Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort

Roman

Autor:
Ned Beauman
Besprechung:
Florian Keisinger
 

Roman

Der Parallelemigrant – »Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort Zu Ort« von Ned Beauman.

19.07.2013 | Hamburg

Der englischer Autor Ned Beauman, Jahrgang 1985, hat nach „Flieg, Hitler, flieg!“ (2010) seinen zweiten Roman vorgelegt. Es handelt sich, wie schon bei seinem Erstling, um einen rasant-skurrilen Ritt durch Raum und Zeit. Stationen sind Venedig und Paris (im 17. Jahrhundert), das Paris der 1930er Jahre, Los Angeles vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen, Washington D.C. zur Zeit des Komitees für unamerikanische Untriebe, und immer wieder Berlin, das als Ausgangs- und Endpunkt den Rahmen für das Erzählte liefert. Wie in Beaumans ersten Roman darf auch diesmal Hitler nicht fehlen. Der Diktator schwebt in der Geschichte quasi über allem; zugleich jedoch – und das ist im Grunde die größte Pointe dieses mit Pointen übervollen Buches – spielt er für den Protagonisten der Handlung, den Bühnenbildner Egon Loeser, bei dessen Odyssee durch die Welt praktisch keine Rolle. Doch dazu später mehr.

Egon Loeser ist mit seinem Leben im Berlin des Jahres 1931 unzufrieden. Mit Politik hat das nur am Rande zu tun. Stattdessen leidet Loeser darunter, dass es immer die anderen sind – allen voran Brecht –, die die Frauen abbekommen, die er selbst gerne hätte. Außerdem kommt das Theaterstück, für das er eine aufwendige Teleportations-Vorrichtung entwickelt hat – in Anlehnung an sein großes Idol, Adriano Lavincini, der mit einem vergleichbaren Apparat im Jahr 1679 in Paris ein ganzes Theater in die Luft gejagt hatte –, nicht zur Aufführung, da nun plötzlich, aus für Loeser unerklärlichen Gründen, alle linken Theaterleute politische Stücke machen wollen, in denen Teleportations-Maschinen keine Rolle spielen.

Als die von Loeser leidenschaftlich umworbene Adele Hitler („nicht verwandt oder verschwägert“) nach Paris entschwindet, reist er ihr kurzerhand nach. Die Verfolgungsjagd führt in bis nach Kalifornien, wo er sich unter die deutschen Exilanten mischt (ohne nachvollziehen zu können, warum diese ihre Heimat eigentlich verlassen haben, zumal die meisten, wie Loeser sich aus Berlin erinnert, dort doch jede Menge Frauen hatten). Er erhält einen Posten im „Kalifornischen Komitee für kulturelle Solidarität“, dessen Sinn und Zweck ihm zwar nicht einleuchtet, der ihm aber 30 Dollar im Monat einbringt, was ihn in Los Angeles vorübergehend über Wasser hält.

Die, wie er findet, recht weinerlichen Briefe seiner in Berlin gebliebenen Bekannten über die dortigen Zustände legt er genervt beiseite. Ihn plagen genug eigene Probleme: Adele ist nach wie vor nicht gefunden, und zu allem Unglück ist Loeser bei der Einreise in die USA auch noch sein Lieblingspornoheft („Mitternacht in der Schwesternschule“) abhandengekommen. Die Suche nach Ersatz führt ihn ins Haus des schrulligen Milliardärs Gorge, der ihm nicht nur Logis anbietet, sondern auch einen Job im „California Institite of Technology“ – kurz: Caltech – vermittelt. Dort stößt er nicht nur auf Adele (die sich mittlerweile Hister nennt), sondern lernt auch Prof. Bailey kennen, der dabei ist, einen Teleportations-Mechanismus zu entwickeln, für den sich wiederum Gorge interessiert (Gorge betreibt nämlich Grundstücksspekulationen, die auf künftigen Nahverkehrsverbindungen basieren; ein funktionierender Teleportations-Apparat könnte dem Geschäft schaden). Dann aber stellt sich heraus, dass der Professor ein psychopathischer Massenmörder ist, der – wie Lavincini anno 1679 – das campuseigene Auditorium zur Explosion bringen möchte. Doch hat er die Rechnung ohne Loeser und Adele gemacht, die das Vorhaben zu verhindern wissen. Als sich schließlich Adele Loeser zur körperlichen Liebe anbietet, steht ihm nicht der Sinn danach. Adele heiratet einen anderen und bleibt in Los Angeles; Loeser kehrt ins Nachkriegsberlin zurück, und wundert sich, wie sich die Dinge seit seiner Abreise verändert haben. 

Ned Beauman hat einen klugen, witzigen, über manchen Seiten brillanten Roman geschrieben. Seine Hauptfigur, Egon Loeser, ist eine Art Parallelemigrant. Für Politik interessiert er sich nicht, und von Hitler hat er 1931 noch nie gehört; Deutschland „entflieht“ er aus sexuellen Motiven. In den USA wird er zur Reihe derer gerechnet, die ihrer Heimat aus politischen Gründen den Rücken gekehrt haben. Das wundert Loeser zwar, aber er lässt es sich gefallen, zumal er rasch merkt, dass dies seinem Ansehen in dem neuen Land zuträglich ist.

Alleine diese großartige Persiflage enthält für sich genommen ausreichend Witz für eine unterhaltsame Lektüre. Doch gibt Beauman sich damit nicht zufrieden, sondern fabriziert darüber hinaus ein Feuerwerk an skurrilen Dialogen und Pointen. Bisweilen schießt er damit jedoch über das Ziel hinaus. Zum einen, weil der zotige Charakter der Gags mit der Zeit etwas ermüdend wirkt; zum anderen hat man bei einigen Passagen das Gefühl, Beauman hat sie nur deshalb eingebaut, um noch eine zusätzliche Punchline zu landen. Das führt mitunter zu einem Zuviel an Albernheit, die das Buch so nicht nötig gehabt hätte. 

 

Exklusivbeitrag

Ned Beauman: Egon Loesers Erstaunlicher Mechanismus Zur Beinahe Augenblicken Beförderung Eines Menschen Von Ort Zu Ort. Aus dem Englischen von Robert Detje. ISBN 978-3-8321-9689-9 19,99 Euro DuMont Buchverleg Köln 2013.

Florian Keisinger hat zuletzt über »Die Predigt auf den Untergang Roms« von Jérôme Ferrari auf Fixpoetry geschrieben.