Wie keiner sonst

Roman

Autor:
Jonas T. Bengtsson
Besprechung:
Barbara Zeizinger
 

Roman

Was ist mit Vater geschehen? »Wie keiner sonst« von Jonas T. Bengtsson

23.07.2013 | Hamburg


Der Roman des dänischen Autors Jonas T. Bengtssons „Wie keiner sonst“ klingt nach.

Weil ein sechsjähriger Junge seine Socken nicht schnell genug finden kann, steckt sein Vater ihm die Füße nackt in die Gummistiefel. Er zieht den Jungen hinter sich her, denn er eilt so schnell wie möglich in die Stadt irgendwo in Dänemark zu einem Fernsehladen, um Genaueres über den Mord an Olaf Palme zu erfahren. „Ich bin eine Tasche. Ein Koffer mit kleinen Rädern“, denkt der Junge und gleichzeitig, dass er später den gleichen Bart haben möchte wie sein Vater. Das Kapitel endet damit, dass der Vater sagt: „Ich glaube, wir müssen bald umziehen.“
Im ersten Kapitel eines Romans müsse dessen ganze Geschichte angedeutet werden, meinte einst Theodor Fontane und könnte damit Bengtssons Anfang gemeint haben. Denn obwohl der Mord den Vater völlig aus der Fassung bringt und der Junge ihn zu ersten Mal weinen sieht, erfährt der Leser nichts von den Ursachen dieses Zusammenbruchs. Von Beginn an umgibt diesen Vater etwas Geheimnisvolles und sein anfangs kleiner Sohn, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt ist, kann nur die äußeren Geschehnisse registrieren, aus denen weder er noch der Leser klug werden.
1986 also mit dem Mord an Palme setzt die Handlung ein. In kurzen Abschnitten erzählt der Junge gleichsam atemlos sein unstetes Leben mit dem Vater. Von Beginn an sucht er Trost beim Zeichnen, hält schwierige Situationen in Bildern fest.

Bald wird deutlich, dass sie sich aus irgendeinem Grund auf der Flucht befinden. Erklären kann der Vater das nur durch ein Märchen. Es ist die Geschichte von den Weißen Männern, die den König und den Prinzen fangen wollten und diese Weißen Männer werden den Vater bis zu seinem bitteren Ende verfolgen.
Zusammen mit dem kindlichen Ich-Erzähler, dessen Name „Peter“ nur einmal genannt wird, kann der Leser nach und nach aus Bruchstücken das Leben des Vaters konstruieren und doch bleiben entscheidende Punkte auch für den Sohn im Ungefähren.
Immerhin wird deutlich, dass der Vater Theologie studiert, seine Promotion abgebrochen und früher beachtete Artikel geschrieben hat. Gleichzeitig scheint ihm in Albträumen regelmäßig eine schlimme Vergangenheit zu begegnen. Aber die ganze Dimension der Tragödie offenbart der Autor nur stückweise.
„Ich hatte eine wunderbare Kindheit, die ich gegen nichts tauschen wollte“, wird der Ich-Erzähler als junger Erwachsener sagen. Diese Kindheit umfasst den ersten Teil des Romans bis 1989. Einerseits kümmert sich der Vater rührend um seinen Sohn, nimmt ihn zu jeder Gelegenheitsarbeit mit und unterrichtet ihn. Andererseits fühlt sich der Junge für seinen Vater verantwortlich, lernt kochen und wischt ihm den Schweiß im Schlaf ab. Als sein (schmächtiger) Vater als Türsteher in einem Striptease-Club arbeitet, sorgt sich der Junge so sehr, dass er ihn vom Fenster der darüber liegenden Wohnung beobachtet: „Wenn er verschwindet, beginne ich zu zählen. Achtzehn, neunzehn....Bei vierundzwanzig lehne ich mich weit aus dem Fenster, sehe ihn immer noch nicht….Dann sehe ich meinen Vater. Solange ich ihn im Auge behalte, kann ihm nichts geschehen.“ Natürlich möchte der Junge gern in eine normale Schule gehen, würde lieber ein normales Leben führen. Diese Wünsche beschreibt Bengtsson anhand wunderschöner Szenen. Da sie nirgendwo gemeldet sind, können sie für eine Bibliothek keinen Leseausweis bekommen. „Ich versuche nicht zu weinen, nicht in der Bibliothek. Aber ich spüre es kommen, meine Augen werden trüb. Ich will zur Schule gehen wie alle anderen, ich will Bücher ausleihen wie alle anderen. “Dass der Vater das entsprechende Buch dann klaut, ist für den Jungen kein Ersatz. Dennoch ist sein Vertrauen in den Vater ungebrochen. Er ahnt nicht, dass der Besuch eines ersten Maifestes mit der Rede einer Politikerin für ihn und seinen Vater in einer Katastrophe endet, weil der Vater diese Politikerin niedersticht. Und auch der Leser kann nur vermuten, dass er sie für den Mord an Olaf Palme verantwortlich macht.

