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Gedichte
Liedhaftes über die Liebe – Gedichte von Raphael Urweider
60 Seiten sind es, zählt man anfangs ab dem Schmutztitel und bis in die Verlagswerbeseiten am Schluß. Darin finden wir gerade mal 44 Gedichte aus drei kleineren Zyklen, von denen der umfangreichste das ABC in einem Reigen aus 26 Liebesgedichten durchläuft. Denkt man erwartungsfroh an den nicht nur umfangstarken Erstlingsband (120 Seiten) aus dem Jahr 2000, „Lichter in Menlo Park“, könnte man vielleicht enttäuscht sein, aber die wenigen Gedichte sind durchweg ein Lesevergnügen, das solche Feststellungen in die hinteren Denkregionen des Lesers vertreiben hilft.
Raphael Urweider hat „Gedichte von der Liebe und der Liederlichkeit“ geschrieben, wobei der in die Mitte des Buches gesetzte Liebesreigen tatsächlich viel Liedhaftes, eine musikalisch empfundene Sprache hat. Heißt sie Sonja oder Yolanda, Viola oder Geraldine, das Gedicht, das er der Geliebten widmet, umsäuselt verführerisch, raschelt wie Seide, knistert wie Kaminholz brennt und einige Melodien haben Erotik. Es gibt Worte wie „Zauber“, den vollen Mond, es gibt Korallenbänke in den Augen und das Spiel mit dem Feuer, das kennen wir, weil es anderes kaum zu sagen gibt über die Liebe und doch ist es immer wieder neu und aufregend, wenn es dann wirklich passiert. Auch bei Urweider, der sich auskennt und weiß, was zu tun ist. Darum erzählt er kaum von sich, sondern nennt sie alle beim Namen, die es zu lieben lohnt, alle Wunder, die es zu sehen, schmecken und fühlen gilt, und wie der eigene Ton sich verfeinert und hinklingt, wie das Lieben das Geschenk wird für beide – es ist schön zu lesen, gerade was zwischen den Zeilen und wie reif es passiert. „Alle deine Namen“, darum geht es, die Gesichter der Liebe.
wir desdemona kennen uns wir kennen
die schafskälte die hundstage wir kennen
den schnee wir kennen im schnee die sonne
im sommer den regen desdemona wir
kennen die schlafplätze und handgriffe
wir desdemona kennen uns schon länger
Um dieses Zentralgestirn herum gibt es Jahreszeiten und Selbstversuche. Acht Gedichte siedeln sich an in unvollendeten Passagen, Vorfrühling, Vollfrühling, Frühsommer, Spätsommer, Nuancen der Welt und wie sie gehen: „der sommer ist eine glatte wunde / die nirgendwo hin blutet“. Zehn Gedichte süffeln verschiedenste Alkoholika: Absinth, Tequila, Cognac, Rum u.a.m. stellen sich dem Ansturm der Urweiderschen Assoziationen, die Kollision mit dem Stofflichen triggert die Sinne an und aus dem Wissen um verschiedene, kulturelle Chemien entstehen Texte voll überraschend genauer Bilder. Grappa wird zum „harzhals zungenfell“ und Absinth zur „zahnglasgelben würgezange“. Urweiders Texte lohnen jeden genauen Blick, weil er selbst genau hinschaut.
Zu Recht ist aus diesen drei Zyklen ein Gedichtband geworden. Zu Recht ist Raphael Urweider eine wichtige lyrische Stimme der Jetztzeit und wird es bleiben, da bin ich sicher.
Raphael Zrweider "Alle deine Namen", gebundene Ausgabe, DuMont Verlag