Spiel der Schwalben

Comic

Autor:
Zeina Abirached
Besprechung:
Mario Osterland
 

Comic

Warten auf den Flug ins Freie. Zeina Abirached's »Spiel der Schwalben«.

29.07.2013 | Hamburg

Der Comic als Vermittler persönlicher Schicksale vor dem Hintergrund der Weltgeschichte ist seit Art Spiegelmans Maus und Marjane Satrapis Persepolis nicht nur bekannt, sondern auch überaus erfolgreich. Das mag unter anderem daran liegen, dass Bildergeschichten komplexe Zusammenhänge einfach und direkt anschaulich machen und dabei dennoch eine hohe Intensität erzeugen können. Im Falle von Spiegelmans Maus gelang es, den zahlreichen Dokumentationen und Spielfilmen über die Shoa eine neue Form der emotionalen Vermittlung dieses Themas hinzuzufügen, während Satrapi mit Persepolis der so genannten „westlichen Welt“ überhaupt erst einen Zugang zur Geschichte des Irans verschaffte. Beide Zeichner haben durch ihre Verbindung von persönlicher und Weltgeschichte Meilensteine der Comicliteratur geschaffen.

Im Avant Verlag erscheint nun eine Graphic Novel, die sich auf ähnliche Weise in diese Linie einzureihen versucht. Zeina Abirached erzählt in Das Spiel der Schwalben einen Teil ihrer Kindheit während des libanesischen Bürgerkrieges. 1984 lebte sie mit ihren Eltern im christlich geprägten Osten der damals geteilten Hauptstadt Beirut. Dabei ist diese Ortsangabe relativ, denn die Wohnung in der die Familie wohnte, befand sich in unmittelbarer Nähe der Demarkationslinie. Zeinas Großeltern wohnten nur wenige Straßen entfernt. Der Weg war zwar nicht weit, aber lebensgefährlich, da Heckenschützen den Bürgern in den Straßen auflauerten.

Die Wohnung von Zeinas Eltern befand sich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Im Flur der Wohnung hing ein Wandteppich, der den Auszug Moses und der Hebräer aus Ägypten zeigte. Der Raum, war der sicherste im ganzen Haus.  Jeden Abend versammelten sich hier die Nachbarn, um die nächtlichen Bombardements abzuwarten. Abirached erzählt die Geschichten der nacheinander Eintrudelnden und die Geschichte vom Leben mit dem Bürgerkrieg. Das Warten beginnt. Waren auf das Ende des Krieges, das Ende der Granatenabwürfe und die Rückkehr von Zeinas Eltern, die bereits vor einer Stunde die Wohnung der Großeltern verließen.

Der Abend, der die Wartenden in einem engen Flurzimmer vereint, bildet den Erzählrahmen für die Autorin. In kurzer Abfolge stellt sie den gesamten Freundes- und Bekanntenkreis vor, in dem es nicht an interessanten und bisweilen schrulligen Figuren mangelt. Da ist zum Beispiel Chucri, ein liebeswerter Draufgänger, der mit den Kindern feixt und immer dann zur Stelle ist, wenn Hilfe benötigt wird. Oder Ernest Challita, der jeden Abend exakt zehn Sekunden nach dem der Stromgenerator eingeschaltet wird an die Tür klopft. Der ehemalige Französischlehrer kennt „Cyrano de Bergerac“ auswendig und erzählt Zeina und ihrem Bruder die Geschichte aus dem Gedächtnis. Es ist der Versuch Normalität in den Alltag zu bringen und den Kindern die Welt zu vergrößern, die durch die Teilung der Stadt, die Heckenschützen und die Granaten allmählich immer kleiner wurde. Dabei kann niemand der Anwesenden wissen, wie lange sie noch in ihrem zu Hause bleiben können. An einer Hauswand fasst eine Graffiti diese Situation zusammen: STERBEN WEGZIEHEN WIEDERKEHREN DAS IST DAS SPIEL DER SCHWALBEN.

Zeina Abirached hat einen Comic geschaffen, der sich den Vergleich mit Marjane Satrapis Persepolis gefallen lassen muss.  Dabei gelingt es der Autorin zwar sowohl einen beklemmenden Eindruck vom libanesischen Bürgerkrieg, als auch vom manchmal tragikomischen Überlebenskampf der Zivilisten wiederzugeben. Der minimalistische Zeichenstil überzeugt jedoch nicht immer, da er der Story manchmal die Tiefe raubt. Immer wieder bleiben die holzschnittartigen Bilder an der Oberfläche, bilden ab, statt darzustellen. Doch immer dann, wenn Abirached sich traut bestimmte Panels über mehrere Seiten zu wiederholen, wird der zermürbende und unsichere Wartezustand der Hausgemeinschaft erfahrbar. Das Spiel der Schwalben ist kein Meisterwerk, erzählt aber eine bewegende Geschichte, die man nicht verpassen sollte.

 



Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben.

ISBN: 978-3-939080-77-0, 19,95 €. Avant Verlag, Berlin 2013.

Mario Osterland hat zuletzt über »Beschleunigung und Entfremdung«. Entwurf einer Kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit von Hartmut Rosa auf Fixpoetry geschrieben.

 


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