Utopieoase Autopoesie

Anagrammgedichte

Autor:
Mario Dütsch
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Anagrammgedichte

Skurrilität und Ritualstreik

Wie entstehen aus einem Lidschatten acht Disteln? Und warum spielt die Mondscheinsonate schon diesen Monat? Welches erotische Genie wird zur Schoengeisterei? Elfmal saubere Seide, mehr braucht man nicht als Balsam für die Seele. Und eignes Erbgut für die Begeisterung.
Hinter all diesen Wandlungen steckt die Zauberformel Anagramm, eine schon seit der Antike praktizierte Versform, die auf der ausschließlichen Vertauschung des vorgegebenen Buchstabenmaterials beruht. Was auf diese Weise entstehen kann, hat etwas Magisches, wie von Geisterhand eröffnen sich  vollkommen neue Sinngehalte, sonst kaum erdenkliche, weil assoziativ nicht enthaltene, surreale Sinnfügungen tauchen auf. Man muß die Ursprünge des Anagramms denn auch im obskuren Dunkel der Orakel- und Zaubersprüche suchen, eine Heimat, der es bis heute nie ganz entfliehen konnte, wenngleich es auch bis in höchste Ämter vordrang, bspw. als Ludwig XIII. einen eigenen Hof-Anagrammatisten bestellte. In die Literatur fand es bestenfalls als Spielerei am Rande, bis es  über die Gruppe „oulipo“ (Werkstatt für potentielle Literatur) und die Gedichte von Unica Zürn größere Bedeutung erlangte.
     Nun ist in der futura black edition in Itzehoe ein handgesetztes und von Hand gebundenes Kleinod erschienen, das 66 Anagrammgedichte von Mario Dütsch unter dem beziehungsreichen Titel „Utopieoase Autopoesie“ versammelt. Und da sich nicht jeder so eine Kostbarkeit leisten kann, hat der Verleger Karl-Friedrich Hacker parallel dazu eine preiswerte Laser-Copy Ausgabe im Kleinformat aufgelegt, die für kleines Geld erreichbar ist. Den Leser erwarten Sprachinspiration, gewitztes Spiel, surreale Metamorphosen der Wortinhalte jenseits allen planvollen Denkens, aber auch jenseits aller gängigen Assoziationen. Im Nachwort spricht Dütsch von der „erlebten Sinnlichkeit des Textkörpers“ - es ist durchaus nicht willkürlich, wie man sich dem Material nähert, und Dütsch spricht ironisch andernorts von Sucht. Von der Destruktion zur Konstruktion, aus dem Chaos zur Ordnung finden, der Substanz in die Form verhelfen, die mit neuen Inhalten überrascht - das ist der kreative Prozess, der zu Wachstum führt, das ist auch der poetische Prozess, der Gedichte ermöglicht. Die unbändige Lust auf das Sprachspiel als ein Generator von möglichem Sinn ist in dem Buch in jeder Zeile wie ein unsichtbares Gewürz vorhanden. Man muß es aber herausschmecken lernen, indem man selber einmal versucht solche Anagramme zu generieren - sonst liest sich stolprig und überdreht, was tatsächlich freudig erregt, wenn man die Schwierigkeiten der Zubereitung kennt.
„Dichtung, die aus sich selbst heraus entsteht, schafft als AUTOPOESIE ihre eigene UTOPIEOASE“, schreibt Dütsch - eine Oase der Möglichkeiten: im „Elfenbeinturm - ruft mein Leben“, wird die „Gegenwart“ zum „Gartenweg“ und die „Wolkenputzerei“ zur  „Weltzone Epikur“.

Romantiker
Kreta in Rom
Krone im Rat
Anker im Tor-
ort: Maikern
reimt Orkan
roter Kamin
trinke Amor

Ein lyrisch nicht immer überzeugendes, aber sehr inspirierendes Büchlein voller Überraschungen und Geschenke.