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Lyrik
„Später wollte ich die Sprache durch mich selbst ersetzen“ - Gedichte und Fließtexte von Bärbel Klässner
Es ist ja so, dass auch die Suche nach Sprache heute schon ausreichend Gedicht ist, wenn die Bewegung sich kunstvoll und durch die ganz persönliche Gebärde geprägt und geerdet vollzieht. Das Eigene gelangt so ins Konstrukt, über die Art des Gangs, die Gestaltung des Sprungs. Beinahe als schaute man einem Seiltänzer zu.
„Lyrik zu machen ist für mich etwas Existenzielles, ist meine Auseinandersetzung mit Gott und der Welt und mit mir und mit den faszinierenden Möglichkeiten der Sprache.“ – ein persönliches Statement, das nicht für die Literaturwissenschaft, sondern für die Besucher der website von Bärbel Klässner gedacht ist, die mit „Der zugang ist gelegt“ vor kurzem beim beachtenswerten, weil literarisch anspruchsvollen erata-Verlag in Leipzig einen Band voller „gedichte & fließtexte“ veröffentlicht hat. Er versammelt Gedichte, die seit dem Umzug der Autorin 2003 von Weimar nach Essen entstanden.
„Mit Vorliebe zertrümmert sie das Allzugeläufige, in Redewendungen geronnen, die sich vernutzt haben und hohl geworden sind wie überalterte Bäume.“ schreibt Wulf Kirsten in seinem Nachwort. Das Zertrümmern gehört zum üblichen Geschäft, wenn man über das Normale hinaus will. Ist das Streben ins Neue, bislang Ungehörte erstmal vorhanden und der Weg nicht ganz klar, zerhaut man das, was man vorfindet und schaut in den Bruchstücken nach. Man läßt sich leiten von der Intuition, daß die Assoziation eine sinnvolle, ja tragfähige Brücke sei, auf der man ins nächste Gedicht kommt. So nutzt Klässner die Ketten, die sich automatisch bilden. Die Assoziation sei eine „verbale Zauberleiter“, meinte Freud. Und ihm zeitnah erklärte André Breton 1924 in seinem „Ersten Surrealistischen Manifest“: „... es stimmt wirklich, daß in jedem Augenblick in unserem Bewußtsein ein unbekannter Satz existiert, der nur darauf wartet, ausgesprochen zu werden.“ Während der eine die Leiter aus dem Unbewußten herauf reichen sieht, redet der andere vom Bewußtsein und sieht wohl deutlich die Schwelle, an dem das eine in das andere kippt, die Schwelle des Schreibens. Danach liegt offen, was wenige Augenblicke zuvor wie eine entfernte Milchstraße im Nebel rotierte, als würde – wie bei einer katalysierten chemischen Reaktion – ein Zustand wie eine Farbe umspringen. Und der Katalysator ist im besten Fall das Gedicht. Je mehr er das Gedicht ist, um so wunderbehafteter kristallisieren die Sätze, je mehr er noch das eigene Ich ist, das erst zum Gedicht hin will, um so angestrengter und fremder gerät der Klang. Und bei Klässner ist das Wollen des Gedichtes kein erledigtes Thema:
Es kommt ja immer auf die Zielgruppe an
Ein gedicht sollte eine botschaft haben und wenn es schon keine botschaft hat dann sollte es wenigstens ein thema haben und wenn es auch kein thema hat so sollte es doch metaphern haben es sollte irgendwie in worte gekleidet aus worten bestehen wenigstens sollte es wenn es schon keine worte hat von vorn beginnen und merken sollte man wenn es aufhört wenigstens sollte irgendwas zu hören sein wenn es schon nicht aufhört das gedicht aber einen grashalm bewegen sollte es schon wenn es nicht zu hören ist sollte es doch wenigstens nach etwas riechen zum beispiel nach zimt
In diesem „Fließtext“, wie sie ihre „Textgebilde mit lyrischem Rhythmus, deren Zeilen nicht brechen, sondern wie eine einzige lange Zeile fließen“ nennt, geschieht das, was Wulf Kirsten meint, wenn er schreibt, daß Klässner „ ... ins Surreale überhöht und damit Gleichnishaftigkeit erreicht.“. Es ist der Weg weg vom Normalen, es gibt ein neues Ziel, das Surreale ist nicht einfach da, sondern wird gesucht, das Gedicht beginnt erst zu funktionieren, wenn sie dort ankommt, also in den allerletzten Zeilen. Es ist sehr beispielhaft für das Geschehen in den Texten ihres Buches. Sie ist auf dem Weg und der ist spürbar vorhanden. Ganz gelingt es ihr nicht diesen Weg unangestrengt zu gehen, der ja ohne Frage etliches fordert, vom Schreiber wie vom Leser, aber Dichtkunst sieht eigentlich dort mühelos aus, wo die Anstrengungen am Größten sind. Will sagen: es sind erstaunliche Gedichte, ausdauernd erarbeitet und konsequent erforscht, aber es fehlen ein wenig die Wunder. Assoziationsketten den Zeilen einzuhängen oder sich anbietende Sprünge in Inner- und auch anders Reales zu tun reicht allein nicht aus, das Gedicht will deutlich darüber hinaus, weil es kein Wurmfortsatz des Ichs sondern eine Sonde sein will. Man macht keine Lyrik, die Lyrik macht, daß wir Gedichte sind. Im besten Fall.
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Ich turmja babelis du aus hinterzart
deine stöpselstimme aus der stand by
leitung du mit zettel um zettel an die
stirn stichst so gefällt mir so ich tanze
eine geschmückte karavelle ich - allein
frau deutmich in der ladenstraße
dieses ewig schwangere nichtsnutz -
wirf hin die gehilfen fürs zünglein
erwäge das roulette!
„der zugang ist gelegt“ - und was dort fließt, führt dann dank ihrem Mut zu Sprachwitz und Experiment doch oft ans Ziel. Es ist ja so, dass auch die Suche nach Sprache heute schon ausreichend Gedicht ist, wenn die Bewegung sich kunstvoll und durch die ganz persönliche Gebärde geprägt und geerdet vollzieht. Das Eigene gelangt so ins Konstrukt, über die Art des Gangs, die Gestaltung des Sprungs. Beinahe als schaute man einem Seiltänzer zu, wie er Figuren versucht, die nur er sich zutraut und: auf welche Art und Weise er sie sich zutraut. Um im Bild zu bleiben: nicht alle Bewegungen von Bärbel Klässner haben die Qualität, die jener selbstvergessene Tanz hat, der dann auch den Zuschauer die Schwerkraft vergessen lässt. Manchmal bleibt es bei der Einladung und bei einem besonderen Geruch, der aus den Rängen emporsteigt, nach Zimt beispielsweise und ein bißchen auch nach Lakritz.
Bärbel Klässner „Der zugang ist gelegt“ gedichte & fließtexte. ERATA Literaturverlag, Leipzig 2008.