Hochroth Nr. 5 + Nr. 6

Zeitschrift für Literatur

Autor:
Hrsg: G. H. H.
Besprechung:
Astrid Nischkauer
 

Zeitschrift für Literatur

Gegen den Mainstream und hohe Auflagen, Hochroths Zeitschriften.


 

 

6

In hochroth Nummer 6 finden sich Beiträge von Joachim Sartorius, Tina Glaser, Elisabetta Abbondanza, Konstantin Hanack, La Lee Lena, Verena Stauffer und Luca Viglialoro zusammen. Neben den Texten der Autoren gibt es auch einen von G.H.H. mit dem Titel „Tagebuch“.  hochroth Nummer 6 enthält eine Illustration und gleich zwei Übersetzungen. Es handelt sich dabei um Eigenübersetzungen. Die Gedichte von Elisabetta Abbondanza und Luca Viglialore sind sowohl auf Deutsch, als auch auf Italienisch zu lesen.

 

 

Joachim Sartorius: Der Katalog von Alexandria

 

Das Gedicht von Joachim Sartorius beginnt mit den unzähligen Schriftrollen in der Bibliothek von Alexandria, welche durch „stille Kopierarbeit“ ständig mehr werden und neue Anbauten notwendig machen. Einzig der Katalog schafft

Ordnung im Wirrwarr der Überlieferungen

 

Die nächsten Strophen sind ein Abschreiten, ein Durchmessen der riesigen Bibliothek. Von einer Halle der Kartographen zum Ende der Großen Kollonade und weiter zum Saal der Nekrologen. In den folgenden beiden Strophen werden die „Bestseller“ der Bibliothek aufgezählt. In der achten Strophe kommt es zu einem Bruch, markiert durch die Fettschreibung der ersten Zeile:

Doch den größten Zuspruch hat ein leerer Raum

nur ein paar Liegen und Öllampen

Alles andere kosmische Finsternis

 

Damit sind wir im eigentlichen Kern der ganzen Bibliothek angekommen, dem Schlüssel zum Verstehen. Diese, schon allein durch die eine fett-geschriebene Zeile optisch sehr stark hervorstechende Strophe, stellt gewissermaßen den Kipp- und Mittelpunkt des ganzen Gedichtes dar. Die sieben vorhergenenden Strophen sind ein sich-darauf-Hinbewegen mit großen Schritten. Jede Strophe befasst sich mit anderen Besonderheiten der Bibliothek. Die sieben folgenden Strophen hingegen thematisieren einzig die Eigentümlichkeiten dieses einen leeren Raumes voller Schatten:

So viele kommen in diesen Raum

zur Erziehung des Auges

damit sie in den Schriften


die Fallen ausmachen können und die Türen

und schließlich verstehen

die leere Stelle des vollkommenen Katalogs

 

 

Tina Glaser: Zeitgenossen

 

Mit genau beobachtendem Blick beschreibt Tina Glaser das Gefangensein im sinnlosen Alltagstrott. Ferdinand hat neben seiner Arbeit überhaupt kein Leben mehr. Er hat Schlafprobleme, raucht immer mehr und befindet sich in einer fast vollständigen sozialen Isolation. Sein Zustand verschlechtert sich immer weiter und es scheint keine Besserung in Aussicht. Durch eine unerwartet abgesagte Abendveranstaltung findet er sich unvermutet vor Sonnenuntergang auf der Straße und beschließt seinen alten Freund Robert M. zu besuchen. Beim Kaffee im Café Korb – Schauplatz der Erzählung ist Wien – sitzen sie einander zunächst noch wie Fremde gegenüber, doch das ändert sich schnell als sie zu Bier übergehen. Sie kommen ins Nachsinnen und es entwickelt sich ein höchst philosophisches Gespräch, welches einen von ihnen verändert zurück lassen wird:

Wenig später verabschiedeten sich die beiden Freunde und gin-

gen hinaus in die Nacht. Der eine ging nach Hause, der andere

davon.