„Was ist mit meinem Vater geschehen?“ Diese Frage bestimmt das spätere Leben des Ich-Erzählers. Der zweite Teil des Romans setzt ein, als der Junge sechzehn ist. Der Vater ist in der geschlossenen Psychiatrie. Der Junge lebt bei seiner Mutter und deren neuer Familie. Seine Mutter erzählt ihm, dass das Zusammenleben mit seinem Vater „einfach nicht mehr“ ging, sie mit ihm ausziehen wollte, aber sein Vater „ist ihr zuvorgekommen.“ Stellt er weitere Fragen, heult sie und schließt sich im Schlafzimmer ein. Als sich seine Großmutter meldet, haut er zu ihr ab und bei ihr erfährt er, dass sein Großvater seinen Vater wahrscheinlich – so ganz genau wird es nicht ausgesprochen – missbraucht hat. „Es heißt, er sei schwer erkrankt“, sagt die Großmutter.

Wie früher sein Vater taucht der Ich-Erzähler unter. Falsche Papiere geben ihn als Mehmet Faruk aus und als solcher wird er, der von klein auf gezeichnet hat, als Maler bekannt. Ein Foto in einer Zeitung macht seinen Vater auf ihn aufmerksam und er bittet um einen Besuch. Die Begegnung in der Psychiatrie, wo der Ich-Erzähler einen abgemagerten, mit Medikamenten vollgepumpten Vater vorfindet, treibt die Handlung mit Wucht noch einmal voran. Wieder fühlt sich der Vater von „Weißen Männern“ verfolgt und er bittet seinen Sohn „die Tür in der Wand zu finden.“ Hat zu Beginn des Romans der Vater dem Jungen die nackten Füße in Gummistiefel gesteckt, so steckt jetzt der Sohn dem Vater die „nackten Füße in Gummischuhe.“ Eine Textstelle, die sogar durch die Wortwahl den Handlungsbogen verbindet. Als letzten Liebesbeweis bringt der Ich-Erzähler den Vater zu einem See, öffnet ihm „die Tür in der Wand“, indem er ihn ertränkt. „Selbst vom Ufer sehe ich die Augen meines Vaters. Der Mann schaut zu dem Jungen auf. Durch das grüne Wasser hindurch sehe ich die Ruhe in seinem Gesicht und das sanfte Lächeln.“

Der Rest ist schnell erzählt. In Berlin setzt sich der Ich-Erzähler als Maler durch. Nach einer erfolgreichen Ausstellung nennt er sich als Künstler „Peter“. Er hat eine Freundin, er scheint vorerst angekommen zu sein: „Ich werde eine Zeit lang hierbleiben.“

Bleibt noch nachzutragen, dass die Filmrechte bereits verkauft sind.


Exklusivbeitrag

Jonas T. Bengtsson, Wie keiner sonst.
Roman. Aus dem Dänischen von Frank Zuber. ISBN 978-3-0369-5668-8, 22,90 €, Kein & Aber Zürich, Berlin 2013

Barbara Zeizinger hat zuletzt über »Das Verschwinden des Philip S.« von Ulrike Edschmid auf Fixpoetry geschrieben.