Ein Punk-Gebet für Freiheit
Befreit Pussy Riot!
28.08.2013 | Hamburg
Die Verhaftung und Verurteilung von Pussy Riot hat weltweit für Empörung gesorgt. Der Nautilus Verlag legt nun die Dokumentation zum Prozess vor. Berühmte Vorbilder lassen sich erkennen.
Der Oberdada Johannes Baader soll im Jahr 1918 den Hofprediger Ernst von Dryander im Berliner Dom mit den Worten „Christus ist mir wurscht!“ unterbrochen haben. Nach einem anderen Bericht soll Baader, der später als Architekt arbeitete, geschrien haben: „Sie selbst verspotten ja Christus, er ist Ihnen ja wurscht.“
Im Jahre 1920, heißt es, lassen Kurt Schwitters und der Steegemann-Verlag Plakate in ganz Hannover kleben, auf denen das Schwitters-Gedicht „An Anna Blume“ zu lesen ist. Die Aktion sei die Reaktion auf eine andere, kurz vorhergehende Plakatierung gewesen, bei der der Stadt der kryptische Satz mitgeteilt worden sei: „Irret Euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten.“ Aha.
Im Jahr 1967 wurden zwei Berliner Studenten, Rainer Langhans und Fritz Teufel, vor dem Landgericht Moabit wegen des angeblichen Aufrufs zur Brandstiftung angeklagt. Die Dokumentation des zweiten Flugblattprozesses von Ende November 1967 wurde ein knappes Jahr später als „Voltaire Handbuch 2“ unter dem Titel „Klau mich“ von Bernward Vesper herausgegeben. Die von der Kommune I noch selbst bearbeiteten „Quellen zur Kommuneforschung“, die von Vesper benutzt worden waren, sind im März 1968, also vier Monate nach den Prozessen veröffentlicht worden. „Klau mich“ war – nebenbei - ein Riesenerfolg, einer der Attraktionen der Buchmesse 1968.
Im Februar 2012 führte eine feministische Kunst-Punk-Band eine als Punk-Gebet bezeichnete Performance in der orthodoxen Christ Erlöser-Kirche in Moskau durch, in der sie lautstark und unter vorgeblich grotesken Verrenkungen, zudem maskiert und unangemessen gekleidet forderten: „Jungfrau Maria, heilige Muttergottes, räum Putin aus dem Weg.“ Anzuschaun ist das als Youtube Video auch im Nachhinein.
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Der ganze Auftritt kann nicht lange gedauert haben (das Youtube Video dauert auch nur 2 Minuten). Kurze Zeit später werden drei der Frauen verhaftet und nach einem aufsehenerregenden Prozess zu zweijährigen Haftstrafen verurteilt. Ein skandalöses Urteil? Ohne Zweifel. Bei allem Respekt vor religiösen Stätten (die von ihren Hausherren anscheinend aber selbst für Zwecke wie Geschäfts-Diners oder Boney M-Konzerte freigegeben werden), sind das Urteil und seine Begründung nicht angemessen.
Und diese kleine Misszelle der russischen politischen Kultur löste einen weltweiten Protest und Berichterstattung aus. Hier sollte wohl ein Exempel statuiert werden – gegen den Verfall der politischen und gesellschaftlichen Ordnung im Namen, die hier im Namen der persönlichen Freiheit vorangetrieben werde. Ein Staat versucht den autoritären Weg gegen die Ausdifferenzierung und Beliebigkeit moderner Gesellschaften – und erntet dafür keine Bewunderung, sondern Protest.
Keine Frage, der Fall Pussy Riot wird vielleicht nur eine historische Anekdote bleiben, aber das Bild, das er vom Russland und Putin zeichnet, ist wenig schmeichelhaft. Eine offene und tolerante Gesellschaft sieht anders aus.
Allerdings wäre es noch auszuprobieren, was geschieht, wenn Vergleichbares in Deutschland in einer der prominenten Kirchen beider Konfessionen geschehen würde: Eine Punk-Performance im Kölner Dom? Das gäbe, trotz der avantgardistischen Richter-Fenster, sicher ganz schönen Ärger mit ganz dramatischen öffentlichen Diskussionen. Aber ob daraus noch Haftstrafen würden? Kann man bezweifeln.
