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Gedichte
Der Ton entscheidet
„Orakelraum“ ist der vierte Einzeltitel, den der Alsbacher Andreas Noga vorlegt. Lyrische Collagen umschreibt er das Ensemble, das als Broschür in der Silver Horse Edition von Peter Ettl an den Start geht. Man findet Gedichtzeilen und Buchtitel in den Texten, tappt aber im Dunkel inwieweit und wie viel collagiert wurde. Das erste Lesen entdeckt Gedichte ganz auf Höhe der Zeit, Kleinschreibung ohne Punkt und Komma, Verse die über Strophen hin gebrochen werden, selbst Worte werden auf diese Weise (sinnvoll) zertrümmert. „vor der zersplit // terung ehe der himmel in kristall / scherben auf sie stürzt“. Allerdings: eine Zersplitterung erfordert konsequenterweise mehr als einen Bruch.
Noga ist Lyrikredakteur einer Literaturzeitschrift und auf Tuchfühlung mit der Moderne, die viele Wege gefunden hat, einfache Texte durch Raffinesse in Struktur und Aufbau aufzublähen zu einem nur mit Mühe zu dechiffrierenden Gedicht. Auch das begegnet mir. Es ist üblich und keine Sonderfall. Man lebt damit. Kein Grund Gedichte abzulehnen.
Aber schon im sechsten Gedicht „ein gleichnis“ stößt etwas gewaltig auf. „hitler kommt / vielleicht auch stalin // (oder andere böse buben) / zur trauer-oase“….
Hitler und Stalin als „böse buben“ zu verniedlichen zeigt, dass Noga scheinbar nicht sehr tief in die seelisch möglichen Landschaften des Wesens Mensch eingedrungen ist. Mir fehlt da der angebrachte Ernst und mit ihm auch die Achtung vor den Opfern der „Bubenstreiche“. Es zeigt auch, dass Noga noch sehr mit seinem Material spielt, ohne Dämon oder Engel ausreichend zu kennen. Alles klingt wie von einer Warte aus geschrieben, von der aus das Gedicht aussieht wie ein Geschicklichkeitsspiel. Anfing Noga vor gut zehn Jahren denn auch mit Texten, in denen er „nachdichtete“, imitierte, wenn man so will, Töne und Strukturen aufgriff und assimilierte und dort zunächst beachtenswertere Ergebnisse erzielte als im Eigenen. Dieser „spielerische“ Zugang hat sich nun in einen recht kunsthandwerklichen gewandelt. Was Noga schreibt sieht aus wie ein Gedicht. Aber es schmeckt anders. Als hätte er vergessen zu würzen. Es fehlt das Salz von Tränen und das Salz von Schweiß und Mühsal, es fehlt der Schmutz der Verzweiflung und das Schamhaar im Mund, es fehlt die blutig geschlagene Fresse und der philosophische Gipfelsturm, die Bitterkeit von coolness genauso wie die Kühle der Einsamkeit. Er geht mit Sprache um, aber er sortiert nach Fläche, nicht sich in das Innere hinein - das Sprachspiel wird zum Kartenspiel, man deckt seine intelligenten Gedichtkonzepte auf wie der Typ in der Werbung sein Haus, sein Auto, seinen Pool.
Gut gemachte Gedichte, die zu selten auch Zauber haben, zu sehr gemacht und einem Kräftemessen entsprungen, als das sie aus sich selber strahlen könnten. „lyrik ist zeitlose angeberei“ befindet er ironischer- aber auch bezeichnenderweise. Noga will sich messen und hat das Talent seine Gedichte im Formellen der großen Poesie anzunähern. Jedoch nur im Formellen. Das Inhaltliche verkommt bei ihm zur Staffage.
„pistole gegen rückenschmerzen: / wirksame alternative // oder ein zu finaler einfall?“ - der Mann weiß nicht, wie Schmerzen weichkochen können und wie sehr der Weichgekochte Schmerzen empfindet. „auch strom schlucken soll helfen // ist aber nichts für energiegeizhälse / die selbst beim toasten // noch sparen“ -- das ist kein Gedicht. Das ist schlicht Unfug.
„die organe des denkens üben trocken / dich zu fassen mit grünem griff“ - „auf dem teller erigieren schwarzwurzeln / zum spargel des kleinen mannes“ - zwei hervorstechende Beispiele, wo clevere Umschreibung und herbeigesuchte Verbildlichung verwechselt werden mit Lust an der Sprache. Er ist damit auch nicht allein – doch einige zeitgenössische Dichter verwechseln, dass es nicht darauf ankommt, was man im Kopf zusammensuchen kann, sondern gerade auf das, was man nicht suchen kann, nur finden.
Während das Büchlein beim ersten Lesen zu überraschen wußte, einen gereiften Noga vermuten ließ, auch weil er das Instrumentarium der modernen Lyrik gut beherrscht, enttäuschte schon der zweite und tiefere Blick. Es brummt irgendwo ein unschöner Ton. Gewollte Distanz klingt dort bisweilen gespielt und dann leider ähnlich wie Arroganz. „der ton entscheidet“, schreibt er selbst. Der Ton ist eine Gebärde und sagt von der Wahrheit.