 

 

Elisabetta Abbondanza: Schwan 

Cigno

 

Dem Gedicht von Elisabetta Abbondanza ist eine Illustration gegenüber gestellt. Sie zeigt ein sehr geometrisches Zimmer voller Spiegel. Im Raum befindet sich ein kleiner Hund und eine lesende Frau, welche jeweils einzeln in einem der Spiegel gespiegelt werden, niemals aber zusammen. Die Illustration ist ganz in Brauntönen gehalten und wirkt auf den ersten Blick sehr ruhig. Erst wenn man sie sehr lange betrachtet wirkt sie immer seltsamer.

 

Das Gedicht von Elisabetta Abbondanza hat den Titel „Schwan“ oder „Cigno“. Schwäne sind ein Motiv, welches sehr häufig in der Literatur aufgegriffen wird (z.B. der Schwanentraum in Kleists „Die Marquise von O...“ oder im Sonett „Le vierge, le vivace et le bel aujourd’hui“ von Mallarmé). Das Gedicht reiht sich also allein schon mit dem Titel in eine lange Tradition ein.

 

Das Gedicht umfasst nur wenige Zeilen. Es entstehen sehr eindrückliche Bilder…

Während unter dicken schmutzigen Platten das Eis

Im Kanal langsam verbraucht,         

…und dennoch bleibt das Gedicht als Ganzes irgendwie schwer zu fassen.

 

Zuerst steht das Gedicht auf Deutsch, danach auf Italienisch. Welche Fassung die Übersetzung ist, lässt sich vom Gedicht her nicht entscheiden. Die Hinweise von G.H.H. legen jedoch nahe, dass zuerst die italienische Fassung entstanden ist. Dass die italienische Fassung direkt unter der deutschen anschließt passt auf jeden Fall sehr gut zum Motiv des Wassers und der Strömung – Strömung ist immer gleich und doch immer neu. Auch das Gedicht kehrt wieder, fließt vorbei, bleibt dabei gleich und ist doch anders. Übersetzung als Spiegelung würde wiederum den Bogen zu der Illustration mit den vielen Spiegeln auf der Gegenüberseite schließen.

Lui dall’ombrosità del tuo sguardo

 

 

Konstantin Hanack: Psychiater


Mit 36 Jahren wurde er IM

Und hörte Patienten ab und aus.

Der Titel verrät es, wir haben hier ein Gedicht über einen Psychiater vor uns. Dieser Umstand allein wäre eigentlich schon bemerkenswert, aber es geht nicht um einen gewöhnlichen Psychiater, sondern um einen schreibenden Psychiater. Ein schreibender Psychiater, der sein Gegenüber davon heilt ebenfalls Psychiater wie er werden zu wollen.

 

 

La Lee Lena: Sternschnupperkurs

 

Schon einmal des Nächtens sterngeschnuppert? Nein? Dann ist es allerhöchste Zeit für einen Sternschnupperkurs mit La Lee Lena! Doch seien Sie gewarnt vor den nachhaltigen Folgen des Sternschnupperns:

Man könnte dabei selbst erleuchten


neue Gedankengalaxien entdecken


mit Leichtigkeit die Schwerkraft austricksen

und vieles mehr –

Also keine Angst

sternschnuppern kann zwar süchtig machen

aber schadet nicht


 

Tagebuch 29.11.1998: G.H.H.

 

Der Beitrag von G.H.H. ist ein Essay, ausgehend von „globaler“ Vernetzung, virtuellen, parallelen und fiktiven Welten. Simulation und das Ersetzen des Menschen durch Maschinen ist bereits in vielen Gebieten Usus geworden. Ein sehr bedrohlicher Umstand, macht man ihn sich erst einmal in seinem vollen Ausmaß bewusst: 

Ein wesentliches, immer rascher

sich entwickelndes Anwendungsgebiet von Simulationen, virtu-

ellen Hilfsmitteln und Ansätzen zur Substitution des Menschen

als verantwortlichem Akteur ist ferner die Medizin. Nicht für die

Entwicklung von Spielen oder von neuen Formen der Medizin

aber stehen die meisten Mittel zur Entwicklung virtueller Realität

und „denkender Maschinen“ zur Verfügung, sondern für die Vor-

bereitung auf den Krieg.

