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Gedichte
Realitäten, neu erwandert
Bei den meisten Autoren ist es so, dass sie mir langfristig bereits durch die eine oder andere Veröffentlichung in Zeitschriften aufgefallen sind, bevor ich einen kompletten Gedichtband in die Hände nehme – mit der Kenntnis der Fähig- und Fertigkeiten steigt in der Regel die Vorfreude auf die volle Dröhnung. Nur selten trifft mich ein Gedichtband so unvorbereitet, wie es die "Augenblicksgötter" des 1963 geborenen, in Berlin lebenden Autors Stefan Monhardt getan haben.
„Auch die ewige Klage, dass Lyrik so "schwierig" usw. usw. sei. Ich kenne einen Haufen Leute, die es in der Prosa nicht unter Joyce und Musil machen – aber die Lyrik soll gefälligst in einer Sprache stattfinden, die man wieder schön zurückübersetzen kann in eine realistische Abpinselung der "Realität". Als ob die Realität einfach so da wäre und nicht durch den Text überhaupt erst sichtbar würde.“ – Wer gewillt ist, mit seiner Sprache mehr zu schaffen als die Abbildung der Realität, wer gewillt ist, mit seiner Sprache einen anderen Blick zu ermöglichen, eine eigene Realität zu erschaffen, von dem ist keine auf Lyrikformat heruntergebrochene Prosa zu erwarten. Und in der Tat, und um es deutlich zu sagen: Stefan Monhardts Gedichte biedern sich nicht an, der Autor legt wenig bis keinen Wert auf Lesefreundlichkeit, die zum (zu) schnellen Konsum seiner Texte verführen könnte. Und so präsentieren sich viele der in drei Kapitel unterteilten Gedichte dieses Bandes als in Zeilen gegossene Chiffren, die den Leser auf sich selbst zurückwerfen. Auf den ersten Blick eindeutige Landschaftsbeschreibungen erweisen sich als Metapher auf Raum und Tiefe, verweisen darauf, dass ein Weg mehr sein und durch jeden Wanderer unterschiedlich wahrgenommen und erwandert werden kann.
Es sind Gedichte, die nachklingen, und so sollten sie auch laut gelesen werden. Nachdem er sorgfältig das Lunchpaket gepackt hat, schickt Monhardt seine Leser auf den Weg – er deutet an, dass der Weg an sich schon interessant ist, es jedoch abseits der Strecke mindestens ebensoviel zu entdecken gibt. Es bedarf der Ruhe, sich auf die angedeutete Wegführung einzulassen – dieses Buch ist nichts für eine überfüllte Straßenbahn zum Feierabend, taugt nicht zur Zwischendurchlektüre auf dem Weg zum Einkaufen. Optimal dürfte es sein, sich bei einer Wandertour durch das schöne Bodetal an einen Felsvorsprung zu lehnen und die "Augenblicksgötter" dort wirken zu lassen.
WAS SICH AUF EINEN ATEM SAGEN LÄSST
gehört dir
der entrückte schlanke windhauch oder
das herzliche willkommen allen anwesenden
ja gewiss phrasen
immer phrasen
dazwischen wirst du taumeln fallen aufstehen
atmen.
Danach ein Schluck aus der im Fluss gefüllten Feldflasche. Später in der Unterkunft der Gedanke an den vergangenen Tag, der ein gewonnener war!
Stefan Monhardt: "Augenblicksgötter" Gedichte. Drey-Verlag, Gutach 2007.