Klimaforschung

Gedichte

Autor:
Nora Gomringer
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Gedichte

Konkret und dingfest bei jedem Wetter – Nora Gomringers Klimaforschung

Slam Poetry und Spoken Word sind die Schulen, in deren Sphären Nora Gomringer, Tochter des in die Literaturgeschichte als Vater der „Konkreten Poesie“ eingegangenen Eugen Gomringer, sich entwickelt hat und das ist spürbar in vielerlei Hinsicht. Viele ihrer Texte sind nämlich nicht Gedichte, wie ich sie kenne (auch wenn ich sie nicht kenne), sondern kleine Aufführungen, Mini-Stücke oder sagen wir so: Sprache, die man performen muß. Erst dann offenbaren sie ihren ganzen Reiz. Das Überraschende ihrer Texte vervielfacht sich in den allermeisten Fällen, wenn man sie auf der beiliegenden CD anhört. Es würde sich nochmals potenzieren, wenn man auch das lebende Bild dazu hätte. Ob das Gedicht eine öffentliche Veranstaltung ist, die sich zur Unterhaltung eignet oder nicht, muß ja jeder für sich selber entscheiden. Entsprechend sind die Texte dann angelegt. Unbestreitbar ist, daß Nora Gomringer genau das kann: Texte schreiben, die durch ihre Performance wachsen. Ihre Einladung ist unmissverständlich. Sie lautet: Ich werde etwas mit der Sprache machen.

Es ist nicht nur der erste Track auf der CD, sondern es ist auch Programm. Sie wird nicht Sprache machen, so wie es der tiefsinnige Dichterfürst in seinen Hirnwindungen gegen die Schwerkraft der Normalität hinzubasteln versucht, also neue, bislang unbekannte Sprache erdichten, erfinden, vielleicht sogar erzwingen und erlügen, sondern sie wird die Sprache nehmen, wie wir sie alle kennen und mit ihr etwas ganz Besonderes machen. Sie wird uns darauf hinweisen, daß man mit der Sprache, ja, ganz genau unserer Sprache, etwas Beachtenswerteres erzeugen kann, mit scheinbarer Leichtigkeit. Sie wird sie mit Gesten versehen und mit ihr Gesten entstehen lassen. Sie wird spielen mit uns und unserer Sehnsucht nach einem tieferen Sinn für Klamauk.

Aber das ist nur eine, die auffälligere Seite von Nora Gomringer, die den Medien in die Hände spielt, ja in die Medien gehört, weil sie sich genau dorthin wendet (und es kommen wunderbare Resonanzen, weil sie diese Seite auch wunderbar lebt und präsentiert) – es gibt aber auch, weniger laut und weniger offensiv präsentiert, eine ganz ernsthafte Hälfte, sehr konkret im Tag angesiedelt und was er anrichtet im Mikroklima, die Wasserflecken auf dem Parkett in der Wohnung des Geliebten, die übrig blieben von den Pflanzen der Vorgängerin, die Sommerfahrt über Land und das leichtfüßige, nackte Liegen auf Wiesen, die inneren Verhandlungen, die sich in der nähesten Nähe einstellen, unbedingt oder innig. Und es gibt eine kritische Seite, die im Umfeld wahrnimmt, was uns nicht versöhnt – das Mesoklima, und wie es beschaffen ist, was sich um uns herum ansammelt und kaum mehr zu durchstoßen ist, vielleicht noch zu durchmessen mit eigener Klimaforschung. Was auch die Dichter betrifft und die Presse (die nicht wirklich hört, was man sagt). Davon unweit eine öffentliche Seite, im Makroklima, der Überbau, das Überbaute und zu Überbauende und wie man dort hineinhaut mit Sprache. Das letzte Kapitel schließlich – Wetter und Wandel – Gedanken, die zerbrechen, Umbruch, der stattfindet innen und außen - immer versteht man rasch und genau worum es geht, es gibt kein Verstellen, sondern ein zu Erkennen geben und Benennen. Die Nadel auf dem Millimeterpapier schreibt mit, sie erfindet nichts. Nora Gomringers Klimaforschung ist, was moderne Dichtung gerne  wieder sein darf: konkret und dingfest bei jedem Wetter und in den richtigen Sachen unterwegs in der Poesie.

Raum für Echos

Als ich meinen Geliebten zum ersten Mal besuchte,
In seinen Badezimmerspiegel sah,
Aus seinem Geschirr trank und aß, stellte sich ein Verdacht ein:

Hier alles wie Wohnung
Nur Bett nicht Bett und Stuhl nicht Stuhl und

Auf dem Parkett Ringe
Hier waren irdene Töpfe, Blumen welk darin

Alles wie weggenommen
Nicht zurückgestellt
Fehlen von Material und Dichte
Raum für Echos

Entstanden
Als eine ging
Mit lautem Schritt über das Holz.

Nora Gomringer „Klimaforschung“. Gedichte (mit Audio-CD). Voland & Quist, Dresden & Leipzig 2008.