 

Schließlich werden fünf Felder aufgelistet: Spiel, Medizin, Krieg, Eros und Text. Für alle diese Bereiche gelten Spielregeln, welche am besten erfüllt werden können, wenn der „menschliche Faktor“ so weit wie möglich ausgeschaltet werden kann:

Da die Mitspieler der unberechenbare Faktor des Spieles sind,

muß jede solche Projektion dazu tendieren, den Menschen in der

Spielumgebung zu integrieren, in ihr aufgehen oder sich auflösen

zu lassen. Erst die Verringerung des „menschlichen Faktors“ läßt

die Spielregeln sich vollkommen entfalten.



Verena Stauffer: Hyotan Kara Koma

 

in dir wringen tropfend wörter

Die Musikalität ihrer Texte zeigte sich bei einer Lesung am 12. Juni 2013 in Wien. Dabei entwickelte sich ein wunderbarer improvisierter Dialog mit dem Cellisten Lukas Lauermann. 

 

Das Gedicht „Hyotan Kara Koma“ erweckt den Eindruck, als ob viele Stimmen zu einem gebündelt worden wären. Sehr präsent ist die japanische Kultur. Einerseits schon allein durch den Titel, andererseits auch im Gedicht selbst, besonders offensichtlich in der Nennung des Fuji. Einige der leichter festzumachenden Themenkomplexe sind Leben – Sterben, Natur – Künstlichkeit, Reisen in die Fremde, oder Münder – Wörter. Daneben gibt es aber noch unzählige weitere, welche auch noch in verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten auftauchen.

 

Die Form des Gedichts ist ebenso bemerkenswert. Es setzt sich zusammen aus 6 Strophen zu je 6 Zeilen (die 7. und letzte Strophe fällt auf den ersten Blick etwas aus der Reihe, dazu aber später). Hier die erste Strophe:

konstruktivismus nicht natur

simulation nur so leben

redetrieb alternder münder

zauberpferd niemals sterben

ohne worte weit ver/reisen

würfe formen diese wörter

 

Die ausschlaggebenden Worte sind dabei jeweils das letzte Wort der Zeile (natur, leben, münder, sterben, reisen, wörter). Diese stehen auch in den anderen Strophen jeweils am Ende einer Zeile, aber immer in einer anderen. Sucht man sich beispielsweise alle Zeilen, in denen „reisen“ am Ende steht, heraus entsteht folgende Zusammenstellung:

ohne worte weit ver/reisen


welt des anderen be/reisen


sitzend über welten reisen


in geträumtem sanft be/reisen


auf weißem zauberpferd reisen


zum erfassen weiter reisen


In der  7. Strophe geht der Text in einem durch. Sie umfasst daher nur drei Zeilen. Die 6 Schlussworte der vorhergehenden Strophen stehen nun mitten im Text. Sucht man sie aber bewusst, so zeigt sich, dass sie in der gleichen Reihenfolge wie in der allerersten Strophe auftauchen:

immer verstehen in die natur werfen, ins hyotan kara koma leben

das zauberpferd reiten, davon, den redetrieb der münder sterben

in ein bild reisen, sehen, was es ist und wörter heulen in die lüfte

 

 

Luca Viglialoro: Underground

 

Meine Schuhe füllen sich mit Erde

aber für dich Wort gibt es keinen leeren

Gang.

 

Das Gedicht ist zunächst auf Italienisch, danach auf Deutsch zu lesen. Der Titel ist bei beiden unverändert das englische „Underground“. Der Titel des Gedichts ist nicht so selbstverständlich, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. G.H.H. dazu: „Der englische Titel seines Gedichts darf als bewusste Irreführung gelten. Underground? Eine Metapher, normalerweise. Hier nicht.“ Er wird am Schluss des Gedichtes wieder aufgegriffen:

quel muto appartarsi

in un mistero sottosuolo.


jenes stumme Sichabteilen

in ein Geheimnis unter Grund.

 

 

hochroth Nr. 5.herausgegeben von G. H. H. 6 € hochroth Verlag und Autoren, 2012.
hochroth Nr. 6.
herausgegeben von G. H. H. 6 € hochroth Verlag und Autoren, 2013.


Astrid Nischkauer hat zuletzt über »Die Akademie der Lesenden Künste, die 2. Meisterklasse zu Charles Dickens „A Tale of Two Cities“ vom 10. - 13. Juli 2013« auf Fixpoetry geschrieben.


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