Das hat jedoch nicht unbedingt etwas mit der besonders toleranten bundesrepublikanischen Gesellschaft zu tun, sondern mit deren Erfahrung in Sachen Provokation. Selbst Johannes Baader ging für seine Aktionen nicht über Jahre ins Gefängnis. Und für Kurt Schwitters hat der ernsthafte Künstler mit Sitz in Hannover, der sich mit Drogenexperimenten beschäftigt, nur ein Wort übrig: „Allotria“. Schlimmere Folgen hatte „An Anna Blume“ allerdings nicht.
Die Provokationen der Kommune I waren da schon heftiger. Ihre Warenhausbrandflugblätter aus dem Jahr 1967 sind bis heute umstritten. Die damaligen Gutachter attestierten ihnen freilich unisono eine hohe künstlerische Qualität, darunter so prominente Namen wie Peter Szondi oder Klaus Heinrich. Nur Günter Grass wollte mit solchen Sachen nichts zu tun haben, was auch niemanden wundert. In den Knast sind die Kommune-Mitglieder für ihre Flugblätter nicht gegangen, auch wenn die Springer-Presse sich nicht zu schade dafür war, ein bisschen publizistische Hetzjagd auf die Rebellen vom Stuttgarter Platz zu machen.
Das war aber auch nicht notwendig: Die wohlbekannte repressive Toleranz (ein Begriff, den wir den 68ern zu verdanken haben) funktioniert ganz prächtig. Die Dadaisten selbst sind heute (als Kunst) unbezahlbar, die 68er auf dem besten Weg zu Klassikern des zivilen Ungehorsams zu werden. Ihre Rebellion? Fragen wir Rainer Langhans, der weiß es am besten.
Nun aber Pussy Riot und das in Russland: Und Russland nimmt die Provokation an. Naheliegend kann man sagen, dass, wer politisch gegen ein autoritäres Regime vorgeht, sich nicht wundern kann, wenn das Regime die Provokateure nicht mit Kunst davonkommen lässt. So gesehen hat Pussy Riot genau den Erfolg, den die Punk-Band für ihre politische Botschaft brauchte: Seht her, selbst solche kleinen Aktionen werden hier derart hart bestraft. Wir leben in einem autoritären System.
Wenngleich die These erlaubt sei, dass es hier weniger um den Überschwang einer patriarchalischen Clique handelt (das eben – trotz der Richterin im Prozess – auch), sondern um eine extreme Fassung der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern von libertären und autoritären Haltungen.
Nicht weniger aufschlussreich ist jedoch, dass Pussy Riot alle Verteidigungsstrategien auffährt, die von ihren Vorgängern gegen ein voreingenommenes Rechtssystem ausprobiert wurde: die Entschuldigung, der Verweis auf den Kunstcharakter, der Hinweis auf die eigene Religiosität, die Inanspruchnahme rechtsstaatlicher Verfahren und schließlich der Verweis auf die Verfassung.
Nur gelegentlich kommen die Angeklagten an den Punkt, dass sie die Provokation des Rechtssystems annehmen. Der größere Teil der Stellungnahmen und Plädoyers, die von den Beklagten und ihren Anwälten stammen und im Nautilus-Band nachzulesen sind, versucht die Beiläufigkeit und mangelnde Strafwürdigkeit des Auftritts nachzuweisen.
Das ist legitim (und brechtisch gedacht), denn niemand muss sich für so etwas hinter Gitter bringen lassen. Und Mut darf nicht der fordern, der nicht die Konsequenzen tragen muss. Aber denkwürdig ist der defensive und fast schon demütige Ton der Pussy Riot-Dokumente. Die Entschuldigungen passen nicht zum Auftritt selbst. Der Pussy Riot-Prozess war eine Blamage für das russische System. Aber wenn es einen kleinen Sieg der Cliquen gibt, die Pussy Riot vorführen wollten, dann diesen. Aber wie man lesen kann, sind die Punkerinnen immerhin keine angenehmen Gefängnisinsassen.
Pussy Riot! Ein Punkgebet für die Freiheit. Mit einem Vorwort von Laurie Penny. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Häusler. Edition Nautilus, Hamburg 2012. 142 Seiten. ISBN 978-3-89401-769-9. Euro 9,90
Walter Delabar hat zuletzt über »Miese Geschäfte« von Robert B. Parker auf Fixpoetry geschrieben.
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