Gedichte
Könnte man weglaufen davor, ein Dichter von Heimat zu sein?
03.09.2013 | Hamburg
[…] Heimat, falsches
Schlaraffenland-ich könnte
davonlaufen wie die Lutken, die Zwerge, einst
vor den Glocken, entfliehn wie die Fische
der übelriechenden Struga, könnte
zünden darüber die Weihrauch-Triebwerke
des Kirchturms zu Schleife, dieser urtümlichen
Himmelsrakete […]
Aber wenn man fortginge, was Lorenc nie getan hat, wäre man nicht aufgerufen dazu, den Ort seines Herkommens in der Erinnerung zu tragen?
Menschen, ihr seltsamen Zugvögel, denn
die Vögel kehren doch wieder zu ihren Nestern-
ihr seltsamen Straßenbäume, denn
die Bäume sind doch fest verwurzelt-
geboren mit Flügeln der Vögel
mit Wurzeln der Bäume
lebt ihr doch mit den Wurzeln der Vögel
mit den Flügeln der Bäume.
So winkt euerm Wald doch, eh ihr ihn fällt!
So merkt euch eure Nester jetzt, eh ihr sie einreißt!
Schlagt Wurzeln im Flug-
Dann geht wieder und wieder das Erinnern ins Wort über, und im Wort lebt die Landschaft, das Dorf, seine Bewohner.
Am Rain den Sagenstein
im Tierfabelbusch
um den Bildquell
das Spruchkraut, die Silbenwurzel
und darüber
den Hügel der Ode
vom glücklichen Wetter, vom guten Beginn
und ich nenne dir
all die Flurnamen des Gedichts
und im Liedwind, im Märchenlicht, unter dem Rätselstern
siehst du: liegt
Wortland.
Heimat sagt sich, spricht zu, und nachdem sie gehört wurde beim Aufwachsen in den Gewächsen und Konturen des Landes wird sie wieder genannt im Gedicht. Lyrik ist das Echo regionaler Herkunft. Mit diesem Gedanken ist Lorenc dicht dran an Heidegger, für den Dichtung immer die Mundart eines Ortes ist.
Kito Lorenc ist Sorbe, geboren 1938 in Schleife. Er studierte Slavistik in Leipzig und arbeitete von 1961 bis 1972 als Mitarbeiter am Institut für sorbische Volksforschung (Bautzen), anschließend als Dramaturg am Staatlichen Ensemble für sorbische Volkskultur. Seine Lyrik schreibt er auf Sorbisch und Deutsch, zudem hat er Anthologien sorbischer Dichtung zusammengestellt.
Der vorliegende Band feiert seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag und gibt einen Überblick über sein deutsches lyrisches Werk. Ausgewählt wurden die Gedichte von Peter Handke, der auch ein Vorwort beisteuert. Darin heißt es:
“Kito Lorenc ist ein Kind, ein Kind im umfassenden Sinn, der Landschaft an den Ostgrenzen Deutschlands, der Lausitz, oder, wie sie sorbisch anders schön heißt, der Łužica (“ž” wie das “j” von Jeanne d’Arc), Kind der Łužica, so wie seine Poesie deren Kind ist, der Bäche, Felder, Hügelwälder, Moore und Heide dort zum einen, des Aneinanderstoßens--auch das in vielerlei Sinn--dreier Länder, eines deutschen, eines polnischen, eines tschechischen zum anderen. Seine Gedichte sind geboren aus dem sorbischen Dreiländereck, in ein paar Schlenkern oder eher Anspielungen auch aus der weniger heiteren, weniger stillen, weil weniger fruchtbaren Dreistaatenecke.”
Das sorbische Volk (“gibt es das? ja, es gibt es noch, vor allem Wort um Wort, bei Kito Lorenc” – Peter Handke) ist ansässig in der Nieder- und Oberlausitz, hat eine eigene Flagge, eigene Sprache, eigene Dichter. Aber wie die Herkunft aus der Familie ist das heimatliche Sorbien durchzittert vom Abschied.
Ginge ich nach Haus
wäre das Haus noch da
Ginge ich in das Haus
wären die Eltern darin
Spräche ich zu den Eltern
wäre ich ein Kind
und Vater müsste in den Krieg
So hätte ich die Mutter allein
könnte ihr meine Schularbeiten zeigen
die ersten Buchstaben
die Wetterschatten der Bäume
die Schneeschlangen auf den Ästen
Licht und Wetter sind die ersten Buchstaben. Im Dichten werden sie gezeigt, immer wieder, auch denen, die sie ebenso gut kennen wie man selbst und sogar länger. Aber dennoch müssen sie immer wieder gesagt werden, und nichts anderes ist das Ethos der Dichtung. Das Herzeigen des Eigenen ist Verpflichtung. Schuster und Dichter bleiben bei ihren Leisten, aber letzterer muß sie auch sagen.
[…] Schneeglocken
läuten da im Februar Märzen
wie bestellt für die kleinen Dichter
wenn sie aus Fingerhüten ihren
Kräuterbitter bechern […]
Ohne das Bittere geht es nicht. Und wie bei jedem Minderheitenvolk sorgt das Bittere auch bei den Sorben für sich selbst. Aber das bittere Kraut des bitteren Landes geht ein in das Wort, das spröde ist vom Witter und schon geschmeidig vom Frühjahr.
Und dieses Wort ist eine Einladung in das Dreiländereck, in dem die Sorben daheim sind und sprechen.
Kito Lorenc: Gedichte, ISBN 978-3-518-22476-2, 13.95 Euro, Suhrkamp Berlin 2013
Dies ist Kai Hammermeisters erster Beitrag auf Fixpoetry.
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