DAS DRITTE LICHT

Erzählung

Autor:
Claire Keegan
Besprechung:
Elke Engelhardt
 

Erzählung

Die feinen Schwingungen des Schweigens. »DAS DRITTE LICHT« - eine Erzählung von Claire Keegan

24.08.2013 | Hamburg

Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.“ Alle Autoren kennen vermutlich diese Eisbergtheorie Ernest Hemingways, Claire Keegan aber setzt sich meisterhaft um. „Das dritte Licht“ ist ihre erste längere Erzählung, nachdem sie sich mit ihren Kurzgeschichtensammlungen im englischsprachigen Raum einen Namen gemacht hat, den auch Berühmtheiten wie Richard  Ford und Jeffrey Eugenides voller Hochachtung aussprechen.

Im Original heißt die von Hans-Christian Oeser kongenial ins Deutsche übersetzte Erzählung „Das dritte Licht“ „Foster“, wobei „to foster“ im Englischen sowohl „in Pflege geben“ als auch „in Pflege nehmen“ bedeutet. Und genau darum geht es in der Erzählung, ein kleines Mädchen wird über die Sommerferien zu entfernten Verwandten gegeben, weil die Mutter schon wieder ein Kind erwartet und die finanzielle Lage alles andere als gut ist. Voller Befürchtungen trifft das Mädchen bei den Kinsellas ein, und beschreibt mit staunendem Blick den Wechsel der Welten, den es erlebt.

„Alles verwandelt sich in etwas anderes, verwandelt sich in eine Version dessen, was es vorher war.“

Die Geschichte kann man, bis auf das offene Ende, getrost nacherzählen, ohne befürchten zu müssen, dem Lesegenuss damit in irgendeiner Weise Abbruch zu tun. Denn was hier erzählt wird ist die eine Sache, das eigentliche Ereignis ist die Art, wie es erzählt wird.

Die Sätze sind so einfach wie die Menschen von denen sie erzählen und wiegen so schwer wie deren Leben. Keegan setzt auf reine kraftvolle Beschreibungen statt auf Pathos, Urteil oder Sarkasmus.

Das Gewicht der Fremde, der Armut, des Ausgeliefertseins, auch das Gewicht der Hilflosigkeit derer, die gerne helfen wollen, all das liegt am Ende des zweiten Kapitels in dem Gewicht der Frau, die sich zu dem scheinbar schlafenden Mädchen auf das Bett setzt, und die Keegan mit einem einzigen Satz zu charakterisieren versteht: 

„Sie mag es, Dinge zu zerschneiden, mag es, zu schrubben, Ordnung zu halten und Dinge beim Namen zu nennen.“

In der ersten Nacht bei den Kinsellas nässt das Mädchen sein Bett ein und ist am nächsten Morgen vollkommen überwältigt von der ruhigen und liebevollen Art der Kinsellas mit ihrem Mißgeschick umzugehen, ohne ihr im geringsten die Würde zu nehmen

Kurz: sie erkennt, dass sie hier glücklich sein darf. Angenommen.

Dass das Geheimnis der Kinsellas, ihr Sohn ist beim Spielen verunglückt, ausgerechnet anlässlich einer Totenwache gelüftet wird, könnte gewollt klingen, bei Keegan folgt es einem Kreislauf von Leben und Tod, Reden und Schweigen und ist naturwüchsig wie das Leben, wo es noch nicht von lauter Konventionen und kruden Ideen zugeschüttet ist.

"Sie sagt, was sie zu sagen hat, und nicht mehr. Von dieser Sorte sollte es viele geben“,

sagt Mister Kinsella über das angenommene Mädchen und beschreibt damit nicht zuletzt auch Keegans Schreibstil.

„Das dritte Licht“ ist eine Geschichte über Unterschiede, nicht nur zwischen Menschen und der Art, wie sie reagieren, sondern zwischen angenommen werden und hingenommen werden. Am schönsten und schmerzhaftesten deutlich wird das, wenn das Mädchen erzählt, wie Kinsella ihre Hand nimmt:

„Sobald er sie nimmt, merke ich, dass mein Vater kein einziges Mal meine Hand gehalten hat, und ein Teil von mir will, dass Kinsella mich loslässt, damit dieses Gefühl vergeht. Es ist ein hartes Gefühl, aber als wir weitergehen, beruhige ich mich und lasse den Unterschied zwischen meinem Leben zu Hause und dem, das ich hier führe, auf sich beruhen.“

Dieser Satz, in dem ein Unterschied wahrgenommen und bemerkt wird, in dem der Schmerz zugelassen wird, ist für mich einer der Schlüsselsätze dieser Erzählung, weil er eine Haltung schildert, die eine Erzählerin wie Keegan braucht, um nachvollziehbar zu werden. Teil einer Hymne an die Geduldigen und Schweigsamen:

„Du brauchst nichts zu sagen, nie, sagt er. Denk immer daran: Das ist etwas, was du nie zu tun brauchst. So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.“

Schließlich endet der Sommer, das neue Baby ist auf der Welt und das Mädchen muss Abschied nehmen von den Kinsellas. Um sich nützlich zu machen, geht sie zum Brunnen, und will diesmal allein Wasser holen. Dabei kommt es beinahe zum Unglück, das man erneut den Kinsellas angelastet hätte. Denn ein Kind muss man nicht lieben, aber man muss gut genug aufpassen, damit es nicht verunglückt. Körperliche Unversehrtheit ist das einzige was zählt.

Als die Kinsellas schließlich aufbrechen, um das Mädchen bei seiner Familie zurückzulassen, hat sich zu viel verändert, um den Unterschied einfach nur auf sich beruhen zu lassen.

Keegan hat ein Buch über das Schweigen geschrieben, aber mehr noch über den Moment, in dem es gebrochen werden muss. Eine Erzählung in der ich die gleiche archaische Gewalt finde, wie in Christine Lavants Erzählungen.

All das macht „Das dritte Licht“ zu der Art von Geschichten, die notwendig sind, bei denen man die Notwendigkeit, erzählt werden zu müssen, spürt. Das ist etwas anderes als die reine Lust zu erzählen, oder der Wunsch etwas herauszufinden oder zu verdeutlichen. Es geht vielmehr um eine tiefe Wahrheit, die man eigentlich nicht aussprechen kann, der Keegan aber mit ihrem großen Talent erzählend nahekommt.

„Das dritte Licht“ lebt von einer Spannung, die entsteht, wenn man nur die Oberfläche sieht und doch sehr deutlich spürt, was sich darunter bewegt und schwingt. Das gelingt nur sehr selten. Umso wertvoller ist Claire Keegans kleine Geschichte.

 

Claire Keegan. Das Dritte Licht. Erzählung. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. ISBN 978 3 86930 609 4. 16,00 Euro. Steidl Verlag Göttingen 2013.

Elke Engelhardt hat zuletzt über »Popcorn unterm Zuckerhut« herausgegeben von Timo Berger auf Fixpoetry geschrieben.


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